Die Geschichte des America’s Cups und der technische Fortschritt in der Bootsbranche sind eng miteinander verknüpft. Anlässlich der 37. Austragung des ältesten Sportwettbewerbs der Moderne blicken wir zurück auf die grossartigen Innovationen, die teilweise von bekannten Schweizer Seglern inspiriert wurden.
Der America’s Cup war von Anfang ein Labor für technische Entwicklungen. Ende des 19. Jahrhunderts entbrannte unter den Schiffskonstrukteuren einen heftiger Konkurrenzkampf, der einigen zu Weltruhm verhelfen sollte. Jeder wollte den anderen mit einem noch besseren Bootsdesign und einer noch effzienteren Rumpfform übertrumpfen. Nathanael Herreshoff und sein Zeitgenosse Edward Burgess, später Olin Stephens sowie die Schotten William Fife III und Charles Nicholson, zählen noch heute zu den Grössten ihrer Zunft.
Die Schiffe waren riesig, schwer und stark besegelt. Reliance, das Siegerboot von 1903, war 61,26 Meter lang, 7,92 Meter breit und 189 Tonnen schwer, hatte 64 Besatzungsmitglieder und eine Segelfläche von 1500 Quadratmetern. Als Defender schrieb der New York Yacht Club dem lange Zeit einzigen Challenger aus England vor, dass er mit seinem Boot über den Atlantik zum Duell anreisen müsse. Hinter dieser Auflage steckte ein eigennütziger Hintergedanke. Für eine solche Ozeanüberquerung brauchte der Challenger nämlich ein robusteres Boot als der Defender, das logischerweise schwerer, behäbiger und langsamer war und mit einem entsprechenden Handicap startete.
US-amerikanische Vorherrschaft
Immer wieder sorgten die Amerikaner mit protektionistischen Massnahmen dafür, dass sie ihren Vorsprung auf die Konkurrenz nicht einbüssten. Sie untersagten den Gegnern zum Beispiel den Einsatz bestimmter Komponenten, um sich das Exklusivrecht zu sichern. So geschehen beim Segeltuch. Die amerikanischen Segelmacher, die als erste Dacron anstelle von Baumwolle verwebten, wurden praktisch unter Embargo gestellt. Es war ihnen verboten, den Herausforderer mit Segeln zu beliefern.
Ebenfalls aus Amerika stammten die ersten Winschen. Sie ersetzten die bis dahin verwendeten Flaschenzüge und kamen erstmals auf der Reliance zum Einsatz, die 1903 den Cup mit 3:0 gegen Sir Thomas Liptons Shamrock II gewann. Interessantes Detail: Sie waren unter Deck befestigt. Ob aus Geheimniskrämerei oder für mehr Aerodynamik lässt sich nicht sagen.Auch die 12-Meter-Jachten feierten am America’s Cup Premiere. Die von Olin Stephens entworfene Courageous verteidigte die Trophäe sowohl 1974 als auch 1977 erfolgreich.
Weitere Innovationen, die wir dem Cup verdanken, sind die Wanten aus profilierten Rodstangen, die Aluminiummasten, die Baum- und Mastnock als Ersatz für Holzringe und das Mehrsalingrigg, das für einen besseren Halt des Mastes sorgt.1983 trug die Erfindung des berühmten Flügelkiels entscheidend dazu bei, dass die Australia IIdie von Dennis Conner gesteuerte Liberty nach 132 Jahren amerikanischer Vorherrschaft endlich besiegte. Da im America’s Cup Spionage dazugehört, hatten die Australier keinen Aufwand gescheut, um die Erfindung des Architekten Ben Lexcen vor den Augen der Öffentlichkeit zu verbergen. Sobald die Jacht aus dem Wasser kam, wurde sie verhüllt. Die gegnerischen Teams aber liessen nichts unversucht und beauftragten sogar Schnorchler, mehr über das Unterwasserschiff herauszufinden.
