Text und Fotos | Christophe Migeon
Auf manch einer Karte kann man dieses winzige, von Ruinen der Maya übersäte Land, das nur wenig grösser ist als Slowenien, kaum ausmachen. Direkt vor seiner Küste ist ein riesiges Korallenriff und damit auch ein Hotspot für karibische Biodiversität entstanden.
1973 änderte Britisch-Honduras seinen Namen in Belize, was in der Sprache der Maya so viel wie „trübes Wasser“ bedeutet. Nicht unbedingt die beste Wahl, um Touristen anzulocken! Dieses Marketingdesaster sollte allerdings niemanden von einem Besuch abhalten. Im Licht der tropischen Sonne offenbart das Wasser nämlich eine unvergleichliche, für die Karibik typische Klarheit. Und dann ist da dieses erstaunliche, fast 300 Kilometer lange Korallenriff, das längste Riff der nördlichen Erdhalbkugel. Es wurde von der UNESCO zu Recht in die Liste des Weltkulturerbes aufgenommen. Die nicht enden wollende Kette aus kleinen Koralleninselchen und Klippen bricht die vom offenen Meer heranrollenden Wellen und verwandelt die Küste von Belize in ein gut geschütztes Segelrevier. Es wird von den regelmässig wehenden Passatwinden aufgeraut und bietet zahlreiche sichere Ankerplätze. Gezeiten sind kaum erwähnenswert, die kurzen Passagen sind ideal für Törns mit der Familie und das Meer, das wie von einem unbestechlichen Thermostat auf konstante 26-28 °C erwärmt wird, lädt zum Schnorcheln und zum Tauchen ein.
Faszinierende Cayes
South Silk Caye, ein 35 Kilometer vor der Küste knapp aus dem Wasser ragender Sandhügel, ist einer der beliebtesten Tauchspots überhaupt.
Ein halbes Dutzend Kokospalmen sorgt für spärlichen Schatten, in dem die hitzegeplagten Fregattvögel Schutz suchen. Mit weit geöffnetem Schnabel nach Atem ringend warten sie darauf, dass sich die Sonne endlich dem Horizont entgegenneigt. Eine mit Meeresschildkröten und Rundschwanzseekühen bemalte Hütte verweist stolz auf das Meeresschutzgebiet von Gladden Spit und Silk Cayes. Viel gibt es hier nicht zu tun, ausser vielleicht unter dem lauten Geschrei von ein paar Aztekenmöwen ein Sandwich zu essen. Sie veranstalten einen solchen Lärm, dass sie selbst das normalerweise unüberhörbare Getöse der Brandung übertönen.
Die Silk Cayes befinden sich an der Aussenseite des Riffs, dort, wo es unvermittelt ins Meer absinkt und das Spektakel unter Wasser stattfindet. Hier tummeln sich fast sämtliche Schwammarten: fass- und schlauchförmige jeder Grösse, dicke schwarze und mit Löchern übersäte Kugeln, bizarre Trichter, Zweige mit spiralförmigen Ästen oder auch samtartige Krusten, die sich rücksichtslos über den Korallen ausbreiten. Dazu kommen einige federartige, sanft im Wasser wabernde Gorgonien und Peitschenkorallen, die in Gegenwart zweier leicht nervöser Hirnkorallen ziemlich gehemmt wirken. Das Riff ist wunderschön und sehr gesund. Soviel zum Bühnenbild. Die Truppe der Protagonisten besteht aus einigen Riffbarsch- und Füsilier-Schwärmen, die beim Anblick der herannahenden Taucher wie blauviolette Blitze in alle Himmelsrichtungen flitzen. Schnippische Drückerfische und Doktorfische mit ihren skalpellartigen Klingen spielen die Statisten. Doch schon bald heisst es Bühne frei für den Hauptdarsteller. Ein über zwei Meter langer Ammenhai schwimmt direkt auf die Taucher zu, dreht ganz knapp vor ihren Masken ab und heftet sich dann wie ein bettelnder Hund an ihre Fersen. Der Hai wartet auf einen Leckerbissen. Erst jetzt fällt auf, dass Nick, der Divemaster, mit einer kleinen Harpune bewaffnet ist. Alsbald schnappt er sich damit einen Feuerfisch, der sich gerade unter einer Gorgonie ein Päuschen gönnt, und bietet unserem neuen Freund sein noch immer zappelndes Opfer an.
