Die Weltmeisterschaft der Sechser-Jachten fand dieses Jahr in einem besonders geschichtsträchtigen Revier statt. Unter der Schirmherrschaft des weltweit angesehenen Royal Yacht Squadron ging es im Segelmekka Cowes zur Sache.
Text und Fotos: Yves Ryncki
In Cowes gibt es mehr Segelclubs als Pubs und das will in dieser Ecke Grossbritanniens etwas heissen! Es vergeht kein Wochenende, an der vor der kleinen Hafenstadt auf der Isle of Wight nicht mindestens zehn Regatten ausgetragen werden. Hinzu kommen internationale Anlässe wie das Rolex Fastnet Race oder die Cowes Week. Das Revier ist berüchtigt für seine Schwierigkeiten. Im Solent – einem Seitenarm des Ärmelkanals zwischen England und der Isle of Wight – lauern Sandbänke, starke Strömungen, plötzliche Winddreher und dichter Seeverkehr.
Schweizer Boote auf Mission
Vom 31. August bis 8. September 2023 hatten sich 34 Teams aus ganz Europa und Nordamerika in in Cowes einquartiert, um an der Weltmeisterschaft der 6mR-Jachten teilzunehmen. Ganze elf Nationen waren vertreten. Die Flotte war traditionsgemäss in zwei Kategorien unterteilt: die Open, die trotz des stattlichen Alters einiger Jachten auch als «modern» bezeichnet wird, und die Classic, die alle vor dem 31. Dezember 1965 gebauten Boote umfasst. In beiden Klassen waren mehrere Schweizer Boote vertreten. Einige waren gekommen, um erstmals den Titel zu gewinnen, andere, um ihn zu verteidigen. Zu Letzteren gehörten die amtierenden Weltmeis- terinnen, Momo von Dieter Schön (Open) und Dix Août von Louis Heckli (Classic). Ein Blick auf die Meldeliste zeigte: Die Konkurrenz bei den Schweizern war stark, denn es war noch eine ganze Reihe weiterer grosser Kaliber am Start. Die Junior von Philippe Durr zum Beispiel, der in den Meterklassen bereits zehn WM-Titel auf seinem Konto hat, aber auch die etwas jüngere Ginkgo Too von Jan Eckert aus dem Jahr 2020, die Sophie II von Hugo Stenbeck, die Fun von Louis Heckly und die Saskia II von Rainer Müller, eine Fife-Jacht aus dem Jahr 1934, die von eine Clique des Cercle de la Voile de Villeneuve gesegelt wurde. Sie war zwei Tage vor der WM im Training mit einem anderen Boot kollidiert, wurde dabei stark beschädigt und verlor ihren Mast, der in drei Stücke brach. Das Team der alten Dame erlebte darauf eine unglaubliche Welle der Solidarität. Ein Wochenende lang machten sich Handwerker, Helfer, Bootsbauer und die restliche Besatzung an der Jacht zu schaffen, um sie wieder auf Vordermann zu bringen. Mehrere andere Eigner griffen ihnen dabei unter die Arme. Der spanische König Juan Carlos himself stellte sein Festrumpfschlauchboot zur Verfügung, weil es als einziges gross genug war, um einen Mast aus dem englischen Lymington nach Cowes zu transportieren.
Das Gesetz des Solent
Die Konkurrenz war jedoch nicht bereit, den Schweizern das Feld kampflos zu überlassen und blies auf Angriff. Schon im ersten Rennen am Montag ging es hart zur Sache: Dix Août siegte mit dem erfolgreichen Drachen- und Hochseesegler Géry Trentesaux am Steuer vor der wieder segeltüchtigen Saskia II und der Bribon des Real Club Nautico de Sanxenx. Mit dem spanischen König Juan Carlos und dem mehrfachen Olympiasieger im Starboot Ross MacDonald hatte sie viel Prominenz an Bord. In der zweiten Wettfahrt änderte sich die Situation radikal. Die drei Erstplatzierten des ersten Laufs belegten die Ränge 11, 12 und 14. Der Solent hatte sein wahres Gesicht gezeigt und ihnen mit Winddrehern und Strömungswechseln das Leben schwer gemacht. In der offenen Wertung kam Momo mit ihrer neuen Crew in den ersten beiden Tagen nicht so recht auf Touren, konnte sich dann aber nach einem komplett verpatzten ersten Lauf im zweiten etwas steigern und schaffte den Anschluss an die Führungsgruppe. Ähnlich erging es Gingko Too, die das zweite Rennen für sich entschied und sich damit wieder unter den Siegesanwärterinnen positionierte. Junior war mit einem 6. und einem 9. Platz bereits abgeschlagen. Die amerikanische Scoundrel von Jamie Hilton und Stella von Violetta Alvarez hatten sich derweil fest an der Spitze etabliert.
Kein Titel, aber Medaillen
Die verbleibende Woche brachte in den Spitzengruppen der beiden Kategorien keine grossen Veränderungen, ausser vielleicht bei den dritten Plätzen. In der offenen Wertung gelang es Philippe Durr auf Junior nicht, an Momo vorbeizuziehen, während in der Klassiker-Division eine Disqua- lifikation in der sechsten Wettfahrt Mauricio Sanchez-Bellas Titia um einen Ehrenplatz brachte, der schliesslich an Simon Williams Silvervingen ging. Für die Schweizer Boote blieben am Ende zwei Medaillen. Dix Août von Louis Heckly wurde 2. bei den Classic-Jachten und Momo von Dieter Schön belegte bei den Open-Jachten Rang 3, sechs Punkte vor Junior.
Diese WM glänzte einmal mehr durch ein hohes sportliches Niveau, das nicht zuletzt dank der Neuzugänger mit talentierten Teams auf einem solchen Level gehalten werden konnte. Auch im Zeitalter der fliegenden Boote ist die grosse Meterklasse noch immer topaktuell. Exemplarisch dafür stehen die jungen Designer und Bootsbauer, die unermüdliche Arbeit der International Six Metre Association und die Faszination von Eignern wie Rainer Müller und Violetta Alvarez für die Klasse. Die Sechser haben nicht nur in der Schweiz mit der Challenge Lémanique, sondern auch überall sonst auf der Welt eine grosse Zukunft vor sich.