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Verloren im Indischen Ozean

von Quentin Mayerat

Eine bewegte Geschichte

Die ersten Inselbewohner waren die Bantu aus Ostafrika. Im
9. Jahrhundert kamen arabische und persische Händler auf die Insel. Sie führten ihre Religion ein und tauften die Inselgruppe “Djazair al Qamar”, zu deutsch “die Mondinseln”. Im Lauf der Zeit wurde daraus “Kamar” und schliesslich “Komoren”. So heisst der Archipel, dem Mayotte angehört, auch heute noch. Ab dem 16. Jahrhundert folgten nach und nach die Portugiesen, die Holländer, die Engländer und schliesslich die Franzosen. Nach einem Krieg im 18. Jahrhundert verkaufte der regierende Sultan Andriantsouly Mayotte 1841 an die Franzosen. 1946 wurden die Komoren zum französischen Überseegebiet erklärt. Im Juli 1975 erlangte der Archipel die Unabhängigkeit, einzig Mayotte beschloss französisch zu bleiben. Heute ist Mayotte eine Gebietskörperschaft.

Identität, Kultur und Traditionen

Die Mahori sind überwiegend Muslime. Im Lauf der Jahrhunderte hat sich eine originelle, gemässigte Form des Islams entwickelt, in dem auch der örtliche Aberglaube seinen Platz hat. Djinns, Sterne und Zauberer gehören für viele fest zum Leben. Die Gesellschaft hat ihre Traditionen und ihr Brauchtum beibehalten und richtet sich nach der Rechtssprechung der Kadis, die die täglichen Probleme regeln. Frauen spielen in der Gesellschaft eine entscheidende Rolle. Ihnen gehören das Land und die Häuser. Sie üben auch in der Politik grossen Einfluss aus. Das mahorische Kulturerbe wird schon seit Jahrhunderten von „Fundis“ mündlich überliefert. Dank der Abgelegenheit der Inselgruppe ist es erstaunlich gut erhalten geblieben.

Anreise auf dem Luftweg

Fast alle Flugzeuge machen vor ihrer Landung in Mayotte auf La Réunion Zwischenhalt, denn die Inselgruppe ist mit ca. 400 Betten ein noch recht neues Reiseziel. Kaum haben wir den kleinen Flughafen verlassen, tut sich uns eine andere Welt auf. Wir werden von den Inselbewohnern mit prächtigen Blumenketten begrüsst. Viele Mahori schmücken sich zusätzlich mit dem M’dzinzano, einer traditionellen Schönheitsmaske aus weissem Puder und Sandelholz. Sie schützt vor der Sonne und macht die Haut geschmeidig. Manchmal wird auch noch Safran beigemischt, so dass die Gesichter gelb leuchten. Der Flughafen liegt auf Petite Terre. Hier befinden sich die meisten Amtsgebäude. Wer die Natur der Insel erkunden will, der braucht nur in die Region des von Palmen umgebenen Diziani-Sees im Norden der Insel zu fahren.

Die meisten Reisenden steuern jedoch direkt auf die Hauptinsel zu. Dazu müssen sie auf einen Schleppkahn, das einzige mögliche Verkehrsmittel umsteigen. Ohne dieses motorlose Flachschiff geht auf Mayotte nichts. Nach einer kurzen Überfahrt erreichen wir den Hafen der Hauptstadt.

Der Norden von Grande Terre

Besonders sehenswert ist der am Meer gelegene, bunt schillernde Markt in Mamoudzou mit seinem unnachahmlichen Ambiente. Hier werden Gewürze, Schuhe und die wie Brautkleider bestickten Moskitonetze feil geboten. Die überbordenden Marktstände bilden ein unübersichtliches Labyrinth. Bunte, über die Auslagen gespannte Tücher schützen die Waren vor der Sonne. Hier startet auch die Erkundungstour durch den Norden der Insel. Auf einer kurvenreichen Strasse verlassen wir die Stadt und die Vororte, allmählich lässt der Verkehr nach. Nach dem Dorf Koungou werden die Häuser spärlicher. Am Abend und gerade rechtzeitig zum Sonnenuntergang macht unser Führer und Fahrer Attoumani an der Nordspitze von Mayotte Halt. Die letzten Sonnenstrahlen tauchen die Inseln Mitsamboro und Choizil in ein fahles Licht. Am nächsten Morgen fahren wir in den Süden. Von Tzingoni führt eine Bergstrasse in die üppige Region des 477 m hohen Mont Combani. Mit zunehmender Höhenlage wird die Vegetation dichter, die Strasse verengt sich zu einem schmalen Pfad. Ein zarter Duft erinnert uns daran, dass wir uns unweit der Ylang-Ylang-Felder befinden. Plötzlich endet die Strasse. Direkt vor uns liegt am Waldrand mehrere Unterkünfte. Durch das Pflanzendickicht geben sie einen herrlichen Blick auf die Insel frei. Einzig die Schreie der Fledermäuse durchbrechen die Stille.

