Wie alles begann
Das Besondere an dieser Regatta ist die Mischung aus klassischen und modernen Yachten. Wie es dazu kam: Am 2. Oktober 1981 segelten die historische 12mR Ikra und die moderne Swan 36 Pride gegeneinander. Ihre Eigner Jean Rédélé und Dick Jayson hatten am Vortag bei einem Glas Wein eine Wette abgeschlossen. Auf dem Spiel stand ein Teller Seeigel im Club 55. Die Regatta führte um eine Boje, mit der die Untiefe Nioulargo vor Pampelonne gekennzeichnet war. Frédéric Jaubert hielt die Wettfahrt mit seiner Kamera fest und veröffentlichte ein Bild in der Lokalzeitung. Die Reaktion liess nicht auf sich warten. Mehrere Eigner anderer moderner und klassischer Yachten wollten ebenfalls mit von der Partie sein, falls sich das Ereignis wiederholen sollte. Der Club 55 Cup war geboren. Patrice de Colmont und ein paar genauso verrückte und geniale Freunde gründeten den International Yacht Club von Pampelonne. Er hatte nie mehr als neun Mitglieder, führte aber den hübschen Namen „Traditionsyachten“ als Bezeichnung für die klassischen Yachten ein. 1983 wurde aus dem Club 55 Cup die Nioulargue. Maxi-Yachten, Dreimaster, 12er-Multis, Kutter, Schoner, Schiffe aus Teak und Karbon, Lateinerbarken und 8er, alle werden sie seither in zwei Kategorien zusammengefasst: die Modernen und die Traditionsyachten. 1995 weigerte sich die vorfahrtsberechtigte kleine 6mR Taos Bret IV bei voller Fahrt am Wind abzufallen und kollidierte mit Mariette, einem schweren, über 40 Meter langen Schoner, der sich noch mitten im Startmanöver befand. Drei Besatzungsmitglieder konnten sich retten, ein vierter ertrank. Patrice de Colmont beschloss einen Schlussstrich zu ziehen. Im darauf folgenden Jahr fand die Regatta nicht statt, doch aus Solidarität zu den vor Gericht gezerrten Organisatoren fanden sich dennoch alle Yachten in St. Tropez ein. Auf Bitte der Gemeinde führte die Société Nautique den Anlass in den Jahren 1997 und 1998 in gemässigterer Form unter dem Namen „Coupe de la Ville de Saint-Tropez“ durch. 1999 wurden auf Initiative des amtierenden Präsidenten André Beaufils die Voiles de St. Tropez als direkte Nachfolgerin der Nioulargue aus der Taufe gehoben. Jedes Jahr festigt der Prestigeanlass seinen Ruf als wichtigstes und unterhaltsamstes Yachttreffen der Welt und krönt St. Tropez zur europäischen Segelhauptstadt.
Dieses Jahr zählte die Flotte 116 klassische Yachten, darunter fünf hundertjährige. Von den riesigen Cambria und Eleonora bis hin zu den winzigen Peggy Bawn und Eva war für jeden etwas dabei. Die Schweizer waren mit ihrem Dreitonner Phoebus, einer nach Plänen von 1903 gebauten Kopie, angereist. Er war in guter Gesellschaft, denn auch der französische, 1911 gebaute Dreitonner Calypso vom Genfersee, der in seinem Heimatrevier einst für Angst und Schrecken sorgte, und die 6-Meter-Yacht Dix-Août des Präsidenten des Yacht Club de France hatten St. Tropez mit ihrer Anwesenheit beehrt.
