Vom 5. bis 13. Oktober findet in Barcelona der erste Women’s America’s Cup statt. Eine ideale Gelegenheit, die Teilnahme von Frauen an der Regatta in ein neues Licht zu rücken.
Text: Quentin Mayerat
Bis auf wenige Ausnahmen waren Seglerinnen lange von der ältesten Sporttrophäe der Neuzeit ausgeschlossen. In Barcelona erhalten nun endlich auch sie die Chance, ihr Können unter Beweis zu stellen und glorreiche Momente zu erleben. Obschon das Format und die in die Regatta investierten Mittel ein eklatantes Ungleichgewicht zwischen dem Männer- und dem Frauenanlass offenbaren, wird der Women’s America’s Cup von vielen als wichtiger Schritt auf dem Weg zu mehr Geschlechtergerechtigkeit im Segelsport wahrgenommen. Alinghi Red Bull Racing hat im Frühling 2023 ein neuartiges Selektionsverfahren gestartet, bei dem sechs Frauen und sechs Nachwuchstalente ausgewählt wurden, die die Farben des Syndikats hochhalten sollen. Doch was erwarten die Seglerinnen selbst von ihrem ersten America’s Cup? Und wie stehen ihre Chancen auf den Sieg?
Hochkarätiges Teilnehmerfeld
Am Women’s America’s Cup treten zwölf Teams in zwei Sechsergruppen gegeneinander an: zum einen die Teams der Cup-Syndikate, zum anderen die Gastteams aus Spanien, den Niederlanden, Australien, Kanada, Schweden und Deutschland. Die drei Erstplatzierten jeder Gruppe erreichen das Halbfinale, die beiden besten Halbfinalisten ziehen ins Finale ein, wo sie in einem einzigen Match Race den Sieg unter sich ausmachen. Insgesamt stehen je nach Ergebnissen pro Team zwei bis vier Regattatage auf dem Programm. Kurz und bündig, ja schon fast speditiv. Da bleibt kein Raum für Fehler. Wie es aussieht, starten die Schweizerinnen in der stärkeren Gruppe. Über das Niveau der anderen AC40-Crews ist jedoch momentan noch nicht viel bekannt. Coraline Jonet, Leiterin des Youth & Women-Programms bei Alinghi Red Bull Racing, bestätigt die regelbedingt eingeschränkten Vergleichsmöglichkeiten: «Bis Ende Juli dur£en wir nicht mehr als 20 Sekunden auf dem gleichen Kurs wie unsere Konkurrentinnen segeln. Dabei mussten wir stets einen Mindestabstand von 400 Metern einhalten. Und wie den Männern war es auch uns verboten, eine Boje mit weniger als 30 Sekunden Abstand zu passieren.» Bei den Frauen gelten also ebenso drakonische Regeln wie bei den Männern, allerdings kommt erschwerend hinzu, dass die Frauenteams – ebenso wie im Übrigen die Youth Teams – keine Vorrunden austragen.
Wissenstransfer
Bis zum Start der Regatta werden die Schweizerinnen in den Frauen- und Jugendteams nur rund vierzig Tage gemeinsam auf dem Wasser trainiert haben. Ein intensives Programm: Neben den Trainingseinheiten absolvierten sie einen Crashkurs bei ihren Kollegen und den Technikteams. «Wir wurden von Jason Waterhouse gecoacht, ein Glücksfall! Er hat uns bei unseren ersten Ausfahrten in Dschidda im vergangenen Winter die Grundlagen des AC40-Segelns beigebracht. Das hat uns geholfen, den Lernprozess zu beschleunigen und grobe Fehler zu vermeiden», berichtet Nathalie Brugger, die Skipperin des Schweizer Teams und zweifache Olympiadiplom-Gewinnerin (Peking und Rio). Trotz ihrer grossen Erfahrung musste sie wie die meisten ihrer Teamkolleginnen das Foilen von Grund auf lernen. «Abgesehen von Laurane Mettraux, die am SailGP teilnimmt, hat niemand von uns Erfahrung mit über 40 Knoten schnellen Booten», stimmt ihr Coraline Jonet zu.
Das Frauen- und das Jugendteam müssen mit den vorhandenen Mitteln das Maximum herausholen. Das geschieht laut Nathalie Brugger mit verschiedenen Massnahmen: «Trotz der Einschränkungen, die es uns verunmöglichen, unter optimalen Bedingungen zu trainieren, haben wir an sehr nützlichen Workshops mit den Technikern und Ingenieuren teilgenommen. Ausserdem haben wir viel Zeit am Simulator und mit Videoanalysen verbracht. Die Arbeit an Land ist genauso wichtig wie die auf dem Wasser.»