Erkundung der Lagune

Die meisten Törns starten im kleinen Hafen von Mamoudzou. Mit dem von Nils gebauten Flachboot – Nils ist ein grosser Kenner der Meeressäuger – kann die Lagune optimal erkundet werden. Kaum sind wir an Bord, entfernt sich das Boot mit erstaunlicher Geschwindigkeit von Mamoudzou. Erstes Ziel: eine kleine Spazierfahrt durch den Mangrovenwald. Er bildet nicht nur eine natürliche Grenze zum Ozean, sondern hält auch die Erde der Insel bei starken Regenfällen zurück und bietet vielen Tier- und Pflanzenarten Lebensraum. Eine Unmenge Mangroven tauchen ihre Wurzeln ins Meer. Sie haben sich den Bedingungen so gut angepasst, dass sie das überschüssige Salz über die Blätter ausscheiden. In gemächlichem Tempo verlassen wir die Lagune. Plötzlich hält Nils inne und zeigt in die Ferne. Ein Buckelwal! Wir nähern uns langsam. Er ist gut und gern 14 Meter lang. Nach einigen endlosen, unvergesslichen Minuten lassen wir ihn ziehen. Auf der Rückfahrt wartet gleich noch eine zweite Überraschung auf uns: Wir erblicken einen rund hundert Tiere starken Delfinschwarm. Bei den meisten handelt es sich um Borneodelfine; es sind aber auch einige Breitschnabeldelfine dabei. Sie nähern sich dem Boot, mehrere werden von ihren Jungen begleitet. Wir werden uns ein Leben lang an dieses einmalige Erlebnis zurückerinnern. Mayotte ist ein unglaublich gut erhaltener Flecken Erde, dessen Geheimnisse Nils mit grossem Respekt vor der Natur mit uns teilt.

Der wilde Süden

Dieser Teil der Insel besteht aus einer zerklüfteten, von zahlreichen Buchten durchsetzten Landschaft. Die Strasse führt nach Sada, der Heimatstadt unseres Fahrers. Bevor wir die Stadt genauer in Augenschein nehmen und ein typisches Essen aus Fisch, Bananen und Affenbrot zu uns nehmen, statten wir dem Markt in Chiconi einen Besuch ab. Wir bedauern den Umweg nicht. Die meisten Stände verkaufen bunte, mit afrikanischen Mustern bedruckte Stoffe. Nach dem geplanten Halt in Sada setzen wir unsere Reise fort. Bei Chirongui biegen wir zu den Padzas (auch “Bad-Lands” genannt) von Dapani ab. In diesen ariden Wüstengebieten, die einen starken Kontrast zur benachbarten Vegetation bilden, ist die Erosion ungewöhnlich stark. Das natürliche Gleichgewicht ist so schwach, dass eine kleine Brandrodung oder ein zu lang am gleichen Ort angebundenes Zebu ausreicht, um ein Padza zu bilden. Wenige Kilometer weiter befindet sich der “Jardin Maoré”. Dieses Hotel befindet sich in einer einmalige Lage am Strand N’Gouya. Seine 18 Bungalows verschmelzen mit der Vegetation. Auf einem Baum sorgt eine Bande Makis für lautstarke Unterhaltung. Die endemischen Lemuren sind sehr anhänglich, vor allem, wenn man sie mit Dessertbananen füttert. Am Strand legen die Suppenschildkröten ihre Eier ab. Man kann sogar mit ihnen schwimmen, muss sich dabei allerdings streng an die Vorschriften der Tauchlehrer halten, denn die Tiere sind geschützt. Wir sind gerade einmal 50 m geschwommen, als wir durch unsere Taucherbrille ein grosses Gebilde entdecken. Wir nähern uns behutsam. Zwei riesige Schildkröten grasen gemächlich das Grünzeug auf dem Meeresgrund ab. Plötzlich spüre ich, wie sich etwas von hinten nähert. Ich drehe den Kopf: Eine dritte Schildkröte schwimmt anmutig auf mich zu. Ich kann mein Glück kaum fassen. Völlig übermannt von den Geschehnissen wünsche ich mir nur eins: dass auch die jüngeren Generationen noch von diesen majestätischen Wesen profitieren können. Es liegt nur an uns.

Segeln nach Mayotte

Das wunderschöne türkisfarbene Wasser ist nur erfahrenen Seeleuten zugänglich. In Mayotte sind ausserhalb der zwei kleinen Häfen von Mamaoudzou und Dzaoudzi so gut wie keine Schiffsinfrastrukturen vorhanden. Die wenigen Segelyachten, die wir auf unserer Reise gekreuzt haben, kamen aus dem 220 Meilen entfernten Madagaskar. Die Einfahrt in die Lagune ist über zwei sichere Passagen möglich: M’tsamboro im Norden (auch nachts) und Bandrélé im Osten (nur tagsüber). Gefahr geht vor allem von den zahlreichen, nicht markierten Korallengruppen im Innern der Lagune aus. Doch die Seekarten sind präzis genug, um sie zu umgehen. Geschützte Ankerplätze sind ausreichend vorhanden, allerdings muss dabei die Tide berücksichtigt werden. Zum Schluss noch einige Geheimtipps, einige besonders paradiesische Flecken: der grosse Salizey-Strand im Süden, der Ankerplatz Hagnoundrou im Südwesten, die Handréma-Bucht und die Insel M’tsongoma im Norden. Und, last but not least: Die wunderschöne Lagune von Mayotte umschliesst rund zwanzig von Traumständen gesäumte Eilande.

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