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Alte Boote spüren keine Krise

von Quentin Mayerat

Stellen Sie sich vor, man würde in einem beliebigen Mittelmeerhafen alle grossen Motorschiffe und modernen Segelboote durch alte Yachten ersetzen, die durch liebevolle Arbeit legendärer Konstrukteure entstanden sind. Das Resultat wäre umwerfend! Sie müssen nicht einmal mit geblähten Segeln übers Wasser gleiten, auch vor Anker ziehen sie alle Blicke auf sich. Oldtimerboote faszinieren; die wertvollen Bewahrer einer unverrückbaren Segelkultur lösen die verrücktesten Leidenschaften aus. Ihre Eigner scheuen nicht davor zurück, enorm viel Zeit und Unsummen Geld in die schönen Rümpfe zu stecken, die vor gar nicht so langer Zeit noch irgendwo im Schlick oder zuhinterst in einem Hafen abgestellt verfaulten und jetzt wieder zu alter Pracht zurückfi nden.
Auf dem Wasser entfalten die Traditionsyachten ihre ganze Schönheit. Wenn die mit Gaffelsegeln getakelten Schiffe ihre Flügel ausbreiten, um dann mit vollem Tempo über die Startlinie der Regatten zu schiessen, bieten sie ein schlicht atemberaubendes Bild. Unglaublich, welche Kraft von diesen Booten ausgeht, man denke nur an die legendären, nach Plänen von Fife gebauten Moonbeam. Trotz ihrer scheinbaren Wuchtigkeit sind klassischen Yachten auch erstaunlich wendig. Das beste Beispiel dafür ist wohl die nach Plänen von Sibbick 1899 konstruierte Bona Fide.

Grosser Andrang
Alle diese Yachten wurden mit grosser Hingabe restauriert. Vor rund zwanzig Jahren haben einige Bootsliebhaber die Bewegung ins Rollen gebracht, entstanden ist eine ebenso fantastische wie vielseitige Flotte. Anfang Juni lagen während der Voiles d’Antibes, der traditionellen Saisonauftaktregatta am Mittelmeer, 47 klassische Yachten im Port Vauban. Sie hatten sich zur ersten Etappe der Panerai Trophy* eingefunden. Von einer so grossen Beteiligung hatte Yann Joannon, Direktor der Veranstaltung, wegen der Krise kaum zu träumen gewagt. Es fehlten lediglich einige grosse Einheiten wie Marequita und Lulworth.
Dass die Krise bislang nicht die befürchteten Auswirkungen hatte, konnte auch Gian Battista Borea d’Olmo feststellen, ihm gehört zusammen mit seiner Schwester Ottavia die gaffelgetakelte 18-Meter-Yacht Vistona aus dem Jahr 1937. Sie entstand auf dem Reissbrett des schottischen Designers William McPherson Campell, der stark von seinem Kollegen William Fife beeinflusst worden war. „Dieses Jahr nahmen rund zwanzig Boote am Bailli de Suffren teil (Anm. d. Red.: eine Plauschregatta, die 2009 von St. Tropez über Porto Rotondo und Gaeta nach Monaco führte), dies war mehr als in den Jahren zuvor“, freut sich der Freizeit-Hochseesegler. „Es ist ein Glücksfall, dass die schönen Schiffe aus ihrem Dornröschenschlaf erwacht sind, besonders für die Bootswerften, die sie restaurieren“, so Gian Battista weiter. „Es ist eine neue Generation junger Schiffszimmermänner und Spezialisten für klassische Yachten entstanden, die die Seele der zu restaurierenden Schiffe respektieren. Das war nicht immer so.“

Ein Stück Bootsgeschichte
Diesbezüglich ist die Restauration der Vistona beispielhaft. Gian Battista war es nur mit grossem Aufwand gelungen, an die Originalpläne der Yacht zu kommen. Seine Suche war deshalb so mühselig, weil die Werft A.M. Dickie & Sons, Ltd, die das Boot im nordwalisischen Bangor gebaut hatte, 1960 vollständig abgebrannt war. Der Bootsliebhaber liess sich aber dadurch nicht entmutigen. Seine Beharrlichkeit wurde belohnt, als der Enkel des Bootsbauers in einem Keller ganz zufällig auf die Pläne der Vistona stiess. Zusammen mit Freunden nahm Gian Battista 2001 in Porto Rotondo (Sardinien) die vierjährige Restaurationsarbeit in Angriff. Er wurde dabei von Marco Banacina, einem auf der Insel Elba ansässigen Schiffszimmermann unterstützt.
Herausgekommen ist eine Yacht, die in allen Punkten den Wünschen ihres Designers entspricht. Ein Stück Bootsgeschichte, das zur Freude seiner Eigner heute auf dem Mittelmeer segelt und eines Tages vielleicht in die kälteren Gewässer seiner nordirischen Heimat zurückkehren wird.

Die gleiche Leidenschaft für seine Oldtimer-Yacht hegt auch der gebürtige Genfer Jean-Philippe L’Huillier. Der erfahrene Binnenseesegler (auf Vaurien, Star und 6er) erstand 2007 die L’Oiseau de Feu, einen 20,74 Meter langen Marconikutter, der 1937 nach Plänen von Charles C. Nicholson von der Werft Camper & Nicholson konstruiert wurde. Das prachtvolle, unter französischer Flagge segelnde Schiff wurde zum historischen Denkmal erklärt. „Ein Wahnsinn“, gesteht Jean-Philippe. Wer ihm zuhört, wenn er von der Qualität des Holzes, der Genialität der Ausstattungen und dem schlanken Rigg schwärmt, der versteht, warum er sich auf diesen Wahnsinn eingelassen hat. Denn klassische Yachten verzaubern.**

* Schauen Sie sich die Filme der Panerai Trophy auf www.skippers.tv an (Rubrik Regatta, Kategorie Classic)!
** s. Artikel über die Restauration alter Boote auf S. 120
DR B.Cocozza Carlo Borlenghi

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