Im Juni erinnerte Alinghi in einem Video an den 10. Jahrestag seines America’s-Cup- Sieges in Valencia. Nostalgie war darin kaum zu spüren. Das Team suhlt sich nicht in seiner ruhmreichen Vergangenheit, sondern blickt zielstrebig nach vorne.
Am Extreme Sailing Series Event in Barcelona liess Alinghi Skippers hinter die Kulissen blicken. Wir haben die seltene Gelegenheit ergriffen, um die Segel- und die Landcrew besser kennenzulernen und die Entwicklung von Alinghi seit seiner letzten Kampagne im Jahr 2010 Revue passieren zu lassen. Beim Betreten des technischen Bereichs wird schnell klar, dass man hier vergeblich nach einem Scoop sucht. Man spürt aber, dass der Druck nach dem „glücklichen“ Ausgang des 35. America’s Cups, sprich dem Sieg von Emirates Team New Zealand, gestiegen ist.
Die Hüter des Segeltempels

Heute konzentrieren sich die Rot-Schwarzen auf zwei grosse Segelevents: die D35 Trophy und die Extreme Sailing Series. Weder die eine noch die andere Veranstaltung kommt an den AC Cup heran, aber um nicht aus der Übung zu kommen (und natürlich um zu gewinnen), braucht es eine kräftige Portion Professionalität, wie Pierre-Yves Jorand, der Teamchef und Wegbegleiter von Ernesto Bertarelli, festhält: „Das Alinghi-Programm umfasst rund 160 Segeltage pro Jahr, 40 davon sind Trainingstage. Die TeilTeilnahme an zwei Touren setzt eine erhebliche Logistik voraus, vor allem für die Extreme Sailing Series, die auf der ganzen Welt ausgetragen werden. Unser Team umfasst neben der Segelcrew auch zwei Techniker: den Takler João Cabeçadas, der 1999 zu uns gestossen ist, und David Nikles, ein Komposit-Spezialist, der sich unter anderem um die Reparatur der Foils kümmert und seit Anfang der 2000er-Jahre an Alinghi-Projekten arbeitet.“ Diese technische Unterstützung ist eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg des Teams. Und dass Alinghi den hat, ist offensichtlich. Nicht umsonst wird die Schweizer GC32 von den anderen Syndikaten regelmässig ganz genau in Augenschein genommen. Mit Adleraugen versuchen sie die neusten Veränderungen an Rigg oder Beschlägen zu erkennen. Einige wenden sich sogar direkt an die Landcrew und fragen sie um Rat. Die Alinghi-Techniker gelten als Koryphäen auf ihrem Gebiet.
Bei den D35 verstärken Coach Claudy Dewarrat und Coraline Jonet das Team. Sie segelt seit 2005 ausschliesslich auf dem Genfersee- Multi und ist die einzige Frau im Team. „Ich bringe es auf über zehn Jahre, das ist meine längste Liebesgeschichte“, lacht die junge, dynamische Frau, die seit einigen Monaten auch für die Kommunikation zuständig ist. „Ich sorge dafür, dass die Gemeinschaft und die Alinghi-Familie lebt, wir möchten, dass das Team weiterhin ein enges Verhältnis zu seinen Fans hat.“ In dieser Übergangsphase, in der alle Bemühungen den beiden Einheitsklassen gelten, feilt Alinghi an Land an seinem Know-how. Und was geht auf dem Wasser?
Den Anschluss nicht verlieren

Gut Ding will Weile haben
Eine America’s-Cup-Kampagne startet man nicht aus einer plötzlichen Anwandlung heraus. Zuerst müssen die Voraussetzungen bekannt sein, allem voran das zwischen dem Defender und dem Challenger of Record ausgehandelte Protokoll. Am überschwänglichsten reagieren die alteingesessenen Alinghi-Mitglieder auf die Eventualität einer Cup-Teilnahme. „Natürlich würde ich mich über ein Comeback freuen“, gesteht João. „Ich bin das Volvo gesegelt. Wenn du aus der Südsee kommst und das Kap Hoorn passierst, willst du sofort wieder zurück. Mit dem Cup ist das ähnlich – auch noch nach vier Teilnahmen.“ Pierre-Yves Jorand sieht das genauso: „Jede Kampagne ist anders und die Entwicklungen und Innovationen, die ein Cup mit sich bringt, sind hochspannend. Man kann eigentlich nie genug bekommen. Wir wissen zwar noch nicht, ob es tatsächlich ein Comeback geben wird, aber Ernesto und ich beobachten das Geschehen in der Schweiz genau. Er steht dem Fonds Ambition für den Nachwuchs der Société Nautique de Genève vor, ich bin Mitglied des Selektionsausschusses der Swiss Sailing Team AG. Wir pflegen enge Beziehungen zu Tilt und Realteam und vor allem haben wir mit Arnaud einen der fünf „Top-Gun“-Segler der Welt im Team, die ein Challenger-Boot auf höchstem Niveau steuern können und Cracks wie Burling oder Outteridge problemlos das Wasser reichen“, sagt Ernesto Bertarellis rechte Hand. Wer kann bei solchen Aussagen mit Sicherheit behaupten, dass die Saga beendet ist? Auf eine konkrete Antwort wartet man zum jetzigen Zeitpunkt allerdings vergeblich. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.

