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Eine zweite Jugend für den Zweitonner Calliope

von Quentin Mayerat

Als Jean-Philippe Mayerat die Calliope alias Captain Flint im Februar 2008 zu sich holte, war die in der italienischen Werft Voltri bei Genua gebaute Einheit in bemitleidenswertem Zustand. Man hatte dem Zweitonner 1952 eine Kabine aufgesetzt, das Heck um vierzig Zen•timeter gekürzt und den Bugspriet entfernt. Das alte, in Vidy festgemachte Boot war nur noch ein Schatten seiner selbst. Von dem stol•zen Segelboot, das vor dem 1. Weltkrieg vor der Genfer Société Nautique regattiert hatte, war nicht mehr viel übrig. Der Schiffszimmer•mann aus Rolle erkannte jedoch schnell, dass sich hinter dem Frosch eine Prinzessin verbarg, denn er hatte fünfzehn Jahre zuvor bereits den Zweitonner Hellé II (1910) renoviert. Bevor er sich an der Calliope zu schaffen machte, durchstöberte Jean-Philippe Mayerat die Archive, um etwas über ihre Abstammung in Erfahrung zu bringen, die 1892 erfundene, auf die Binnenseeverhältnisse zugeschnittene Godinet-Vermessung besser zu verstehen und mehr über die heute geschlossene Voltri-Werft herauszufinden, die damals von den talentier•ten Brüdern Ugo und Atillio Costaguta ge•führt wurde. Dabei erfuhr er, dass die Calliope bereits zwölf verschiedene Eigner und acht Namen gehabt hatte. Bis 1929 war sie in der Société nautique de Genève (SNG) stationiert, danach wechselte sie zum nahe gelegenen Club des Faces-Pâles, dem heutigen Yacht Club de Genève. Von 1938 bis 2008 lag sie in Lau•sanne vor Anker, bevor sie schliesslich nach Rolle kam.

Die Godinet-Vermessung

Zu den Eignern gehörten unter anderem der Genfer Architekt Eugène Corte, der die Calliope als erster besass, Maurice Pictet de Rochemont sowie Edmond Binggeli und Jean Studer, die das Boot 1951 erstanden. Ihrer Leidenschaft für den See und ihrer sorgsamen Pfl ege verdanken wir, dass es das Boot noch immer gibt. Ganz so selbstverständlich ist das nicht, wie die geringe Anzahl der heute noch im Genferseeraum vor•handenen Einheiten der Tonnage-Klassen zeigt. Man kann sie an einer Hand abzählen, nämlich: der Zweitonner Hellé II, der als Fraidieu im Hafen von Nernier liegt, der in einer Genfer Scheune sich selbst überlassene Zweitonner Frelon, die Calliope sowie die beiden Dreitonner Kaimiloa, (ex-Briseis 1910), die von Grund auf restauriert werden müsste, und Calypso (1911) in Messe•ry. Bei der in Genthod beheimateten Phoebus II handelt es sich nicht um ein Original, sondern um eine Replik der 1983 abgerüsteten Phoebus (1904). Die Eintonner und die seltenen Fünfton•ner sind alle von der Bildfl äche verschwunden. Laut Jean-Philippe Mayerat wurden für den Gen•fersee zwischen 1893 und 1911 etwa hundert Boote nach der Godinet-Vermessung gebaut. Die Godinet-Vermessung ist in zweierlei Hinsicht speziell: Sie war die erste internationale Vermes•sungsregel und auch die erste, in der die Segel•fläche einbezogen wurde. Auf dem Genfersee war sie ein voller Erfolg und wurde erst nach dem 1. Weltkrieg von der 1907 ausgearbeiteten Meterklasse verdrängt. Nach der Godinet-Vermessung gezeichnete Boote sind meist schlank, übertucht, liegen tief im Wasser und haben eine kurze Wasserlinie. Ein gutes Beispiel ist die Calliope. Ihr Rumpf ist 9,74 m lang (mit Bugspriet 11,74 m) und sie hat eine Wasserlinie von 6,50 m sowie eine Am•windsegelfläche von 73 m2 (!), wovon 50 m2 auf das Grosssegel entfallen.

Qualitätsbau
Die Voltri-Werft gibt es wie erwähnt nicht mehr; auf dem Areal steht heute ein Supermarkt. Damals war sie aber dank des talentierten, 1903 viel zu früh verstorbenen Ugo Costaguta und seinem Bruder Attilio vie-le Jahre erfolgreich. Die Brüder zeichneten und bauten wunderschöne Einheiten, darunter auch die 8-Meter-Jacht Italia, die an den Olympi•schen Spielen 1936 in Berlin die Goldmedaille gewann. Dass die beiden Talent hatten, ist auch bei der Calliope nicht zu über•sehen. Jean-Philippe Mayerat, der das Boot auf Herz und Nieren unter•sucht hat, ist von der Qualität des Baus beeindruckt. „Ich konnte 3/4 der Originalkonstruktion, das heisst 60 Prozent der Beplankung, 3/4 des Kiels und sämtliche metallischen Bodenwrangen belassen“, sagt er be•wundernd und fügt hinzu: „Am schwierigsten war es, die Originallänge herauszufinden, denn das bestimmt völlig morsche Heck war um meh•rere Zentimeter gekürzt worden. Ich musste mich viele Stunden über das wundervolle Bordbuch der Captain Flint beugen und die Anordnung der Bodenwrangen studieren, um auf die ursprüngliche Bootslänge schliessen zu können.“ Bewunderung, aber auch Fragen löste die Doppelbeplankung der Calliope aus. „Attilio Costaguta hat sich für eine doppelte Längsbeplankung ent•schieden, wobei eine 4 mm und die andere 7 mm dick war. Er wollte damit wohl Gewicht sparen, doch die unterschiedliche Dicke ist störend. Der Aussenrumpf weist Facetten auf, weil das Holz der Beplankungen nicht gleich gearbeitet hat. Bei der ein Jahr nach der Calliope gebauten Hellé II waren dann beide Beplankungen 6 mm dick. Vielleicht hat die Werft ihren Fehler ja erkannt.“

Gaffelrigg
In allen anderen Punkten entspricht die Calliope dank genauer Studien der alten Fotos dem Original. Die Bronzeteile mussten mit Ausnahme der hundertjährigen Laderaumpumpe einzeln gegossen werden. Auch dem Gaffelrigg wurde besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Jean-Philippe Mayerat gelang es, die Länge der Spiere und ihre Befestigungspunkte Schritt für Schritt zu bestimmen. Die Masthöhe über Deck beträgt 10,20 m, die Länge der Peak 6,35 m und die des Rollbaumes 7,30 m. Sie bestehen alle aus kanadischer Weissfi chte. Jean-Philippe Mayerat wurde im September von der Bolle-Stiftung in Morges für seine bemerkenswerte Arbeit mit dem „Prix du patrimoine naval sur le Léman“ ausgezeichnet. Er wird alle zwei Jahre verliehen und möchte den Erhalt und die Restauration von Schiffen, die zum Genfersee-Kulterbe gehören, fördern. Ob sich wohl eines Tages ein Liebhaber alter Boote fi ndet, der sich der in einer Genfer Werft schlafenden Kaimiloa oder vielleicht der Frelon annimmt? Wer den wunderschönen Booten zuschaut, wenn sie durch Wasser gleiten, kann es sich nur wünschen.

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