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Alinghi Red Bull Racing – Eine schwarze Jacht aus der Kombüse von Ecublens

by Pierre-Antoine Preti

Text: Pierre-Antoine Preti

Der Bau einer Jacht aus Komposit-Materialien hat viel mit kulinarischem Know-how zu tun. Wir waren wenige Stunden nach der Abfahrt des BoatOne nach Barcelona zu Besuch in Ecublens. Für den Bauleiter Jean-Marie Fragnière ein emotionaler Moment. Der Chef der Drei-Sterne- Küche blickt für uns auf das technische Abenteuer zurück, das er zusammen mit einer Brigade aus dreissig Bootsbauern erlebt hat.

JEAN-MARC FRAGNIÈRE: «ICH BIN SEHR STOLZ AUF DIESES TEAM.»

Donnerstagnachmittag, Anfang März. Im trübgrauen Spätwinter herrscht in der Bootswerft Décision SA Partystimmung. Drei Tage zuvor hat der riesige Rumpf des BoatOne, der einzigen von Alinghi Red Bull Racing gebauten AC75, seine Reise nach Barcelona angetreten. Auf einer Anhöhe oberhalb von Ecublens machen einige der involvierten dreissig Bootsbauer auf der Terrasse Pause. Die mittlerweile vom Schweizer Team aufgekaufte Werft birgt für Jean-Marie Fragnière keine Geheimnisse. Er kennt alle hier entstandenen Gefährte, von den Genfersee-Katamaranen über das Flugzeug Solar Impulse bis hin zu den Alinghi-Booten für den America’s Cup. Der Bauleiter hat das Unternehmen 2017 verlassen, um sich um die technische Umsetzung der TF35 zu kümmern. Kaum war dieser Job beendet, erhielt Jean-Marie einen Anruf. Er konnte das Angebot unmöglich ausschlagen und hängte kurzerhand zwei weitere Jahre an.

Iterativer Bau

Bei Baubeginn im letzten Frühjahr stand der Gesamtplan der Jacht noch nicht. Erst durch den ständigen Austausch zwischen den Bootsbauern, Ingenieuren und Konstrukteuren nahm er Form an. Diese schrittweise Annäherung an die Endform wird im Fachjargon iterative Bauweise genannt. «Aber irgendwann mussten wir die Pläne einfrieren, sonst hätten wir nie mit dem Bau begonnen», erklärt Jean-Marie. Als Erstes entstand der Rumpf, danach das Deck. Anschliessend wurden die inneren Strukturen hinzugefügt und das Deck geschlossen. Als Letztes wurden alle Teile im Licht einer Stirnlampe zusammengeschweisst.

Die «Deed of Gift» des America’s Cups schreibt vor, dass das Boot im eigenen Land gebaut werden muss, «constructed in the country», wie es heisst. Bei der 37. Ausgabe sind die Bauvorschriften deutlich restriktiver als eine einfache «Box Rule». Sogar die Materialien unterliegen strengen Auflagen. Das Mindestgewicht der Waben, die Steifigkeit der Fasern, das Gewicht des Bootes – alles wird vom Defender vorgegeben. Jean-Marie Fragnière: «Wir arbeiten mit denselben Materialien wie 2003, setzen sie aber anders ein. Mit den Bauvorschriften wird verhindert, dass die Kosten explodieren, gleichzeitig schränken sie aber die Forschung und Entwicklung ein. Die vielen vorgeschriebenen Messpunkte in der Struktur erfordern zudem während des gesamten Herstellungsprozesses regelmässige Kontrollen.»

Zehn Nationalitäten am Werk

Wie wir es vom America’s Cup gewohnt sind, benötigt das Mammutprojekt viel Personal. Im Team sind zehn Nationalitäten vertreten, wobei die Hälfte der Mitarbeiter aus der Schweiz stammt. Sie wurden von den Teamleadern Simon Bovay, David Nikles und Danny Cawsey betreut und profitierten von deren bootsbautechnischem Fachwissen. Weitere wichtige Rollen spielten zwei Ingenieure – einer für die Qualitätssicherung, der andere für den Austausch mit dem Designteam in Barcelona –, eine Vollzeitkraft für die digitale Steuerung, ein Spezialist für Materialschnitt und ein HR-Manager, der sich unterem anderem um das Wohlbefinden des Teams kümmerte. Zeitweise wurden zudem private Bootsbauer beigezogen.

Nicht zuletzt war wie bei den früheren AC-Teilnahmen von Alinghi auch die EPFL eingebunden. Das «Laboratory for Processing of Advanced Composites» unter der Leitung von Prof. Véronique Michaud half bei der Validierung und Charakterisierung der Materialien mit.

