© Gilles Martin-Raget
Seit einigen Jahren werden im Genferseeraum viel Energie, Talent und Geld in die Entwicklung von fliegenden Tragflächenbooten, den so genannten Foilern, gesteckt. Das Ergebnis ist allerdings sehr unterschiedlich. Während die Foiler-Moth und einige schnelle Prototypen wie das Einrumpfboot Mirabaud LX durchschlagende Erfolge feiern konnten, waren andere eine herbe Enttäuschung, denken wir nur an den noch immer in der Testphase steckenden Katamaran Syz&Co oder Projekte, die nie über das Entwurfstadium am Computer hinausgekommen sind, wie der mit Foilern ausgestattete M1. Der im letzten Herbst eingewasserte Hydroptère.ch ist bislang einer der wenigen Tragflächenkatamarane, der die Tempojagd fortsetzt.
Diese doch sehr durchwachsene Bilanz kann die Tempofreaks vom Genfersee aber nicht stoppen. Sie machen sich mit ungebrochenem Enthusiasmus ans Werk und feilen an einer neuen Waffe: dem starren Flügelsegel. Eigentlich ist diese aus dem Flugzeugbau entliehene Technologie nicht neu, auch wenn ihre Handhabung durch die neuen Materialien bestimmt einfacher geworden ist. Das erste starre Segel wurde nämlich bereits 1972 auf den Katamaranen der C-Klasse verwendet. Und im America’s Cup kam es 1988 an Bord des Siegerbootes Stars&Stripes von Dennis Connor erstmals zum Einsatz. Auf dem See erlebte es auf dem Katamaran Altaïr XII einen kurzen Moment des Ruhms, bevor es frühzeitig zu Bruch ging.
In Zusammenarbeit mit Christian Favre von C-System hat Thomas Jundt ein starres Segel entwickelt, mit dem seine Mirabaud LX für die Saison 2011 ausgestattet wird.
Christian Favre hat ein starres Segel entworfen, das auch nach dem Segeln nicht abmontiert werden muss. Sein Trick: die Vorderkante und die 2. Klappe sind abnehmbar (hier auf einem M2).
Der America’s Cup als Auslöser
Seither war das starre Flügelsegel nur noch in der C-Klasse und ihrem „kleinen America’s Cup“ anzutreffen – bis an jenem denkwürdigen Tag, als ein schwarzes Monstrum beim 33. America’s Cup seinen grossen Auftritt hatte. Der mit einem 68 Meter hohen starren Segel ausgestattete amerikanische 90-Fuss-Kataraman setzte dem Schweizer Defender eine vernichtende Niederlage zu. Alinghi 5 hatte den Fehler begangen, in Valencia mit traditionellen Segeln an den Start zu gehen. Die Strafe fiel hart aus, aber der überragende Sieg der BOR90 löste weltweit Begeisterung aus. Fasziniert und überzeugt vom starren Segel, hat Bootsbauer Jean Psarofaghis einen C-Klasse-Katamaran bestellt, damit er einen genaueren Einblick in dessen Funktionsweise erhält. Nebenbei arbeitet er intensiv an einem starren Segel und einem „revolutionären“ Foil für die Moth.
Wer nach Tempo strebt, kommt heute um starre Segel, die manchmal in Kombination mit Foils verwendet werden, kaum noch herum. Christian Favre, Macher des Ventilo und Entwickler des Katamarans M2, warnt jedoch vor Übereifer: „Das starre Segel ist nur auf sehr schnellen und damit sehr leichten Booten, die Geschwindigkeiten von 20 Knoten und mehr erreichen, sinnvoll.“ Das schmälert die Tragweite der bevorstehenden Revolution natürlich erheblich. Bei den Einrümpfern scheint das starre Segel auf Boote wie die Moth und die Mirabaud LX beschränkt zu sein. Bei den Mehrrümpfern hingegen dürfte es häufiger zur Anwendung kommen. Dies gilt besonders für die M2, an denen Christian Favre im Hinblick auf die geplante Einwasserung im Herbst 2011 gerade auf Hochtouren arbeitet.
