Seit dem Verlust seines Bootes im Jahr 2013 war Bernard Stamm nicht mehr solo auf einer IMOCA unterwegs, steht aber noch immer in engem Kontakt mit den Weltumseglern. Er hat den Offshore-Crack Jean Le Cam bei seiner Vorbereitung auf die Vendée Globe unterstützt und sogar die Rolle des Ersatzmanns akzeptiert. Stamm musste schlussendlich nicht einspringen, ist aber trotz seiner 60 Jahre offen für neue sportliche Herausforderungen.
«Ich lehne nichts ab, jage aber auch keinen Projekten hinterher. Ich lasse sie auf mich zukommen.»
Wie ist es dazu gekommen, dass Sie für diese Vendée Globe mit Jean Le Cam zusammen-arbeiten und was ist Ihre Aufgabe im Team?
Jean hat mir letztes Jahr angeboten, ihn bei der Vendée Globe zu vertreten, falls er aus irgendeinem Grund verhindert sein sollte. Für mich hiess das: Ich musste mich gleich vorbereiten wie er, das Boot gleich gut im Griff haben und mit ihm gemeinsam Seemeilen sammeln. Letztes Jahr haben wir das Boot parallel zur Transat Jacques Vabre zusammen nach Martinique überführt, damit er dort am Qualifikationsrennen Retour à la Base teilnehmen konnte. Nach meiner Rückkehr Ende November 2023 war ich bis im August dieses Jahres mit der Organisation der Fêtes Maritimes de Brest beschäftigt. Erst danach konnte ich mich wieder auf Jean konzentrieren. Um ihn beim Endspurt auf die Vendée Globe so gut wie möglich zu entlasten, habe ich sein Team geführt, viele zeitraubende Aufgaben übernommen, ihm bei der Materialplanung und der Vorbereitung des Bootes geholfen und ihn auf den verschiedenen Fahrten begleitet.
Sie haben mit Jean den Atlantik überquert und kennen sein Boot. Was glauben Sie: Kann es die neue Schwertjacht mit den Foilern aufnehmen?
Auf bestimmten Kursen sicher nicht. Bei optimalen Bedingungen sind die Foiler rund 25 Prozent schneller. Jean hat aber bei seiner Entscheidung die gesamte Strecke berücksichtigt, denn er will überall seine Leistung abrufen können.
Das Boot soll vor allem im Südpolarmeer schnell unterwegs sein. Was sind seine Vorteile gegenüber den Foilern?
Es wird nie so schnell beschleunigen können wie ein Foiler. Man darf aber nicht vergessen, dass Foils bei ungünstigen Bedingungen eher ein Handicap sind. Jean wollte von Anfang an ein einfaches Boot, das mit möglichst geringen Kosten konkurrenzfähig ist. Schwertjachten sind keine alten Schlitten, auch wenn manche das glauben. Unsere David Raison erreicht unglaubliche Geschwindigkeiten und im Gegensatz zu den Foilern müssen wir nicht bremsen lernen. Wenn Foiler in ein Tief mit Kreuzsee geraten, müssen sie ihre Foils so weit wie möglich einfahren. Da die Foils der neuesten Generation aber riesig sind, bleibt trotzdem ein beträchtlicher Teil im Wasser. Dabei sind unglaubliche Kräfte im Spiel, die man kontrollieren muss. Auch wenn die Skipper am Ocean Race viel gelernt haben, sind Foiler bei bestimmten Bedingungen schwierig zu steuern.
Trotzdem hat man nicht den Eindruck, dass die Führenden auf ihrer Atlantikfahrt auf die Bremse treten mussten. Welche Erkenntnisse haben Sie aus dem ersten Teil der Regatta gewonnen?
Es gab keinen Grund, vom Gas zu gehen. Die Bedingungen waren von Anfang an sehr gut. Bei der Fahrt zum Kap der Guten Hoffnung sind die Teilnehmenden im warmen Sektor des Tiefs geblieben, wo es keine Kreuzsee gibt. Die Vendée Globe ist vor allem ein Ausscheidungsrennen. Entweder du schaffst es, den Druck auf das Boot zu kontrollieren, oder es geht etwas kaputt. Im Grossen und Ganzen haben sich die Prognosen als richtig erwiesen. Die Hierarchie auf dem Papier wurde eingehalten. Abgesehen von einigen Böen hatten alle händelbares Wetter. Die Boote wurden vom Wetter verschont.
Sie verbindet eine bewegte Geschichte mit der Vendée Globe. Hat Ihre Rolle im Team von Jean Le Cam Ihre Begeisterung für die Regatta neu entfacht?
Natürlich macht das Lust auf mehr. Ich bin Pragmatiker: Auf eine Vendée Globe bereitet man sich vier Jahre lang vor. Am Start wäre ich gerne einer von ihnen gewesen, wusste aber, dass es diesmal nicht mein Rennen ist. Ich weiss auch nicht, ob ich es noch einmal wagen werde. Als Jean mich gefragt hat, ob sich sein Ersatzmann sein wolle, hatte ich überhaupt keine Lust, seinen Platz einzunehmen. Schliesslich weiss ich, was eine vierjährige Vendée-Kampagne bedeutet. Es ist sein Projekt und ich war froh, dass er dabei sein konnte. Seitdem meine IMOCA auseinandergebrochen ist, war ich an vielen schönen Projekten dabei: an Rekordfahrten mit Francis (Anm. d. Red.: Joyon), Expeditionen in den hohen Norden mit Mike (Anm. d. Red.: Horn) und an den Fêtes Maritimes de Brest, die mich mehr Energie gekostet haben als eine Vendée Globe! Ehrlich gesagt bin ich es leid, mich verkaufen zu müssen. Ich lehne nichts ab, jage aber auch keinen Projekten hinterher.
Ich lasse sie auf mich zukommen.
©Olivier Blanche
Was ist Ihre schönste Erinnerung an die Regatta?
Meine Ankunft in Les Sables im Jahr 2012. Ich wurde disqualifiziert, weil ein Typ ohne mein Wissen in mein Boot gestiegen war, als ich in vor einer Insel im Süden Neuseelands vor Anker lag. Aber die Zieleinfahrt war magisch. Wenn man so oft unterwegs ist, gewöhnt man sich etwas daran, aber eine Weltumsegelung ist und bleibt einmalig.
Wie halten Sie von der bisherigen Schweizer Leistung an dieser Vendée?
Ich finde es toll, dass so viele Schweizer dabei sind. Justine macht ihre Sache gut, aber der Verlust ihres Vorsegels wird sie behindern. Alan hat den Anschluss verpasst, als er versucht hat, vor der ersten Äquatorüberquerung östlich des Feldes durch die Schwachwindzone zu kommen. Oliver, den ich nicht so gut wie die anderen kenne, hat nicht die gleichen Ambitionen, macht aber sein Ding. Sie sind noch lange nicht am Ziel und haben alle Chancen.