Ein Hochseetörn ist ein einschneidendes Erlebnis. Man kehrt als anderer Mensch zurück. Für viele Segler bleibt er aber der Stoff, aus dem Träume sind, denn nur wenige wagen den Schritt. Fest entschlossen, die Sache durchzuziehen, habe ich mich ins Abenteuer gestürzt und bin zusammen mit vier Gleichgesinnten mit einem Charterboot one way von den Azoren nach La Rochelle gesegelt.
Ich liege im Halbdunkel in meiner Steuerbordkoje und blinzle. Im ersten Moment weiss ich nicht, wo ich bin. Dann erkenne ich ein paar unscharfe Umrisse. Noch etwas desorientiert lausche ich den Geräuschen. Natürlich! Ich befinde mich auf einem Boot mitten auf dem Atlantik! Die Jacht pfeift, knarrt und schwankt. Ich werde regelrecht durchgeschüttelt und habe abwechselnd das Gefühl, in einem Geisterzug oder in einer Waschmaschine festzusitzen. Mit einem dumpfen Knallen schlägt der Rumpf immer wieder auf den Wellen auf und das Wasser klatscht gegen Ruder und Planken. Ich drehe mich noch etwas groggy auf den Bauch und werfe einen vernebelten Blick auf den Bordcomputer: 44, 46, 50… 53. Ungläubig reisse ich die Augen auf. Aber tatsächlich: Die Zahlen zeigen nicht den Kurs, sondern die Windgeschwindigkeit an! Mein Körper verkrampft sich und ich beisse auf die Zähne. Mit steifen Gliedern schlüpfe ich aus dem Schlafsack, stosse mich überall an, klammere mich fest und ziehe mich nach oben. Vorsichtig öffne ich die Luke und erkenne in der sternenklaren Nacht Vincent und Fabienne. Sie sind klitschnass. Von hinten rollen grosse Wellen auf uns zu. Die Szene scheint unwirklich. Schon zwölf Stunden segeln wir bei Starkwind und laut Prognosen dürfte er die nächsten 36 Stunden anhalten. „Was zum Teufel machen wir hier?“, schiesst es mir durch den Kopf. „Warte, bis du dran bist!“, ruft Fabienne im Adrenalinrausch. „Es ist genial!“ Ich glaube ihr und schliesse die Luke. Beruhigt schlüpfe ich wieder in meinen Schlafsack, schliesslich muss ich erst in drei Stunden an die Front.
Ein Lebenstraum
Die meisten Segler sind jeweils nur für ein paar Stunden auf dem Wasser. Viele aber träumen davon, über die Weltmeere zu schippern. Sie malen sich die wildesten Geschichten aus und sehen die Verwirklichung ihres Lebenstraums als Herausforderung: „Kann ich das überhaupt?“ Ein Hochseetörn wird zur Selbstbestätigung, er soll helfen, sich und die Welt besser zu verstehen, sich lebendig zu fühlen und mit jeder Faser des Körpers ein Abenteuer zu erleben. Trotzdem stelle ich mir auf unserer Reise von den Azoren nach La Rochelle immer wieder die Frage, warum wir uns das antun, wo wir doch zu Hause in unserer warmen Wohnung sein könnten. Eine schlüssige Antwort habe ich nicht gefunden. Wahrscheinlich hat jeder andere Gründe und die sind weder gut noch schlecht. Abenteuerlust steckt aber immer dahinter und vielleicht auch der Wunsch, sich in einem Element zu verlieren, das zwei Drittel unseres Planeten einnimmt. Wollen bedeutet nicht unbedingt können. Oft klafft ein immenser Graben zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Unser vollgestopfter Alltag lässt sich nur selten mit einer Ozeanüberquerung vereinbaren. Da wir unser Vorhaben unbedingt umsetzen wollten, musste eine Alternativlösung her. Wir entschieden uns für eine „halbe Atlantiküberquerung“ von den Azoren bis nach La Rochelle an der französischen Atlantikküste und charterten für unseren One-Way-Trip eine Pogo 36. Ich war ein paar Monate zuvor auf dieses massgeschneiderte Charterkonzept mit kleinen, schnellen und hochseetauglichen Fahrtenbooten gestossen und wusste sofort: Das war genau das, wonach ich gesucht hatte. Es wurde sowohl meiner beschränkten Zeit als auch meinem Bedürfnis nach Nervenkitzel gerecht. Fest entschlossen, die Sache durchzuziehen, traf ich mich mit Jean-Marc Calmet. Der Chef der kleinen Firma Open Sail hat zwei Pogo 12.50, eine 36 und eine 30 in seinem Portfolio. Ich löcherte ihn mit Fragen: „Von den Kanarischen Inseln in die Karibik, ist das möglich?“, wollte ich von ihm wissen. „Das geht“, meinte er. „Eine Express-Tour zu den Balearen mit Start in Südfrankreich?“, hakte ich nach. „Auch das ist eine Möglichkeit.“ „Und im April von den Azoren nach La Rochelle?“. „Super Idee paar Kunden wollen von den Antillen bis zu den Azoren zu segeln, ihr könntet sie dort ablösen.“ Wir schlugen ein und übernahmen die Jacht Aminata in Horta auf der Insel Faial.
