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Eine Vendée Globe der Superlative

von Gregoire Surdez

Der «Everest der Meere» hat nichts von seiner Faszination verloren. Noch nie waren die Boote so schnell unterwegs und die Zuschauer so zahlreich. Alle wollen die Abenteuer der Draufgänger miterleben. Mit Justine Mettraux, Alan Roura und Oliver Heer sind auch drei Schweizer dabei.

Man muss schon ein bisschen verrückt oder total fasziniert sein, um im Regattadorf der Vendée Globe gelassen zu bleiben. Die Gruppen, Familien und Besucher legten eine Ausdauer und Geduld an den Tag, die selbst dem strebsamstem buddhistischen Mönch Respekt abnötigen würde. Drei Stunden musste man anstehen, um sich bis zur Brücke der legendärsten aller Hochseeregatten vorzukämpfen, und fast ebenso lange dauerte es, bis man am Stand von Charal, dem Sponsor von Jérémie Beyou, einmal den Mast hochklettern konnte. Auch wer in der Brasserie du Globe einen freien Tisch finden wollte, um sich etwas von den Emotionen zu erholen, brauchte viel Geduld. Die Vendée hat eine geradezu magnetische Anziehungskraft. Nachdem Corona und die damit verbundenen Schutzmassnahmen der Ausgabe 2020 die meisten Zuschauer ferngehalten und dem Anlass den Charme genommen hatten, war das Publikum jetzt umso heisser auf Abenteuer – auch wenn es diese nur stellvertretend erlebt.

HAUPTSACHE ANKOMMEN: OLIVER HEER SEGELT IM HINTEREN DRITTEL DER FLOTTE. ©Richard Marden

«Bringt uns zum Träumen»

Medienschaffende, Techniker und auch die teilnehmenden Seglerinnen und Segler haben bei einem Regattastart noch nie eine solche Euphorie erlebt. «Die Stimmung ist fantastisch, aber auch sehr aufwühlend», sagte Alan Roura mit Tränen in den Augen. «Dass wir solche emotionalen Momente erleben dürfen, verdanken wir den vielen tausend Menschen hier.» Nach den dreiwöchigen Feierlichkeiten leerte sich der Hafen von Les Sables-d’Olonne wie ein Spülbecken, in dem man den Stöpsel gezogen hat. In einem letzten Strudel der Emotionen verliessen die 40 Boote den Hafen von Les Sables-d’Olonne unter dem tosenden Applaus des Publikums. «Rock around the Globe» stand auf einem Transparent, «Bringt uns zum Träumen» auf einem anderen.

Viele der mehreren hunderttausend Zuschauerinnen und Zuschauer hatten die ganze Nacht ausgeharrt, um bei dieser Parade der Sailing Week in der ersten Reihe zu stehen. Sie wurden mit Dankesgesten und den strahlenden Gesichtern der vorbeiziehenden Regatteure belohnt. Unter ihnen waren auch zwei Schweizer und eine Schweizerin. Justine Mettraux, die von ihrer ganzen Familie und einer grossen Fangemeinde angefeuert wurde, konnte ihre Tränen nicht zurückhalten. «Die Hafenausfahrt war ergreifend», sagte sie später, «sehr emotional und schön. Ich hatte so lange auf diesen Moment gewartet.»

Zug verpasst: alan roura auf hublot verlor auf dem weg zum kap der guten hoffnung den anschluss an die spitze. Das rennen ist aber noch lange nicht gelaufen.
©Jean-Louis Carl

Justine Mettraux am Ball

«Juju» legte wie erwartet einen souveränen Start hin. Sie machte von Anfang an alles richtig und kam gut durch die ersten Nächte und die ersten Böen. Drei Wochen lag sie in den Top 10, wenn nicht sogar in den Top 5. Wie die von ihr aufgenommenen Videos zeigten, blühte sie richtig auf. Ihr beeindruckende Leistung flösste Respekt ein. Man hatte das Gefühl, das Rennen sei für sie gemacht worden, denn Justine ist nie so stark wie dann, wenn sie alles allein entscheiden muss.

Die Vendée Globe ist aber bekanntlich kein Zuckerschlecken. Jeder Tag bringt Probleme mit sich, die so schnell wie möglich gelöst werden müssen, damit nichts Schlimmeres passiert. Schon ein klemmender Bolzen kann einen Mastbruch verursachen. Die Genferin warf nicht eine lockere Schraube, sondern das gerissene Vorsegel zurück. Durch den Verlust des J0 verlor sie den Anschluss an die Spitzengruppe. «Ich wusste aber, dass mein Boot bei einem reinen Temporennen nicht mit den modernen Foilern mithalten kann», sagte sie kurz vor dem Kap der Guten Hoffnung. «In festgefahrenen Situationen wie bei der Überquerung des Südatlantiks muss man Geduld haben und warten, bis die Lage wieder kniffliger wird und man sich mit klugen Schachzügen und sauberem Segeln nach vorne arbeiten kann.» Diese 10. Vendée Globe bot in den ersten Wochen ein grossartiges Spektakel. Bis zum ersten der drei Kaps musste nur ein einziger Teilnehmer aufgeben. Maxime Sorel verletzte sich am Knöchel und konnte nicht weitersegeln. Justine Mettraux erklärt sich die wenigen Ausfälle mit den idealen und recht freundlichen Bedingungen: «Abgesehen vom Kap Finisterre sind wir in keinen Sturm geraten. Ausserdem sind die Boote mittlerweile wirklich alle sehr gut vorbereitet.

Nach einem letzten bad in der menge fand justine mettraux sofort ihren rhythmus und hielt sich konstant in den top 10.
©Gauthier Lebec

Beeindruckende Rekordserie

Mit 1,3 Millionen Besuchern, steigenden TV-Quoten und einer virtuellen Version des Rennens, die so manchen Haushalt auf den Kopf gestellt hat, wurden schon vor dem Start in Les Sables-d’Olonne die ersten Rekorde gebrochen. Kaum war der Startschuss gefallen, kamen weitere hinzu. Noch vor Erreichen des Südpolarmeers knackten die neusten IMOCA-Jachten den 24-Stunden-Rekord fast täglich. Bei Redaktionsschluss am 30. November hielt der Franzose Sébastien Simon auf Groupe Dubreuilmit 615 Seemeilen in 24 Stunden die Bestmarke.

Alle Favoriten erreichten Durchschnittsgeschwindigkeiten von über 22 Knoten. Charlie Dalin, Sébastien Simon, Thomas Ruyant, Yoann Richomme, Jérémie Beyou, Nicolas Lunven, Sam Goodchild, Yannick Bestaven und Paul Meilhat legten im Südatlantik ein solches Höllentempo vor, dass eine erste Vorentscheidung fiel. Alan Roura konnte nicht mit der Spitze mithalten. Der Genfer verlor in der Flaute vor dem Äquator den Kontakt zur Spitze. Nach drei Wochen war klar: Einen Platz unter den ersten zehn konnte er abschreiben. Oliver Heer, der dritte Schweizer im Bunde, setzte seinen Kurs konsequent fort. Er will ins Ziel kommen, wann spielt keine Rolle. Der Deutschschweizer weiss, dass er wie alle anderen in Les Sables-d’Olonne von einer riesigen Menschenmenge als Held empfangen wird.

©Jean-Loouis Car

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