Vendée Globe
Der Schweizer Segler hat die letzte Vendée Globe mit seinem aufmerksamen Profi blick mitverfolgt. Er zieht Bilanz und wagt einen Blick in die Zukunft.
An der Vendée Globe gibt es immer mehr Sperrzonen: die Eisgrenze, die Schifffahrtsrouten und die Fortpfl anzungszonen der Wale. Wie sehen Sie die Streckenführung? Aus Sicherheitsgründen haben die Organisatoren nicht viel Spielraum. Im Süden ist die Routenwahl durch die Eisgrenze stark begrenzt. Niemand würde eine Kollision mit einem Growler verzeihen. Strategisch können die Teilnehmenden entscheiden, ob sie wie Sébastien Simon und Charlie Dalin vor den Tiefs segeln oder lieber eine vorsichtigere Route weiter nördlich wählen. Doch auch ihnen bleiben nicht viele Möglichkeiten.
ROUTING-SOFTWARE RICHTIG BEDIENEN KÖNNEN.»
IM BILD: JUSTINE METTRAUX. ©Gauthier Lebec
RAGENDE ARBEIT GELEISTET UND SIE ÄUSSERST ZUVERLÄSSIG
GEMACHT. IM BILD: DAS TEAM VON PAPREC ARKEA IN LORIENT. Eloi Stichelbaut
Die Eisgrenze schiebt die Flotte mit jeder Ausgabe ein Stück weiter nach Norden. Dadurch wird die Strecke immer länger. Ja, das stimmt, aber da die Boote immer schneller werden, sehe ich hier kein Problem. Schade ist nur, dass sich dadurch die taktischen Optionen allmählich verringern. Im Süden verkommt die Regatta zu reinem Tempobolzen.
Dann ist also der Atlantik taktisch am schwierigsten? Auf dem Hinweg hat sich die Spitze zwischen Brasilien und Südafrika beim Umfahren des Hochs von St. Helena von der Flotte abgesetzt. Auf dem Rückweg geriet ein Teil der Flotte in den Windschatten der argentinischen und brasilianischen Küste. Auch im Atlantik ist die Routenwahl manchmal eingeschränkt, zum Beispiel vor den Azoren. Die Boote müssen sie quasi im Gänsemarsch entweder östlich oder westlich umfahren, um nicht in das riesige Fortpflanzungsgebiet der Wale zu geraten. Mit jeder Austragung wird die
Routenwahl etwas eingeschränkter.
BOOT BEQUEM VON DER WACHKOJE UNTER DEM HARDTOP
AUS STEUERN.. ©Guillaume Gatefait
DEN BOOTEN HEUTE VIEL GRÖSSEREN KRÄFTEN AUSGESETZT
ALS FRÜHER. ©Olivier Blanchet
Ändert sich die Rennstrategie dadurch, dass Foiler einen anderen Winkel zum Wind haben als Schwertjachten? Da der Winkel zum Wind offener ist, deckt sich der Kurs der Foiler mit dem der Mehrrumpfboote. Theoretisch sollten dadurch mehr taktische Möglichkeiten entstehen, aber in der Praxis ist dies aufgrund der vielen Einschränkungen und der präzisen Wetterinfos nicht der Fall. Jean Le Cam hat mit seiner Schwertjacht deutlich weniger Seemeilen zurückgelegt als die Foiler. Auch hier ist also die Geschwindigkeit entscheidend. Und die hängt je nach Windverhältnissen vom Design der Foils und der Rümpfe ab. Yoann Richomme war bei leichtem Wind schneller und Charlie Dalin kam bei mittlerem Wind zügiger voran.
Wie beurteilen Sie die Entwicklung der Boote? Sie sind heute viel zuverlässiger. Bei den Foilern ist eine Leistungssteige- rung von rund einem Drittel zu beobachten. Und die allerneusten Boote sind gegenüber den Foilern der ersten Generation gleich nochmals 15 bis 20 Prozent schneller geworden. Abgesehen von Pip Hares Unglück vor Australien und Arnaud Boissières Havarie vor den Kapverden haben die One-Design-Masten relativ gut gehalten. Das mag daran liegen, dass an den Wanten Alarmanlagen angebracht sind, die vor zu hohem Druck im Rigg warnen. Die Teams haben bei der Vorbereitung der Boote hervorragende Arbeit geleistet!