Faszinierende Azoren
Keine Atlantiküberquerung in West-Ost-Richtung ohne Halt im Peter Café Sport, lautet ein ungeschriebenes Gesetz. Seit über hundert Jahren kehren die Segler in der kleinen Kneipe am Hafen in Horta ein und waschen den penetranten Salzgeschmack mit Gin weg. Wir folgten der Tradition und tankten in dem legendären Lokal vor dem bevorstehenden Start etwas Mut. Vor dem Ankerlichten wollten wir aber noch einen Einblick in die vielen Schätze der Azoren erhaschen. Die fast permanent rauchenden Inseln sind erst acht Millionen Jahre alt. Sie entstanden durch das Zusammentreffen des mittelatlantischen Rückens mit einem Hotspot und bilden die Spitzen eines riesigen Unterwassergebirges. An den schroffen Bergen und den steil ins Meer abfallenden Felsen ist ihr junges Alter noch immer gut erkennbar. Wer hier ankern will, braucht daher eine mehrere hundert Meter lange Kette. Die Azoren bieten aber auch ein paar kleine, oft hübsche und gemütliche Marinas, in denen die Fahrtensegler mit offenen Armen empfangen werden. Unser erstes Ziel war Pico, die mit knapp 250’000 Jahren jüngste Insel der Azoren. Auf ihrer höchsten Erhebung, dem Ponta do Pico (2351 m), lag bei unserem Besuch noch Frühlingsfirn. Der junge Vulkan ist nicht nur der höchste Berg der drei Seemeilen von Horta entfernten Insel und der Azoren, sondern ganz Portugals. Wanderfreudige sollten unbedingt einen Tag für seine Besteigung einplanen. Vom Basislager auf 1310 Metern sind es gut 1000 Höhenmeter bis zum Gipfel. Man muss sich allerdings zunächst im Bergführerbüro melden und eine Gebühr von 12 Euro pro Person bezahlen. Jeder Wanderer erhält ein GPS-Gerät, damit ihn die Rettungskräfte im Notfall schnell finden. Es kommt immer wieder mal zu Zwischenfällen, daher nie vergessen: Auf den Azoren kann das Wetter blitzartig umschlagen! Ein weiterer lohnenswerter Abstecher ist São Jorge rund zehn Seemeilen weiter nordöstlich. Die 55 Kilometer lange und sieben Kilometer breite Insel besteht aus über 200 aneinandergereihten Basaltvulkanen. Sie fallen in gewaltigen Steinküsten teilweise mehrere hundert Meter tief ab und bilden dabei eine schier unüberwindbare Mauer. Hauptort der Insel ist die 5000-Seelen-Stadt Velas. Ihr noch relativ neuer Hafen liegt am Fuss eines erloschenen Vulkankegels. Nachts veranstalten Corys Sturmtaucher ein ohrenbetäubendes Konzert. Tagsüber schlummern die geflügelten Felsbewohner friedlich auf dem Meer, in der Dunkelheit laufen sie dann zu Höchstform auf und balzen in der Paarungszeit bis zum Morgengrauen. Segler finden aber in der Regel trotz dieser lautstarken und amüsanten Darbietung Schlaf. Als letzter Ausflug vor dem Start ins Blaue Nichts ist eine Wanderung zu den Fajãs zu empfehlen. In den kleinen, natürlichen Pools, die durch Vulkantätigkeit entstanden sind, lässt es sich herrlich baden.
Preciosa Graciosa
Bevor wir uns ganz von den beruhigenden Umrissen der Insel und der Zivilisation verabschiedeten, legten wir einen letzten Halt auf Graciosa ein. Die südlichste Insel der Azoren ist nur gerade acht mal vier Kilometer gross und lässt sich daher bequem querfeldein durchwandern. Graciosa ist ein kleines Juwel, nur wenig bekannt und umso idyllischer. Von ihrer zentralen Caldeira überblickt man in einer Rundumsicht die gesamte Insel und das Meer. Das Boot macht man entweder im Hafen des Hauptortes Santa Cruz oder – falls es nicht allzu viel Tiefgang hat – im kleinen Fischerhafen Praia im Osten der Insel fest. Ich persönlich nutzte den Aufenthalt auf Graciosa, um kilometerweit durch die Landschaft zu wandern und meinen Kopf mit den Bildern der Azoren und ihren unendlich vielen Grün- und Blautönen zu füllen.