Waschechte Älpler
Guy de Maupassants 1888 veröffentlichter Reisebericht „Auf dem Wasser“ enthält eine begeisterte Beschreibung von St. Tropez und eine liebevolle Schilderung seiner Bewohner. Der französische Schriftsteller hatte das kleine Dorf entdeckt, als er 1887 mit seinem Segelboot Bel Ami die Côte d’Azur entlangfuhr. „St. Tropez ist eine dieser reizenden und einfachen Meerestöchter, diese netten Städtchen, meergeboren wie Schalentiere, die Seefahrer zeugen“, schrieb er. Diese Darstellung veranlasste Patrice Colmont zur Aussage, dass die Einwohner von St. Tropez wohl nichts mehr erstaunen könne. „Als jedoch eines schönen Morgens eine etwas seltsame Gruppe Bergleute den Kai entlang spazierte, war es nicht so sehr ihre Aufmachung, die uns stutzig machte, sondern vielmehr ihr Gesang und ein seltsames Instrument, das man hier – grosses Ehrenwort – noch nie gesehen hatte! Aus einiger Entfernung hätte man das Ding für einen Elefanten halten können und einige verblüffte Zeugen schworen denn auch, es handle sich um einen Dickhäuter. Schliesslich war letzte Woche in Cannes an den Régates Royales tatsächlich ein Elefant durch die Strassen gezogen, auf dem ein bärtiger, grinsender Maharadscha thronte. Die lustige Truppe hielt vor der unter Schweizer Flagge segelnden Dix-Août. Die Bergler hatten den ganzen Kai geweckt. Ich trat einen Schritt näher und stellte verblüfft fest, dass der Elefant in Wahrheit ein Alphornspieler war! Kein Zweifel, es handelte sich um Schweizer. Aber warum waren sie hier? Sie erklärten mir: „Wir sind eine Delegation des Yacht Club von Les Diablerets (ein Wintersportort in den Waadtländer Alpen) und sind gekommen, um die Imperial Djeezuphur Yacht Squadron herauszufordern, deren rechtmässiger Präsident Pierre-Paul Heckly, Eigner der Dix-Août und Radja des legendären Reichs Djeezuphur ist. Die Begegnung wird in diesem Sommer auf dem Arnonsee in 1600 Metern Höhe auf Laser stattfinden.“ Blieb nur noch die Frage, wie sie es angestellt hatten, das Alphorn nach St. Tropez zu transportieren. Bouboulle alias J.-F. Burckhalter ist ein wahres Wunderwerk gelungen. Er hat ein zerlegbares und ausziehbares Alphorn ganz aus Karbon hergestellt, das sich in einem kleinen Koffer verstauen lässt.
Die unbesiegbare Calypso
Die Calypso und ihre Crew, angeführt von Admiral Hubert Foillard, dem Präsidenten der Amerami-Vereinigung, sind uns allen ans Herz gewachsen. Wie oft erreichte doch die tief im Wasser liegende Binnenseeyacht nach Starkwindläufen völlig durchnässt das Ziel. Das Schiff aus dem Jahr 1911 zählt zu den historischen Monumenten und segelt deshalb zwingend unter französischer Flagge. Es wurde von der „Association Amerami“, einer Gruppe passionierter Segler anvertraut. Sie haben den Auftrag, die Calypso auf dem Genfersee segeln zu lassen. Am 5. Oktober 2002 wurde letztere offiziell von der Gemeinde Nernier willkommen geheissen. Um das noble Unterfangen zu unterstützen, stellt Nernier dem Schiff kostenlos einen Hafenplatz zur Verfügung. Die Calypso ist ein nach Plänen von Guédon gebauter Dreitonner der veränderten Godinet-Vermessung von 1892, die 1906 von der International Rule abgelöst wurde. Ihre Rückkehr auf den Genfersee ist gleichzeitig auch eine Rückkehr zu ihren Wurzeln, denn sie wurde ursprünglich für den Genferseesegler Pictet de Richemont gebaut und war bis 1983 auf dem Genfersee stationiert. In den ersten drei Jahren nach ihrem Stapellauf heimste die Calypso 51 Preise ein! Nachdem sie vierzig Jahre lang im Besitz der Familie Vincent aus Lyon gewesen war, wurde sie von Amerami aufgekauft, restauriert und am 7. Februar 2002 in Le Havre eingewassert. In Seyne-sur-Mer wurde sie wieder regattatüchtig gemacht und anschliessend nach St. Tropez überführt. In seinem Bildband „L’air du large, anecdotes lémaniques, 1980-1991“ bezeichnete Jean-Pierre Larpin die Calypso als „unschlagbar“ und widmete ihr ein ganzes Kapitel. Worauf war ihre Überlegenheit zurückzuführen? Legen Sie einen Balken und ein Brett aufs Wasser und verholen Sie beide. Das Brett wird gewinnen. Genau dieses Konzept liegt auch der Calypso zugrunde. Fügen Sie dem ein perfektes Manöver, einen erfahrenen Steuermann, ein geübtes Auge und etwas Glück hinzu und Sie haben die besten Voraussetzungen für einen Sieg. Dass die Calypso damals von ihrem Eigner gesteuert wurde, der nicht nur Europameister bei den Zweitonnern war, sondern auch als bester Skipper seiner Zeit galt, spielte natürlich ebenfalls eine wesentliche Rolle für den Erfolg. Jean-Pierre Larpin schildert in seinem Buch eine apokalyptische, 1916 gesegelte Regatta, bei der die Leichtwindyacht nicht gegen die starke Bise anzukommen schien. Als man sie schon geschlagen gab, geschah das Undenkbare. Um die Calypso vorne zu entlasten, wurde der gesamte bewegliche Ballast nach achtern verlegt und auch die Crew legte sich bäuchlings nach hinten. Mit einem aufs höchste gerefften Gross, Fock Nr. 3 und Stagfock schoss die Yacht durch die Zweimeterwellen und erreichte mit einem Schlag die Boje vor Coppet, die sie ohne zu entmasten rundete. Zwischen Coppet und Versoix war die Bise so stark, dass der Baum im Wasser hing, der Bug in jede Welle eintauchte und Wasser ins Cockpit schwappte. Dann wurde auch der Spiegel überschwemmt und das Wasser drang von hinten ins Cockpit. Mit der Wut der Verzweiflung schöpfte die Crew, als ginge es um ihr Leben. Auf Höhe der Boje vor Versoix dann das grosse Aufatmen. Erst jetzt erkannte die Crew, dass sie ihre Konkurrenten weit hinter sich gelassen hatte. Die waren es leid, immer den kürzeren zu ziehen und erklärten, dass sie künftig schön vertäut im Hafen bleiben würden, wenn es die Calypso nochmals wagen sollte, gegen sie zu anzutreten!