In den früheren Regatten mussten im Schnitt rund 40 Prozent der Gestarteten frühzeitig aufgeben, diesmal waren es weniger als 20 Prozent. Abgesehen von ein paar gebrochenen Foils ging diesmal nur wenig kaputt. Früher brachen die Foils beim kleinsten Aufprall. Jetzt sind sie robuster und man muss sehr schnell unterwegs sein oder mit einem grossem Hindernis kollidieren, damit sie zu Bruch gehen. Zudem schützt das Betretungsverbot von Fortpflanzungszonen vor unliebsamen Begegnungen mit Walen. Auffallend ist, dass bei dieser Ausgabe fünfzehn Neulinge dabei waren. Das freut mich natürlich. Dass die Organisatoren die Skipper gezwungen haben, in den Jahren 2023 und 2024 viel auf den Booten zu segeln, hat sich bewährt. So konnte die Zuverlässigkeit der IMOCAs deutlich verbessert werden.
AM STEG DER VENDÉE GLOBE AM 23. JANUAR 2025 IN LES SABLES-D’OLONNE ©Olivier Blanchet
Wie erklären Sie sich die vielen gebrochenen Haken und zerrissenen Segel an dieser Vendée Globe? Die Haken von Karver und die Segel von North Sails waren tatsächlich die Sorgenkinder dieser Ausgabe. Bei Transatlantikregatten halten sie die Distanz, aber nicht bei einer Weltumrundung. Das ist umso ärgerlicher, als sie vermutlich nur unterdimensioniert waren. Die Hersteller bieten eine grosse Bandbreite an verschiedenen Stärken an. Bei der Ergonomie wurden ebenfalls spektakuläre Fortschritte gemacht. Bestes Beispiel ist das Siegerboot von Charlie Dalin. Er konnte die Jacht bequem von der Wachkoje unter dem Hardtop aus steuern. Die gute Sicht, der Komfort und die griffbereiten Bedienelemente gehörten wohl zu den Schlüsselfaktoren für seinen Sieg. Ich verstehe nicht, dass manche Skipper zum Schlafen immer noch in die Kajüte steigen müssen.
Sind die Foiler für den menschlichen Organismus zu brutal geworden? Auf dem Meer kann man Freude am Steuern, an der Aussicht, an der Geschwindigkeit und an der eigenen Leistung haben. Mit dem Aufkommen leistungsfähiger Autopiloten ist die Freude am Steuern verschwunden, und die Hardtops schmälern die Freude an der Aussicht. Der Temporausch wird durch immer heftigere Schläge mehr und mehr getrübt. Je schneller man unterwegs ist, desto mehr leidet man. Das war früher anders. Auf den IMOCA-Jachten kann man sich auch kaum noch über die eigene Leistung freuen. Die Vendée Globe ist zum Leidensweg geworden. Dieser Paradigmenwechsel zeigte sich besonders deutlich bei der Kommunikation mit den Skippern. Sie haben abgesehen von einigen wenigen positiven Erfahrungen nicht von dieser Weltumsegelung geschwärmt
BOISSIÈRES HAVARIE VOR DEN KAPVERDEN AUF LA MIE CÂLINE HABEN DIE ONE-DESIGN-
MASTEN RELATIV GUT GEHALTEN. ©Arnaud Boissières
Die Sicherheit und die Ergonomie der Boote sind also durchaus noch verbesserungsfähig? Bei den meisten Booten wurden Komfort und Sicherheit bereits deutlich optimiert. Es wurden Schaumstoffprotektoren eingebaut. Die Skipper schützen sich zusätzlich mit Helmen und schnallen sich in ihren Kojen an.Dennoch gab es viele Verletzungen: Nackenverspannungen, Verstauchungen und Prellungen. Nichts Ernstes, aber die vielen Schläge hinterlassen ihre Spuren. Die Vendée-Globe-Flotte konnte das Schlimmste verhindern, wenn man bedenkt, dass bei einer Vollbremsung die gleichen Kräfte wirken wie bei einem Sturz aus fünf Metern Höhe! Durch die Foils konnte der Streckenrekord zwar um zehn Tage verbessert werden, die Skipper müssen aber immer härter im Nehmen sein.
Das hat auch das Budget in die Höhe getrieben. Ja, Foils verursachen Mehrkosten in Millionenhöhe. Bei einem neuen Boot kostet ein Paar Foils 500 000 Euro. Mit den Ad-hoc-Studien belaufen sich die Kosten auf eine Million Euro. Wenn man für eine Kampagne zwei davon baut und eines während des Rennens kaputt geht, dann summieren sich die Kosten auf 1,5 bis 2 Millionen Euro. Alles in allem macht das 5 bis 10 Millionen Euro für eine neue IMOCA. Die Foils sind also ein gewichtiger Kostenfaktor.