Jagd auf den Feuerfisch
Ein unglaublicher, ja sogar widerwärtiger Anblick für jeden Taucher, der etwas auf sich hält. Allerdings hat der Feuerfisch in diesen Gewässern erstens nichts verloren und ist zweitens eine grosse Gefahr für das natürliche Gleichgewicht. Feuerfische, auch als Rotfeuerfische oder Löwenfische bekannt, sehen aus wie gerupfte Hühner und machen sich über alles her, was sich bewegt – junge Krebse, kleine Langusten, halbwüchsige Tintenfische, Fischbrut und kleine Fische. Die gierigen Vielfrasse mit dem unersättlichen Magen verschlingen alles, was gerade vorbeischwimmt. Mit ihren breiten, weit gespreizten, stachelbewehrten Bauchflossen treiben sie ihre Beute in die Enge, um sie dann ganz zu verschlucken. In ihrer Heimat, dem Indischen Ozean, haben sie keine Feinde. Muränen und Haie wissen nicht, wie sie diesen mit Giftstacheln befiederten Kerl verspeisen sollen. Ein Stich in Brust- After- und Rückenflossen ist äusserst schmerzhaft. Die meisten Jäger halten beim Anblick der etwas überwürzten Mahlzeit ihr Maul fest verschlossen. Sogar die mit einer geleeartigen Masse überzogenen Eier erweisen sich als ungeniessbar. Weibchen legen alle vier Tage 30‘000 Stück!
Niemand weiss mit Sicherheit, wie der Feuerfisch in die Karibik gelangt ist. Vielleicht wurde er von skrupellosen Aquariumsbesitzern im Meer ausgesetzt oder ein Aquarium wurde zerstört, als der Orkan Andrew im Jahr 1992 über der Region tobte, oder es wurden Jungfische mit dem Ballastwasser von Transportschiffen über den Panamakanal eingeschleppt. Das Geheimnis wird vermutlich nie gelöst. Eines aber ist gewiss: Pterois volitans wurde das erste Mal 2008 im Golf von Honduras entdeckt und ist mit Sicherheit für die Zerstörung der Biodiversität mitverantwortlich. „Damit die Taucher Jagd auf den Feuerfisch machen, wurde vor einigen Jahren auf jedes gefangene Exemplar ein Kopfgeld von 25 US-Dollar ausgesetzt, aber unterdessen sind diese Tiere so zahlreich geworden, dass sich diese Methode nicht mehr lohnt“, sagt Irene Palacio-Morgan, die Direktorin der Nichtregierungsorganisation Southern Environmental Association of Belize, kurz SEA Belize. „Wird ein Feuerfisch in 15 Metern Tiefe erlegt, taucht sofort einer aus tieferen Regionen auf und besetzt das frei gewordene Revier. Eigentlich müsste man Haie und Muränen dazu erziehen ihn zu jagen, wie das ihre Verwandten im Pazifik tun.“ Der Alarmschrei wurde in allen Tauchclubs der Region vernommen. Der unerwünschte Einwanderer muss verjagt werden. Weg mit den Eindringlingen! Die Tauchlehrer gehen nicht mehr ohne Harpune ins Wasser und da man die Tiere nicht ausser Landes schaffen kann, werden sie eben gnadenlos aufgespiesst. Und wie auch an diesem Nachmittag werden hin und wieder „Feuerfischtage“ organisiert, an denen die unerwünschten Meeresbewohner unter Überhängen, zwischen Federgorgonien bis hinein in die tiefsten Schwämme von den Tauchteams verfolgt werden.
Halali, die Jagd ist eröffnet! Wie aus der Kanone geschossen folgt eine Harpune der anderen. Nach 40 Minuten befinden sich bereits rund fünfzig zappelnde Feuerfische mit vor Schreck weit aufgerissenen Mäulern in den Kübeln. Zurück auf dem Boot wird die bunte Beute aus zitternden Flossen, bereits glasigen Augen, pumpenden Kiemen und immer noch schussbereiten Giftstacheln in eine Kiste geworfen.
Der Pate von Belize
Abends beugt sich Jeffrey Mei, der Koch des Resorts Turtle Inn, über den Fang, wählt die schönsten Exemplare aus und bereitet herrliche Filets als Fischsalat an Zitronenvinaigrette oder grilliert zu. „Ich habe das Zerlegen dieser Fische von der Pike auf gelernt und weiss nicht mehr, wie oft ich gestochen wurde. Der Schmerz ist aber weit weniger stark, wenn der Fisch einmal tot ist. Meistens sind die Finger ein bis zwei Tage ein bisschen steif.“ Diese Giftgeschichten schrecken die Gäste nicht ab. Die meisten lassen sich die Delikatesse einfach schmecken, während eine Schar brauner Pelikane vor dem feinsäuberlich gerechten Strand auf dem Wasser dümpelt. Obwohl er nur noch einmal im Jahr hier auftaucht, ist auch Francis Ford Coppola, der Regisseur und Besitzer des Turtle Inn, ein grosser Fisch- und Fleischliebhaber. Nachdem er den Film Apocalypse Now abgedreht hatte, war er so begeistert vom Urwald, dass er auf den Philippinen ein Stück Land erwerben wollte, was allerdings nicht dem Geschmack seiner Frau Eleanor entsprach. Also entschied er sich für Belize, wo er das mitten im Urwald in der Nähe der guatemaltekischen Grenze gelegene Hotel Blancaneaux erstand. Frustriert, dass er weder das Meer noch das Riff sehen konnte, kaufte er das lediglich aus ein paar Hütten am Strand bestehende Turtle Inn. Ein Orkan fegte auch sie weg und machte Platz für ein schickes Öko-Hotel mit balinesisch inspirierter Inneneinrichtung. Obwohl Coppola Wasser nicht besonders mag – man konnte ihn nur ein einziges Mal beim Schnorcheln beobachten – ist das nur 60 Schiffsminuten von Silk Cayes und 30 Minuten vom Nationalpark Laughing Bird Caye entfernte Etablissement ein Paradies für Taucher.