Überragende Al Na’Ir III
Fabio Mangione und die Al Na’Ir III sind unersättlich, sie haben die Voiles de St. Tropez schon wieder für sich entschieden! Allerdings mussten die dreifachen Sieger der Prada-Challenges 2002 bis 2004 die Panerai Trophy (die italienische Uhrenmarke hat die Schirmherrschaft der Mittelmeer-Tour übernommen) diesmal Mike Horsley und seiner Outlaw überlassen. Die Al Na’Ir III ist eine Yacht, wie wir sie lieben, eine Yacht, die sich auch im Alter gut hält, denn Olin Stephens versteht es wie kein anderer zeitlose Schiffe zu zeichnen. Neben einer vernünftigen Grösse von 14,46 m zeichnet sich die Al Na’Ir III durch einen Alu-Mast, einen Holzrumpf, einen Spruce-Baum, Lack-Roofs und ein Teak-Deck aus. Sie liegt tief im Wasser, besitzt eine relativ grosse Segelfläche, krängt dank des hervorragenden Gleichgewichts kaum und hat auch am Wind eine relativ kleine benetzte Oberfläche. Sie ist auf allen Kursen leistungsstark, läuft bei Starkwind zu Höchstform auf und ist auf Amwindkursen bei extremen Verhältnissen buchstäblich unbezwingbar. Die von Olin Stephens nach der RORC-Formel als Klasse 1 gezeichnete Yacht wurde in der damals unbekannten italienischen Werft Carlini bei Rimini gebaut. Auftraggeber und Eigner war Antonio Perobon, einer der berühmtesten Zahnärzte der Welt und ein leidenschaftlicher Amateur-Yachtman, der alle seine Schiffe Al Na’Ir nannte. Um seinem Hobby zu frönen, gönnte sich Perobon stets lange Sommerferien, in denen er von Italien bis nach England segelte und in Cowes an Regatten teilnahm. Er bestritt die Fastnet (mit Rod Stephens am Steuer) und fuhr 1965 als privater Teilnehmer – und nicht im offiziellen italienischen Kader – den Admiral’s Cup, wo die Al Na’Ir III mit der amerikanischen Favoritin Wind Rose, kollidierte, weil ihr diese die Vorfahrt verweigert hatte. In St. Tropez bestätigte die Al Na’Ir III einmal mehr ihre Überlegenheit und entmutigte wie einst die Calypso ihre Gegner.