Die AC40 ist kein gewöhnliches Boot. Wie auf den AC75 wechseln die Steuerfrauen nicht bei jeder Kursänderung die Seite. Sowohl an Steuer- als auch an Backbord ist je eine Skipperin und eine Trimmerin am Werk. Die Kommunikation ist dabei von entscheidender Bedeutung, denn die Segel versperren auf Leekursen die Sicht. «Ich musste diese Art von Segeln erst lernen», betont Nathalie Brugger. «Während ich steuere, muss ich die Flughöhe und den Anstellwinkel der Foils bestimmen. Wir definieren die Werte und der Computer regelt dann den Flug.» Die 25-jährige 49erFX-Spezialistin Alexandra Stalder kam mit der AC40 besser zurecht als erwartet: «Das Boot lässt sich einfacher steuern als gedacht. Bei wenig Wind ist es allerdings nicht ganz einfach, es in der Lu¦ zu halten. Auch die Vorstarts sind kni§ig, vor allem wegen der Boundaries und weil wir die Strategien der anderen Teams nicht kennen. Wir arbeiten deshalb am Simulator mit verschiedenen Konfigurationen.»
LAURANE METTRAUX SEGELT AUF ALLEN ETAPPEN
DES SAILGP. DIE GROSSE ERFAHRUNG, DIE SIE
MITBRINGT, DÜRFTE SICH ALS PLUSPUNKT ERWEISEN.
WENN SIE NICHT AUF DEM WASSER TRAINIEREN, SITZEN SIE AM SIMULATOR.
Coraline Jonet, Matías Bühler und Pierre-Yves Jorand, die kreativen Köpfe des Youth & Women Programms, haben mit den begrenzten Mitteln alles unternommen, damit ihre Schützlinge bestens vorbereitet in den Wettkampf starten können. Das weiss auch Nathalie Brugger. «Uns ist klar, dass das Cup-Team Priorität hat. Alle Ressourcen sind in das Projekt geflossen und das ist auch legitim», bekrä igt sie. «Wir werden die uns zur Verfügung stehenden Instrumente bestmöglich nutzen und bis am Tag vor der ersten Regatta dazulernen.»
Ein Sprungbrett für Frauen?
Das Schweizer Team besteht aus lauter Talenten mit viel Erfahrung in olympischen Bootsklassen. Anja von Allmen, Marie Mazuay und Maja Siegenthaler brauchen den Vergleich mit der Konkurrenz nicht zu scheuen. Sie alle wissen, dass dieser Wettkampf trotz der Defizite ein Sprungbrett für die weitere Karriere sein kann. Alexandra spricht gar von der «grössten Chance ihres Lebens» und Nathalie Brugger meint dazu: «Für mich beginnt nach Olympia ein neues Kapitel.»
Teamchefin Coraline Jonet geht davon aus, dass sich der Women’s America’s Cup generell positiv auf den Frauen-Segelsport auswirken wird. «Auf der AC40 spielt die Muskelkra keine Rolle, da sind wir den Männern ebenbürtig», begründet sie ihre Einschätzung. Dennoch gebe es noch viel zu tun: «Frauen haben viel weniger Erfahrung mit Foilern als Männer. Diesen Rückstand gilt es aufzuholen. Die diesjährige America’s-Cup-Premiere ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber es braucht noch mehr solcher Initiativen, damit möglichst viele Stunden auf dem Wasser zusammenkommen.» Es gebe Gerüchte, dass eine Regattatour auf den AC40-Jachten in Planung sei, verrät sie. Das könnte helfen, die Dynamik aufrechtzuerhalten und mehr Frauen die Möglichkeit zu geben, Boote mit über 40 Knoten zu segeln.
Bei Alinghi Red Bull Racing ist man optimistisch: «Wir sind uns der Rolle der Events als Sprungbrett bewusst», beteuert Coraline Jonet. Fünf unserer aktuellen Teammitglieder haben am Youth America’s Cup teilgenommen.» Alle fünf sind Männer! Bleibt zu hoffen, dass auch Frauen durch den America’s Cup einen Karriereschub erhalten. Derzeit lassen sich die Seglerinnen mit AC-Erfahrung an einer Hand abzählen. Kein Ruhmesblatt für die älteste Sportveranstaltung der Neuzeit, die mit ihren Innovationen weibelt.