Walhaie und angriffslustige Schildkröten
Die Vereinigung SEA Belize verwaltet die beiden Schutzgebiete, die auch die wichtigsten Fortpflanzungsstätten des Nassau-Zackenbarsches, des Schnappers und anderer Arten umfassen. Von Dezember bis April versammeln sich jeden Monat bei Vollmond riesige Fischschwärme an diesem Ort. Das lockt jedoch zahlreiche illegale Fischer an. „Einige kommen sogar aus Honduras“, sagt Irene Palacio-Morgan. „Während der Laichzeit patrouillieren wir bis vier Mal die Woche. Leider sind die Bussen nicht wirklich abschreckend.“
Das riesige Futterangebot weckt auch das Interesse anderer Besucher. Walhaie lassen sich die Millionen Eier sichtlich schmecken. Rund zwanzig 6 bis 12 Meter lange Exemplare schwimmen von April bis Juni regelmässig von Yucatan nach Honduras und zurück. Dabei machen sie häufig im Meeresschutzgebiet Halt und genehmigen sich eine ausgiebige Mahlzeit. Also versuchen wir unser Glück und halten nach ihnen Ausschau. In den Untiefen im Süden von Gladden entdecken wir Scharen von Adlerrochen, Regenbogenmakrelen und Stachelmakrelen, aber die von uns gesuchten weltweit grössten Fische glänzen durch Abwesenheit. Nick hat uns darauf hingewiesen, dass vermutlich Thunfische an anderer Stelle des Riffs ihre Laichpakete abgelegt haben, wodurch die Walhaie abgelenkt sind. Plötzlich ertönt der Klang von Metall auf Glas, das traditionelle Zeichen für Taucher, dass sich etwas tut. Wir heben die Köpfe und suchen das Wasser ab. Es ist jedoch kein Walhai, sondern eine Schildkröte und zwar ein Riesenexemplar, das wie aus dem Nichts aufgetaucht ist. Der Kopf des vorsintflutlichen Tiers ist grösser als der Kopf eines Menschen und mit einem Schnabel ausgestattet, der Pflastersteine knacken könnte. Seinen Panzer besetzen Napfschnecken, faserigen Algen und andere seltsame Autostopper – ein Kuriositätenkabinett sondergleichen. Der Schwanz der Schildkröte ist so dick wie der Oberschenkel eines Catchers. Ungläubig staunendkehren wir an die Oberfläche zurück und sind überzeugt: Dieses „trübe Wasser“ ist eine ganze Klasse besser als manch anderer Spot mit weit wohlklingenderem Namen.
REISE-INFOS
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[column size=“third“ last=“no“]Anreise
Am besten reist man über Miami (tägliche Flüge von Zürich nach Miami mit Swiss oder United Airlines ab 500 ¤, Dauer rund 10 Std.). Danach Flug von Miami nach Belize City mit American Airlines (Dauer 2 Std. 30‘) und schliesslich Flug Belize City-Placencia mit Tropic Air (30 Min.).
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[column size=“third“ last=“no“]Beste Reisezeit
In Belize kann das ganze Jahr getaucht werden. Die Walhai-Saison beginnt gewöhnlich zwei bis drei Tage nach Vollmond im April und endet im Juni.
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[column size=“third“ last=“yes“]Mieten
my Charter:
oder Sailpro:
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[column size=“half“ last=“no“]Das Turtle Inn
Das am Ende der Halbinsel Placencia gelegene Resort gehört zu drei mittelamerikanischen Hotelbetrieben der Familie Coppola (zwei in Belize, einer in Guatemala). Es besteht aus 18 Cottages und 9 Villen mit jeweils zwei rustikal, aber elegant eingerichteten Zimmern (ohne Klimaanlage und TV). Im Restaurant werden Gartengemüse und fangfrische Fische angeboten. Im Weinkeller lagern 1200 Flaschen aus zwei der Familie Coppola gehörenden Weinbergen im Napa Valley. Das Cottage gibt es ab 400 USD pro Nacht. Weitere Infos unter thefamilycoppolaresorts.com
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[column size=“half“ last=“yes“]Tauchen
Der Tauchclub des Resorts liegt direkt gegenüber auf der anderen Strassenseite. Er bietet täglich Schnorchel- und Tauchtouren an. Zwei Tauchgänge für 160 USD, zwei Tauchgänge zu den Walhaien für 260 USD. Die interessantesten Spots befinden sich an der Aussenseite des Riffs (South Water Caye, Silk Cayes, Pompion Caye, Ranguana Caye, Gladden Caye…). Bei schlechtem Wetter sind die kleinen Inseln innerhalb des Riffs vorzuziehen (Laughing Bird Caye). Sie eignen sich speziell für Makrofotografien.[/column]
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