Charlie Dalin hat nach eigenen Angaben sieben Stunden am Tag Wetterdaten studiert. Wird das die Norm für Skipper? Wer heute um den Sieg mitsegeln will, muss die Routing-Software richtig bedienen können. Nur wer wie ein Ingenieur denken und riesige Datenmengen verarbeiten kann, hat eine Chance, in die Top Ten zu fahren. Es ist kein Zufall, dass die beiden Erstplatzierten Schiffskonstrukteure sind. Für Justine Mettraux ist das natürlich hart. An Deck leistet sie hervorragende Arbeit, aber bei Reparaturen und im Umgang mit Wetterdaten hat sie noch Luft nach oben. Es reicht nicht mehr aus, weniger zu schlafen und die Kälte besser zu ertragen als die Konkurrenz. Diese Zeiten sind vorbei. Die Führenden waren sogar in besserer körperlicher Verfassung als ihre Verfolger und sie hatten einen klareren Kopf.
Was ist von den vielen Figaro-Seglern in den Top Ten zu halten? Beim Einhandklassiker La Solitaire du Figaro spielen Wetter, Strategie und Taktik eine entscheidende Rolle. Auch der Umgang mit Müdigkeit und die eigene Belastbarkeit fallen ins Gewicht. Diese Voraussetzungen reichen jedoch nicht aus, um auf der IMOCA erfolgreich zu sein, da sie nicht viel technisches Können erfordert. Dennoch ist die Figaro eine ausgezeichnete Schule für die Vendée Globe.
Was würden Sie an der Organisation der Vendée Globe ändern? Neue Boote werden klar bevorteilt, das nervt mich unglaublich. Die Politik der Organisatoren privilegiert grosse Budgets und neue Boote, umwelttechnisch ist das ein Blödsinn. Ausserdem sind Boote, die schon um die Welt gesegelt sind, zuverlässiger. Wenn es nach mir ginge, wäre ich bei der Qualifikation neuer Boote strenger als bei jener älterer Modelle.
Sollte man zwei Ranglisten einführen? Eine für die Foiler und eine für Schwertjachten? Zu Beginn der Route du Rhum gab es nur eine Wertung, heute sind es mehr als ein halbes Dutzend. Es müssen bei der Vendée Globe nicht so viele sein, aber zwei Wertungen halte ich durchaus für machbar. Das würde den älteren Booten, den Neueinsteigern und den kleineren Budgets besser gerecht werden.
Soll man es bei den vierzig Teilnehmenden belassen? Ich kenne die Auflagen der Organisatoren nicht genau, insbesonderewas die Hafenplätze und die Sicherheit betrifft. Für diese Ausgabe gab es 41 Kandidatinnen und Kandidaten, 40 wurden zugelassen. Man kann also nicht wirklich von einer Selektion sprechen. Ich gehe davon aus, dass die Zahl der Teams gleich bleiben wird.
Weltumsegelung im Mehrrümpfer gegen den Wind
In die «falsche» Richtung, allein und im Mehrrümpfer. Das – und nichts weniger – hat sich Yvan Bourgnon für 2026 vorgenommen. Die Bestzeit für diese Strecke stellte Jean-Luc Van den Heede 2004 auf seiner Monsterjacht Adrien in 122 Tagen, 14 Stunden, 3 Minuten und 49 Sekunden auf. Sie ist bis heute ungeschlagen geblieben. Yvan Bourgnon aber visiert den Multihull-Rekord an. Der Schweizer will den offiziellen Kurs von Ouessant-Cap Lizard und zurück einhand auf einem Trimaran absolvieren. Er liebäugelt mit dem ehemaligen Idec Sport von Francis Joyon, mit dem Alexia Barrier 2025 versuchen wird, die Jules Verne Trophy zu gewinnen. «Das Boot ist ideal für das Unterfangen. Es wird ab April 2026 für 5 Millionen Euro zu
haben sein.» Bourgnon hat nach eigenen Angaben bereits ein Drittel des Budgets zusammen und feilt weiter an seinem Projekt. «Der grösste Teil der Strecke kann in relativ milden Breiten zurückgelegt werden, sodass man Tiefdruckgebieten entkommt und von den Passatwinden profitiert. Nach dem Atlantik muss man nahe an Patagonien, Australien und Südafrika vorbeisegeln, bevor es in den Nordatlantik geht.» Hauptschwierigkeit bleibt das Kap Hoorn. Dort muss man weit südwärts segeln und hat alle zwei Tage mit Tiefdruckgebieten zu kämpfen. Zwei Versuche mit Mehrrumpfbooten sind gescheitert. 2017 wurde Yves Le Blévec auf Ultim Actual vom einem Hub- schrauber der chilenischen Marine geborgen und im Jahr 2020 strandeten Romain Pillard und Alex Pella in der Cook Bay.
Infos und Kontakt: https://yvan-bourgnon.fr