Kein Abmontieren des Flügelsegels mehr
„Das starre Segel stellt uns eigentlich vor keine unlösbaren Probleme. Seine Strukturen sind bekannt, sie gleichen stark denen eines alten Segelflugzeuges mitsamt Spieren und Längsträgern, die früher mit einem dünnen Tuch überspannt waren“, erklärt Favre. Die Herausforderung liegt anderswo: „Die starren Flügelsegel sind ein ziemlich grosses Handicap. Man kann sie nach dem Segeln nicht einfach in Position lassen, da sie dem Wind viel zu viel Fläche bieten. Bei sehr leichten Booten, die man einfach auswassert, stellt sich dieses Problem nicht, ganz im Gegensatz zu Booten, die vertäut oder verankert werden.“
Doch Christian Favre scheint die Lösung für dieses Problem gefunden zu haben. Über seinen Bildschirm gebeugt sieht er sich die Risse des M2 mit Flügelsegel an und erklärt: „Man braucht die Fläche des Flügelsegels nur um 60 Prozent zu reduzieren, dann kann man auch die Struktur stehen lassen.“ Damit beschäftigt sich der Bootsbauer aus Rolle schon eine ganze Weile und scheint jetzt kurz vor dem entscheidenden Durchbruch zu stehen. Er hat ein System entwickelt, mit dem das Flügelsegel vor und hinter dem Mast auf Höhe der äusseren Klappen abgestreift werden kann.
Für Ventilo steht viel auf dem Spiel, denn wenn der M2 mit Flügelsegel den Erwartungen gerecht wird, könnte er zum Trainingsboot für die Teams des 34. America’s Cups werden. Im Cupregelement sind Boote von über 10 Metern verboten, was die D35 de facto ausschliesst, dafür aber genau auf die M2 mit ihren 28 Fuss passt. „China und die USA suchen bereits nach Occasionsbooten“, freut sich Christian Favre. Er würde es natürlich gern sehen, wenn sein Genfersee-M2 international Furore machen würde.
Der Waadtländer Konstrukteur weist noch auf einen weiteren Aspekt hin, der für Flügelsegel spricht: „Mit einem starren Segel zu segeln erleichtert das Handling und macht das Boot stabiler.“ Es lässt sich ohne Traveller und ohne Grossschot so trimmen, dass die Krafteinwirkung augenblicklich verändert wird. Die Leistung wird auf allen Kursen verbessert – auch am Wind, wo man unglaubliche Winkel erreicht. Den Gennaker, der sie bei 1 bis 6 Knoten Wind so schnell macht, wird auf dem. Am Rigg wird nur eine Änderung vorgenommen: Das Boot wird mit Backstagen ausgerüstet, um die fehlende Grossschot zu ersetzen und das Stag zu spannen.“
Christian Favre hat noch andere Eisen im Feuer. Er wirkt auch bei der Entwicklung des starren Segels mit, das Thomas Jundt diesen Frühling auf seiner Mirabaud LX installieren möchte. „Es wird sich um ein traditionelles Flügelsegel handeln“, sagt Favre, „denn es wird nach dem Segeln auf keinen Fall stehen gelassen.“
© Gilles Martin-Raget
Nicht starres Flügelsegel für Cruiser
Es stellt sich die Frage, ob diese Entwicklungen auch dem Fahrtensegler zugutekommen. Die komplizierten starren Segel werden ihn wohl zumindest mittelfristig kaum betreffen. Profitieren könnte er aber durchaus von einem anderen System, dem „nicht starren Flügelsegel mit verstellbarem Profil“. Es wurde vom ehemaligen Luftwaffenpiloten Ilan Gonen von der Firma Omer Wing Sails entwickelt und ist bereits auf einigen traditionellen Booten wie der Elan 37 und den jüngsten Generationen der Wally anzutreffen. „Es wird aus Segeltuch gefertigt und wie ein Grosssegel gehisst, gerefft und zusammengelegt“, erklärt Ilan Gonen in einem Artikel. Zudem ist es äussert einfach zu bedienen und nach Angaben des Herstellers ideal fürs Fahrtensegeln, denn der Mast ist selbsttragend und die Fock nutzlos. Vielleicht werden diese aufs einfachste reduzierten Riggs ja auch bald auf unseren Seen Einzug halten…