Wind in den Segeln
Die Ankunft der Flotte der klassischen Yachten am Sonntag ist stets ein besonderes Highlight. Die Schiffe legen jeweils am Mittag in Cannes ab und tragen den Herbstcup des Yacht Club de France aus. Ungeduldig halten die Zuschauer nach den grossen Segeln Ausschau, die sich vor das Esterel-Massiv schieben und nach und nach den Golf von St. Tropez füllen. Dieses Jahr hatte die Rennleitung beschlossen, die 23-Seemeilen-Strecke zu kürzen und auf die Boje vor Fréjus zu verzichten, damit die Yachten direkten Kurs auf St. Tropez nehmen konnten. Der Grund: Man hatte in der „Baie des Anges“ grobe See und einen auffrischender Wind von 4 bis 5 Beaufort, d.h. 40 bis 50 km/h, angekündigt, der zu alledem noch aus Westsüdwest wehen und nach Nordnordwest drehen sollte. Die einstimmigen Wetterprognosen stellten sich jedoch als etwas zu optimistisch heraus. Zwischen Esterel und St. Tropez wurden Spitzen von 47 Knoten gemessen! Die kleinen Einheiten waren vorsichtig; sie hatten bereits am Morgen auf eine Teilnahme verzichtet. Zahlreiche grosse Yachten kamen denn auch bereits an der Pointe de l’Aiguillon in Schwierigkeiten, so dass die Teams beschlossen, die Segel dichtzuholen und unter Motor bei Fréjus Schutz zu suchen. Am späten Nachmittag tauchte der wunderschöne Schoner Altair auf und machte als Sieger am Ehrenkai fest. Das Wetter in dieser Oktoberwoche war wie gewohnt launisch und abwechslungsreich. Am Dienstag, dem ersten Regattatag für klassische Yachten, legte eine Flaute die Flotte lahm. Am Mittwoch wurde bei ganz leichtem Wind gesegelt. Um zu verhindern, dass die Mehrheit der Yachten nach der vorgegebenen Zeit ins Ziel kam, brach die Rennleitung den Lauf ab und zog sich damit den Unmut der Teilnehmer zu, denn diese spürten ein leichtes Auffrischen, nachdem sie sich Meter für Meter nach vorne gearbeitet hatten. Am Freitag bildeten sich unter dem heftigen Wind riesige Wellen, die in Richtung Golf rollten und sich an den Bugen aufbäumten. Durch die wegen des starken Wellengangs eingeschränkte Manövrierbarkeit und die reduzierte Sichtbarkeit, die durch die starke Konzentration der Boote an der Startlinie verursacht wurde, lässt sich wahrscheinlich auch der Zusammenprall zwischen der Irina VII, einem Marconi-Kutter aus dem Jahr 1934 (File & Son), und der Ketsch Escorpion (Frers 1943) erklären. Die Irina VII hatte der Escorpion auf backbord die Vorfahrt verweigert, wurde dabei am Heck beschädigt und musste aufgeben. Mit dem Start der gros-sen Gaffelyachten erreichte die Show der Traditionsyachten einen weiteren Höhepunkt. Die Gischt der sich am Bug der Eleonora brechenden Wellen explodierte wie ein Feuerwerk. Ein absolut traumhafter Tag, der die zahlreichen Zuschauer hellauf begeisterte. Die SNST freute sich über den Sieg der Albacor IV, einer von Jean-Louis Pezin gesteuerten J 109. Am Samstag konnte die gesamte Flotte bei einem 15 Knoten starken Mistral und einigen bis zu 20 Knoten starken Böen die Woche gebührend zu Ende bringen. Die Sieger in den verschiedenen Klassen hies-sen Mariette, Joyant, Bona Fide, Agneta, Cholita, Siris, Eugenia V, Al Na’Ir III, Fantasque und Charisma. Die kompletten Resultate finden Sie unter www.snst.org
Der Pokal der „Grande Classe“
Der Donnerstag ist ganz dem Club 55 Cup gewidmet. Seine Besonderheit besteht darin, dass der Titelinhaber den Challenger auswählt. Die ultraschnelle The Blue Peter, eine nach Plänen von Mylne im Jahr 1930 gebaute 30-Meter-Yacht, wurde von der 12mR Ikra herausgefordert. Sie liess nichts anbrennen und erreichte als erste die Bar des Club 55. Als Siegerin wird The Blue Peter 2006 ihren neuen Gegner bestimmen. Am gleichen Tag wird auch die „Trophée de la Grande Classe“ ausgetragen. Sie wurde letztes Jahr eingeführt und vereint die schönsten in St. Tropez anwesenden „Racer“. Eine Teilnahme ist nur auf Einladung möglich. Sieger ist, wer in gesegelter Zeit als erster die 25 Seemeilen lange Strecke um die Nioulargo zurückgelegt hat. 2005 hiess die Gewinnerin Mariquita. Sie hatte die Eleonora, eine wunderschöne Kopie der Herreshoff-Yacht Westward aus dem Jahr 1910, um eine knappe halbe Bootslänge bezwungen. Mariquita brachte den Wanderpokal in Form eines halben Rumpfes des englischen Challengers Valkyrie II (1893) wieder ins Spiel, denn er geht erst nach drei Siegen in den Besitz des glücklichen Gewinners über. Dieses Jahr trachteten sieben Yachten nach dem Pokal: der Marconi-Kutter Cambria, eine Fife aus dem Jahr 1928 und einzige 23mR der Welt mit einer Länge von 34,55 m; der 41,60 m lange Gaffelschoner Eleonora; die Fife-Yacht Mariquita, eine 38 Meter lange 19mR mit Baujahr 1911; der Gaffelkutter Moonbeam IV (Fife, 1914/1920, 29 m); der 31-Meter-Gaffelschoner Sunshine; die Shamrock V (Nicholson, Classe J-1930) und die Velsheda (Nicholson, J-Class, 1932). Nach einem atemberaubenden letzten Vorwindkurs schoss die Cambria vor der Mariquita mit gekreuzten Segeln ins Ziel. Schlusslicht Sunshine erhielt den Holzlöffel.