Das Schweizer Geschoss, das den Geschwindigkeitsrekord im Segeln brechen will, hat den zweiten Teil seines Rumpfs erhalten. Skippers hat die Werkstatt in einem Lausanner Vorort besucht, bevor das Boot nach Leucate transportiert wird.
Text: Pauline Katz
Im Gebäude sind lauter Start-ups angesiedelt, darunter auch die junge Firma, die hinter dem Projekt SP80 steckt. Das Boot thront stolz in der Werkstatt und nimmt praktisch den ganzen Raum ein. Mayeur von den Broek, einer der drei Initianten des Projekts, meint grinsend: «Wir sind wohl das einzige Unternehmen, dass seine Büros nach der Grösse eines Boots dimensioniert hat. Zum Glück haben wir uns nicht verrechnet, das ganze Boot passt rein.» Auf der anderen Seite der Wand befinden sich die Büros. Dort ist es ungewöhnlich warm. Vielleicht liegt das an den überhitzten Hirnzellen der jungen Ingenieure und Techniker, die sich hochkonzentriert über ihre Arbeit beugen. Sie haben ein Durchschnittsalter von knapp 24 Jahren und mehrheitlich einen ETH-Hintergrund. In Partnerschaft mit der ETH Lausanne (EPFL) arbeiten zudem 15 Studierende zu Ausbildungszwecken am Projekt mit.
Die Entstehungsgeschichte
Mayeul van den Broek, Benoit Gaudiot und Xavier Lepercq haben sich 2017 an der EPFL kennengelernt. Wenige Stunden nach ihrer Begegnung diskutierten sie bereits angeregt über Kiten, Segeln und Geschwindigkeit. Sie hatten sich offensichtlich gefunden. Kurz darauf unternahm das Trio erste Versuche mit dem Kite, fertigte die ersten Bootsskizzen an und legte die erwaltungsstruktur des Unternehmens fest, für das sie 2019 ihren ersten Partner fanden. Im Jahr 2020 brachte Corona das Projekt vor allem finanziell ins Stocken. Trotzdem hielten die Freunde an ihrem Traum fest. 2021 stiess Richard Mille als Namenssponsor hinzu und sorgte für einen kräftigen Schub. Seither arbeitet das Team Vollzeit am Projekt und konnte 2021 den Bau des Rekordboots in Angriff nehmen.
150 km/h anvisiert
Das 10,50 Meter lange Geschoss wurde so entworfen, dass es sowohl in der Luft als auch im Wasser so wenig Widerstand wie möglich erzeugt. Es liegt auf drei Rümpfen, zwei seitlichen und einem zentralen, denn die Stabilität ist entscheidend und stand daher bei der Entwicklungsarbeit auch im Fokus. Benoit erklärt: «Das Boot soll bei mittlerem Wind schnell sein. Wenn es den Rekord nur bei Sturm brechen könnte, hätten wir die anderen Variablen nicht mehr unter Kontrolle.» Tatsächlich sei es riskant, mit 150 km/h übers Wasser zu preschen, fügt Mayeul hinzu, «wir haben daher mit Worst-Case-Szenarien gearbeitet. Dazu haben wir uns die Formel 1 und Kampfflugzeuge zum Vorbild genommen. Das Cockpit soll Kräften von 50 g widerstehen, wir sind mit 6-Punkt-Gurten und Helm gesichert und haben sogar Sauerstoffmasken, für den Fall, dass das Boot kippen sollte.»
Bald im Wasser
Nach mehr als zwei Jahren Bauzeit ist die Vorfreude bei SP80 gross. Die Gründer sind überglücklich: «Nach den vielen Tausend Stunden, die wir mit Berechnungen und Entwürfen verbracht haben, ist der Anblick des fertigen Boots unbeschreiblich. Wir steuern auf die schönste Phase des Projekts zu, der Weltrekord ist in Reichweite. Momentan nimmt vor allem die Medienarbeit viel Zeit in Anspruch, wir hoffen jedoch, dass wir damit weitere Partner gewinnen können. Wir beginnen diesen Sommer mit dem Training, aber bis zum Rekordversuch, der für den Frühling 2024 geplant ist, vergehen noch mehrere Monate, die finanziert werden müssen.»
Den Boliden zähmen
Die Projektleiter rechnen mit sechs Monaten, um das Boot in den Griff zu bekommen. Trainiert wird im südfranzösischen Leucate, wo auch der Rekordversuch stattfinden soll. «Das Boot ist mit nichts vergleichbar, wir müssen alles von Grund auf lernen. Gesegelt wird es von zwei Piloten. Der eine wird das Boot, der andere den 40 Quadratmeter grossen Kite steuern. Wir werden auf offenem Meer mithilfe eines Festrumpfschlauchboots starten. Auch wenn das Boot von Ingenieuren entworfen wurde und jedes Teil millimetergenau berechnet ist, sind wir in erster Linie bodenständige Segler. Wir haben unserem seglerischen Gefühl daher immer mehr Beachtung geschenkt als komplizierten Berechnungen.»
Der grosse Tag
Im Frühling 2024 soll es soweit sein. Dann wird das 80-Knoten-Boot versuchen, den SailSpeed-Rekord zu knacken. Dazu wäre eine Tramontana von 25 bis 30 Knoten ideal. Der Start erfolgt 10 Kilometer von der Küste entfernt, damit genügend Platz bleibt, um die 150 km/h zu erreichen und anschliessend zu bremsen. Dafür allein sind 500 Meter nötig. Damit die bisherige Bestzeit unterboten wird, müssen die 500 Meter in 12,5 Sekunden absolviert werden. Für die Homologierung des Rekords wird der World Sailing Speed Record Council (WSSR) jemanden nach Leucate schicken.
Die Konkurrenz schläft nicht
Es gibt mehrere Projekte, die den Geschwindigkeitsrekord im Segeln anpeilen. Das wohl konkurrenzstärkste ist Syroco. Es wird wie das SP80-Boot von einem Kite gezogen, das onzept ist jedoch ein ganz anderes. Während das erste nach Stabilität strebt, setzt das zweite auf eine ultraleichte Kapsel auf Foils. Welche Strategie das Rennen macht, wissen wir pätestens im Jahr 2025. Dann wird sich zeigen, ob die 150 km/h tatsächlich im Bereich des Möglichen liegen. Benoit sieht die Konkurrenz mittlerweile gelassen: «Anfangs haben wir befürchtet, dass sich die Boote zu stark ähneln und es zu einem Spionagekrieg kommt, aber die Sorge hat sich gelegt. Vielmehr profitieren wir vom Wettbewerb, da mehr über uns berichtet wird und wir uns auch austauschen.