Der schwarz-weisse Karbonrumpf presst heftig gegen den 1 x 2 Meter grossen, quadratischen Fender, der den derzeit weltweit grössten, teuersten (vermutlich im zweistelligen Millionen – bereich) und technisch ausgefeiltesten Trimaran von der Dockmauer trennt. Es ist das siebte Mal, dass die Crew von BMW Oracle Racing ihre neueste Errungenschaft, den 90 x 90 Fuss-Trimaran für das mögliche Deed-of-Gift Match des 33.America´s Cups, fertig macht und zum Testen in die Strasse von Rosario bei Anacortes/USA segelt. Der Wind ist auflandig und vier Schlauchboote mit je einem 115 PS-Motor steuern volle Kraft gegen den Hauptrumpf des Trimarans, um das Boot vom Dock zu lösen. Im offenen Wasser angekommen gleitet der Dreirümpfer zu nächst ganz ohne Segel durch die niedrigen Wellen. Der Mast – ein 48 Meter hoher Hohlkörper aus Karbon, der breit genug ist (ca. 1,00 m), damit im Inneren ein Mann hochklettern könnte – reicht aus, um die elegante Konstruktion in Bewegung zu setzen. In ausreichender Entfernung zum Ufer wird dann das Grosssegel zum ersten Mal überhaupt ohne Reff gesetzt. Die Männer an den Winschen werden dabei von hydraulischen Systemen unterstützt, denn mit reiner Manpower liesse sich das 500 m2 grosse Segel nicht vollständig hissen. Edel und graziös wie ein Schwan mit ausgebreiteten Flügeln nimmt das Boot Fahrt auf und segelt auf zwei Rümpfen leise davon. Dann wird das 350 m2 grosse Vorsegel gesetzt. Jetzt hebt sich bei nur 5-6 Knoten Wind auch der Mittel rumpf aus dem Wasser und das Speedometer des parallel fahrenden Begleit bootes zeigt 22 Knoten über Grund an. Welche Boots geschwindigkeit wird der Trimaran wohl erreichen, wenn der 700 m2- Gennaker gesetzt wird? Die Theo retiker prognostizieren 40 Knoten, einige glauben sogar, dass die 50-Knoten-Grenze gebrochen werden kann. Erstaunlich dabei ist die Beweglichkeit und der kleine Radius, auf dem das gigantische Boot wenden kann. Noch fährt das beeindruckende Monster mit angezogener Handbremse. “Wir haben ein Sicherheitssystem eingebaut, das vor Erreichen von 100% Nutzlast Alarm gibt, um destruktive Fehler in der aktuellen Phase zu vermeiden“, erklärt James Spithill, der neben Franck Cammas, John Kostecki und Russell Coutts im Ruderstand steht. Denn so elegant und formschön der Trimaran auch ist, er ist auch ein riskantes und schnelles Geschoss. Spithill: “Wenn dir bei einem AC-Cupper der Rule 5 das Ruder bricht, kann man das abfangen. Bricht hier ein Ruder, dann war es das.“ Und wenn Franck Cammas das Schiff mit 25 Knoten Speed auf einem Rumpf durch die Wellen steuert, schwebt er in seinem balkonähnlichen Ruderstand hinten am Decks – balken Minimum 6-8 Meter frei über dem Wasserspiegel. Die bislang unerreichte Breite des Segelbootes ermöglicht zwar einen enorm hohen Mast, dieser erhöht aber auch mit jedem Meter die Gefahr einer Vorwärtsrolle. Schwimmwesten sind daher an Bord Pflicht und Helme werden von den meisten der 15 bis 20 Besatzungsmitglieder freiwillig getragen. Noch sitzt niemand auf den Aussenrümpfen; die Mannschaft bewegt sich nur auf dem Mittelrumpf. Das wird in San Diego, wo das Team im Oktober und November weiter testet und trainiert, sicher anders. Schritt für Schritt und mit gebotener Vorsicht wollen sich die Segler an das Potenzial des Bootes herantasten und lernen, wie man den Trimaran am Besten schnell und sicher segeln kann. Nur so kann man Fortschritte machen und das Boot weiter optimieren. Russell Coutts: “Wir lernen beim Segeln auf dem Multi sehr viel mehr als wir preisgeben.” Berührungs ängste mit dem Ver teidiger hat das Team also nicht. Tom Schnackenberg, Segeldesigner bei Alinghi, wird deshalb auch freundlich begrüsst und kommt in den ersten Testtagen mit seinem Schlauchboot längsseits zu einem kleinen Plausch. Und Tom Ehman ergänzt: “Der Tri ist ohnehin viel zu gross, um ihn zu verstecken.” Um für alle Fälle gerüstet zu sein, arbeiten beide Teams an ihren Multihull-Pro grammen weiter, obwohl aufgrund des anhaltenden Gerichtsstreits nicht sicher ist, ob die überdimensionalen Mehr rümpfer jemals gegeneinander antreten werden.
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