Bahnbrechende Innovation aus der Schweiz
Bei den technischen Neuerungen, die für den America’s Cup entwickelt wurden, spielte die Schweiz eine wichtige Rolle. Mit der Erfindung der 3DL-Segel löste sie in der Szene sogar eine kleine Revolution aus. 1988 entwarf Jean-Pierre Baudet die ersten Segel, die ohne Nähte und nachträgliche Verformung auskamen: die «tree dimensional laminated», kurz 3DL, und realisierten zusammen mit Luc Bois den ersten Prototypen. Dabei werden Textilfäden über eine Positivform gelegt und zwischen zwei robusten Mylar-Folien im Vakuumverfahren bei 160°C thermoverleimt. Die 3DL-Segel erwiesen sich als stabiler und widerstandsfähiger als die zusammengenähten Bahnensegel, vor allem bei hoher Belastung und Reibung. Die 3DL-Segel gewannen den America’s Cup fünfmal: 1995, 2000, 2003, 2007 und 2010. Die beiden langjährigen Geschäftspartner Gérard Gautier und Edouard Kessi gingen über die Bücher und entwickelten die 3Di-Segel. Dabei werden Carbonfäden oder anderes Material wie PBO in Filamente von der Grössenordnung eines Mikrons – und nicht mehr wie beim Rohgarn im Millimeterbereich – gespreizt. Anschliessend werden die hauchdünnen Filamente mit weichem Harz gemischt. Diesen Prozess nennt man Amalgamoder Prepreg-Verfahren. Danach kommt die Thin Ply Technology (TPT) zur Anwendung. Mit einem riesigen Plotter werden Fasern und Harz in genau berechneten Mengen aufgetragen und der Belastung entsprechend ausgerichtet. Es gibt kein Sandwich aus Fäden und Mylar-Folien mehr.
3Di-Segel auf Siegeszug
Zur Herstellung der revolutionären Segel eröffnete North drei Fabriken in Minden, Nevada (USA), nahe der kalifornischen Grenze. Die dortigen Produktionshallen haben keine Holzböden mit eingelassenen Gruben für die Näherinnen mehr. An ihrer Stelle findet man riesige computergesteuerte Plotter. Sie tragen Prepreg auf und reagieren innerhalb von Mikrosekunden. Die Entwicklung der 3Di-Segel wurde massgeblich von Ernesto Bertarelli finanziert. Im Wissen, dass er den America’s Cup 2009 nur mit einem schnellen Boot gewinnen konnte, fokussierte er die Forschung und Innovation auf den «Motor» des Bootes, das heisst die Segel. Er war entsprechend stark in die Arbeiten an den 3Di-Segeln involviert. Als North beschloss, das Verfahren unter seinem Namen zu verwenden, überliess Bertarelli der Firma die Erfindung zum Selbstkostenpreis.
Auch an anderen Materialien wurde im Rahmen des America’s Cups getüftelt. Aluminium ersetzte Holz, vor allem bei den Masten. Dann kamen die Verbundwerkstoffe auf, von den ersten Glasfasern bis zu Kevlar und anderen Wabenstrukturen. Später machte Kohlefaser die Teile robuster und leichter. Ohne Carbon gäbe es wohl heute keine Foils. In einem anderen Material wären sie in tausend Stücke zersprungen, und auch die erste Austragung auf den AC72-Katamaranen 2013 in San Diego hätte es nicht gegeben.
Die Flügelsegel der AC72 und der AC50 wurden wieder fallengelassen, die aktuellen AC75 tragen weiche Segel, aber auch sie wurden weiterentwickelt. Sie sind doppellagig und werden dicht ans Deck gezogen, damit sie ähnlich wirken wie ein Flügelsegel, gleichzeitig aber den Venturi-Effekt minimieren. Nicht zuletzt hat die Elektronik vom America’s Cup profitiert, man denke an die Autopiloten, an die permanente Stabilisierung, die Steuerung der Foil-Arme, die Hydraulik und die Energie.
DIE J-CLASS SVEA, MIT 3DI-SEGELN