Der an einigen Tagen fehlende Wind an der SM auf dem Thunersee wurde von der prächtigen Alpenkulisse wettgemacht. © Erwin Kohler
Es ist nicht von der Hand zu weisen: Auch nach 75 Jahren ist der Lacustre für den Betrachter immer noch eine Augenweide. Um die Bol d’Or zu gewinnen, hatte der Ingenieur Henri Copponex im Jahr 1938 für die vornehme Genfer Szene eine 9,5 Meter lange, schlanke Jacht mit hoch geschnittenem Grossegel und weit nach achtern reichender Genua präsentiert. Dieses Boot, begeisterte nicht nur die Segler auf dem Genfersee.
An seiner Geburtsstätte scheint die Begeisterung für den Lacustre heute etwas verflogen. An der diesjährigen SM zählte man gerade noch zwei Einheiten aus der Romandie. Jean Raymond Wehrli, einer der beiden Teilnehmer, zeichnet denn auch ein düsteres Bild von der Szene am Genfersee: „Es gibt hier keine Lacustre-Klassenregatten mehr. Wir wurden zwar dieses Jahr erstmals an die Classique Edmond de Rothschild eingeladen, waren dann aber nur mit drei Booten vertreten. Natürlich hoffen wir, dass wir nächstes Jahr noch einige Lacustre mehr mobilisieren können.“
Vom Genfer- zum Bodensee
Das abgeflaute Interesse der Genferseesegler bedeutet aber noch lange nicht das Todesurteil der Klasse. Erstaunlicherweise hat sich am Bodensee eine aktive Szene gehalten. Hier gibt es noch Lacustre-Regatten mit gegen 20 teilnehmenden Booten. Nach dem Krieg soll ein Kreuzlinger Fabrikant namens Rütishauser das Lacustre-Virus verbreitet haben. Es ist bis heute virulent: „Das Boot ist nicht nur ein geglückter Wurf, es ist wie geschaffen für die Verhältnisse am Bodensee“, erklärt Stefan Frank vom Lindauer Segelclub. Und: „Der Lacustre läuft schon bei wenig Wind mit der Genua relativ gut. Mit der Fock kann er dank des hohen Freibords aber auch bei Windstärken bis zu 7 Beaufort relativ sicher gesegelt werden.“ Dass ein Deutscher eine Westschweizer Einheitsklasse segelt, findet Frank überhaupt nicht aussergewöhnlich: „Hier gibt es keine SUI, AUT oder GER auf den Segeln. Wir sind eine Familie, die den Lacustre „eingemeindet“ hat.“ Den Beweis dafür lieferte er gleich selbst. Er segelte an der SM auf einem österreichischen Boot mit einem Schweizer Vorschoter.
Nur wenige Klassen bringen wie die Lacustre an einer Schweizermeisterschaft gegen 30 Einheiten an den Start. © Urs Bangerter
Die Schönheit des Lacustre hat allerdings auch ihren Preis. Man bezahlt einiges mehr als für ein vergleichbares Boot. Thomas von Gunten, Präsident der Lacustre-Klassenvereinigung, umschreibt den Spagat, der bei der Anpassung der Klassenvorschriften nötig ist, so: „Wir versuchen einerseits, durch Neuerungen wie die GFK-Bauweise oder das Alu-Einheitsrigg den Preis des Bootes so erschwinglich wie möglich zu halten, andererseits wollen wir aber auch die älteren Jachten durch neue Vorschriften nicht benachteiligen.“
Beachtliches Regattafeld
Das scheint tatsächlich zu gelingen. An der diesjährigen Schweizermeisterschaft in Spiez Ende September konnten noch einige ältere Semester mit Holzmast bestaunt werden, die im Regattafeld gut mithalten konnten. Dass bei 140 segeltüchtigen Einheiten fast 30 Boote zur Schweizermeisterschaft kommen, spricht eindeutig für die Aktivität der Klasse, zumal nur ein einziger Lacustre am Thunersee beheimatet ist.
In Spiez mit dabei waren auch die Titelverteidiger Piet und Jan Eckert. „Das Boot fasziniert uns und es bietet die seltene Gelegenheit, eine helvetische Meisterschaft gegen viele Konkurrenten zu bestreiten. Keine der neuen Sportbootklassen bringt ein so grosses Regattafeld zusammen“, erklären die Olympiadiplomanden von 1992 ihre Begeisterung für den Lacustre.
Obwohl auch Schalen aus Kunststoff erlaubt sind, dominieren immer noch formverleimte Mahagoni-rümpfe mit Holzdeck. © Tobias Störkle
Nach einer Titelverteidigung hatte es nach den ersten beiden Regattatagen für das Team Eckert allerdings nicht ausgesehen. Die schwachen und drehenden Winde machten es den Seglern aber auch nicht leicht. Erst am Schlusstag kamen die Zürcher richtig auf Touren und konnten das deutsche Team mit Günter Reisacher nach einem spannenden Duell um einen Punkt distanzieren. Dem hochkarätigen österreichischen Duo Bargehr/Mähr, zwei freigestellten Bundeswehrsoldaten mit 470er-Olympiakampagne, hat es hingegen trotz über 250 Tagen Segelpraxis pro Jahr nicht aufs Podest gereicht. Eindeutig ein Beweis dafür, dass hier auf hohem Niveau gesegelt wird.
Auch nach 75 Jahren ist der Lacustre immer noch eines der schönsten klassischen Binnenschiffe. © Tobias Störkle
Zukunft gesichert?
Für junge Einsteiger stellt der hohe Preis der Lacustre natürlich ein enormes Handicap dar. Nachwuchsförderung auf Vereinsebene steht deshalb weit oben auf der Agenda: Der Jugendförderverein Bodensee etwa hat zwei Lacustre erworben und bietet gezielte Trainings an. Auch auf deutscher Seite werden Ferienkurse für Jugendliche angeboten. Auch auf dem Zürichsee wäre so etwas möglich, denn dort gibt es noch eine Flotte mit genügend Aktivitäten. Auf jeden Fall will man vermeiden, dass die Klasse mit ihren Eignern stirbt. Das wäre ein herber Verlust für die Schweizer Segelszene. Der Lacustre hat es verdient, auch seinen 100. Geburtstag noch zu erleben.