Gebückt leben
Bald ist das winzige Stück Land nur noch ein Flecken im Dunst. Jetzt konnte die halbe Atlantiküberquerung beginnen. Wir legten die Wachzeiten fest, die wir rund um die Uhr streng einhielten. Eine Ausnahme gönnten wir uns aber doch und spielten zum Zeitvertreib mit den Vorsegeln. Tatsächlich ist die Pogo hervorragend besegelt. Sie verfügt über eine tolle Segelgarderobe mit Stagfock, Solent, Gennaker und asymmetrischem Spi, mit der man viele Varianten ausprobieren kann. Bei mehr als 12 Knoten wahrem Wind segelt man selten unter 7 Knoten und bleibt dabei meistens trocken, ausser natürlich bei starkem Seegang und wenn die Wellen gegen den Bug schlagen. Eine gelungene Atlantiküberquerung ist keine Hexerei. Man muss seine Kräfte einteilen und während den Ruhezeiten alles tun, um Schlaf zu finden. Das ist vor allem in den ersten Tagen einfacher gesagt als getan, denn gebückt zu essen, zu schlafen und sich anzuziehen muss erst einmal gelernt sein. Es gibt aber viele kleine Dinge, mit denen man sich das Bordleben vereinfachen und zumindest ein klein wenig angenehmer gestalten kann. Während den langen Stunden auf dem Meer komplizierte Rezepte auszuprobieren ist keine gute Idee. Sparen Sie sich den Aufwand! Ein Reistopf, ein Pastasalat und ab und zu etwas Gefriergetrocknetes tun es auch. Schliesslich sollen sie nur den Magen füllen. Mit der Zeit schätzt man das einfache Essen sogar. Extrem wichtig ist hingegen die Kleidung, denn Feuchtigkeit kann zum ärgsten Feind werden. Gutes Offshore-Ölzeug, eine Latzhose aus Gore-Tex sowie mehrere Dutzend Socken sind unverzichtbar, um trocken zu bleiben. Erst, wenn man diese grundlegenden Regeln intus hat, kann man die Gedanken schweifen lassen, sich den Emotionen hingeben und versuchen, in den Wolken Formen zu erkennen. Auf dem Atlantik hat die Sonne zweimal pro Tag ihren grossen Auftritt und die Show ist gratis. Einfach den Blick zum Himmel richten, geniessen und staunen. Das tun wir viel zu selten, obwohl wir dazu überall sein können, auch zu Hause. Probieren Sie’s, das Gefühl ist wunderbar!
PRAKTISCHE INFOS
Beste Reisezeit
Für eine Atlantiküberquerung im Gegenuhrzeigersinn ist in der Regel der Mai der beste Monat. Im Sommer kann sich das Azorenhoch stark ausdehnen und die Teams zwingen, weiter nördlich nach Wind zu suchen, wenn nicht sogar einen Grossteil der Strecke unter Motor zurückzulegen.
Vorbereitung
Zweckmässige Kleidung kann Ihnen viel Ärger sparen, denn wenn die Leinen erst einmal los sind, gibt es keinen Weg zurück. Da die Kleider auf See nur schwer trocknen, unbedingt viele Socken und Thermounterwäsche einpacken. Brillenträger sollten eine Ersatzbrille mitnehmen, für den Fall, dass sie ins Wasser fällt. Zu meiner Ausrüstung gehörten eine Offshore- Jacke Transocean aus TP3 von Henri Lloyd. Sie ist deutlich günstiger als eine Gore-Tex-Jacke und absolut wasserdicht. Als wir plötzlich mit Wasser überschüttet wurden, leisteten der hohe Sturmkragen und die Kapuze mit transparenten Einsätzen gute Dienste. Ausserdem trug ich eine Elite-Racer-Latzhose aus Gore-Text von Henri Lloyd. Ihr leichter, atmungsaktiver und weicher Stoff hielt, was er versprach. Er war absolut wasserdicht und liess keinen Tropfen durch. Wichtig ist auch ein guter Schutz für die Hände, denn sie werden auf einen solchen Trip stark in Mitleidenschaft gezogen. Vor allem nachts können feuchte Handschuhe sehr unangenehm sein. Ich empfehle daher Modelle aus Neopren wie zum Beispiel Pro-Grip von Henri Lloyd. Die gesamte Ausrüstung ist beim grössten Geschäft für Bootszubehör in der Schweiz erhältlich: bucher-walt.ch
Wetter
Routing ist ein ausgezeichnetes Hilfsmittel für die Routenplanung. Es muss jedoch vernünftig und unter Berücksichtigung des Seegangs eingesetzt werden. Ausserdem sollten Sie beachten, dass Sie nie so schnell unterwegs sind wie auf dem Polardiagramm angegeben. In den Wettermodellen wird die Windstärke unter Umständen stark unterschätzt, daher immer daran denken: Es handelt sich um Durchschnittswerte! Das GFS gab maximal 30 Knoten Wind an, wir haben aber zeitweise 46 Knoten mit Böen von bis zu 53 Knoten gemessen.
Für Ihr persönliches Abenteuer auf einer Pogo kontaktieren Sie Jean-Marc Calmet: contact@open-sail.com oder +33 6 11 86 82-26
Für massgeschneiderte Törns in den Azoren wenden Sie sich an my charter, info@mycharter.ch, mycharter.ch oder an SailPro, alain@sailpro.ch, sailpro.ch