UNGENÜGEND GESTUTZTE BÄUME AN NATIONALSTRASSEN ODER VORRICHTUNGEN IN STÄDTEN MACHTEN DEN SPEZIALTRANSPORT ZU EINEM ABENTEUERLICHEN UNTERFANGEN.

Fester Bestandteil der Schweizer Wirtschaft

Insgesamt wirkten rund dreissig Schweizer KMU aus den unterschiedlichsten Bereichen mit. Neben den Firmen, die sich an der Herstellung der Formen beteiligten, trugen mechanische Werkstätten, Schlosser, Transporteure, Zollspediteure und weitere Unternehmen ihren Teil zum Projekt bei. Laut Jean-Marie Fragnière kann ein solch komplexes Unterfangen nur gelingen, wenn der Zeitplan eingehal- ten wird: «Die gesamte Arbeit richtete sich nach dem seit zwei Jahren bekannten Lieferdatum des Boots. Wir mussten diesen Termin einhalten, er konnte nicht verlängert werden.» Da einige Materialien eine Lieferfrist von acht Monaten haben, mussten sie früh genug bestellt werden, alles andere wäre fatal gewesen. Sébastien Schmidt kümmerte sich als Projektmanager um die Zeitplanung und sorgte für die rechtzeitige Beschaffung aller benötigten Teile. Die Koordination der Bestellungen und der durchzuführenden Aufgaben ist einer der wichtigsten Aspekte dieser Komposit-Küche.

Heikler Brennprozess

Beim Brennen der Formen kann besonders viel schiefgehen. Das Gelingen hängt davon ab, wie gut sich das Vakuum bildet und wie dicht die Formen sind. Jedes Teil muss dreibis fünfmal in den Ofen. Was bei kleinen Öfen relativ einfach ist, gestaltet sich bei grösseren deutlich schwieriger. Der Ofen in Ecublens ist so gross, dass die ganze AC75 darin Platz hätte. Manche Brennvorgänge können bis zu 16 Stunden dauern. Dabei muss genau darauf geachtet werden, dass die Formen gleichmässig gebrannt werden. Da der Vorgang auf keinen Fall unterbrochen werden darf, braucht es während des gesamten Vorgangs eine stabile und gleichmässige Stromversorgung. «Letzten Winter drohte eine Stromknappheit und es wurde bereits von einer Kontingentierung gesprochen. Wir hatten für den Ernstfall einen grossen Generator gemietet. Zum Glück mussten wir ihn dann doch nicht benutzen.»

Beim Entformen ist die Stimmung meistens etwas angespannt. Alle hoffen, dass der Prozess fehlerfrei geklappt hat. Jedes Bootsteil wird mit Ultraschall auf mögliche Mängel geprüft. Grösste Schreckensgespenste sind poröse Materialien und die Ablösung einzelner Schichten. Daher wird bei diesem entscheidenden Schritt nichts dem Zufall überlassen.

Spezialtransport nach Barcelona

Am 28. Februar dieses Jahres wurde der Rumpf per Spezialtransport nach Barcelona gebracht. Das BoatOne mit seiner Eskorte war mehrere Tage unterwegs. Seine Fahrt erwies sich als Abenteuer. Mehr als einmal blockierten ungenügend gestutzte Bäume an Nationalstrassen oder Vorrichtungen in Städten die Durchfahrt des fünf Meter breiten Boots. In Ecublens musste am Abend der Abreise bereits am ersten Kreisel ein Verkehrsschild entfernt werden.

Mit der Auslieferung der AC75 ist die Arbeit in der Schweiz nicht beendet. Die Werft stellt weitere Teile her und hält sich im Stand-by-Modus. Währenddessen ziehen die Teamleader und ein Teil der Bootsbauer nach Barcelona, wo sich die gut ausgestattete Basis des Schweizer Syndikats befindet. Die Formen für den Rumpf bleiben in Ecublens. Sollte es zu einer grösseren Havarie kommen, werden die beiden Werften in Barcelona und Ecublens zusammenarbeiten.

Für Jean-Marie Fragnière ist die Arbeit also noch lange nicht beendet. Er hat in den letzten Monaten viel erlebt. Am liebsten erinnert er sich an den Tag, als der Bootsrumpf komplett zusammengebaut wurde. Ein emotionaler Moment! «Ich bin sehr stolz auf dieses Team. Die Bootsbauer waren untereinander sehr solidarisch. Ich weiss, dass es beim America’s Cup schwierig ist, die Zukunft vorherzusagen, aber ich hoffe, dass wir wieder einmal mit diesem Kollektiv zusammenarbeiten können». Doch das ist eine andere Geschichte. Mit der Auslieferung des Schiffsrumpfs haben die Bootsbauer den Stab an die Segler übergeben. Inzwischen ist auch das BoatOne in Barcelona angekommen, wo erneut ein sportlicher Zeitplan wartet.

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