Justine Mettraux kletterte an Bord der 11th Hour Racing, um mit ihrem Team zum Südpolarmeer zu segeln. Mit der Teilnahme der IMOCAJachten, die auch die Vendée Globe
bestreiten, soll die Weltumsegelung eine neue Dimension erhalten.
Text : Grégoire Surdez
The Ocean Race taucht buchstäblich ab. Von Alicante geht es tief hinunter in den Süden. Die angenehm warmen Temperaturen sinken allmählich in den Minusbereich und Albatrosse sowie Wellen, die so hoch sind wie zwei- oder dreistöckige Gebäude, prägen den Alltag. Das berühmte «Leg3» allein war es schon wert, die 50. Ausgabe der legendären Weltumsegelung zu bestreiten. Die dritte Etappe ist ein ständiger Kampf gegen die Elemente und gilt zu recht als schwerste Prüfung des Teamrennens, an dem sich schon Generationen von Seglerinnen und
Seglern ihr Rüstzeug geholt haben. 12 750 Seemeilen im Indischen Ozean, im Pazifik und im Südatlantik, da kann kaum jemand widerstehen. Justine Mettraux liess sich die Gelegenheit auf jeden Fall nicht entgehen. Beherzt stellte sie sich den harten Bedingungen und wagte sich mit ihrer Crew an einen Ort vor, an den sich kaum je ein Mensch verirrt. Jede Seemeile, die man jenseits der brüllenden Vierziger segelt, ist für angehende Vendée-Globe-Teilnehmer Gold wert.
Eine neue Ära
Dieser Streckenabschnitt und damit das gesamte Ocean Race hat im Hinblick auf die Vendée Globe umso mehr an Bedeutung gewonnen, seit die Organisatoren der härtesten Round-the-World-Regatta der Welt die IMOCA-Jachten zugelassen haben. Die sind eigentlich eher für Ein- oder Zweihandteams gemacht, aber eignen sich letztlich ganz gut für ein vierköpfiges Team plus Medienvertreter. Die Zeiten der Maxi-Jachten, als das Rennen noch Whitbread hiess, sind längst vorbei. Noch nicht ganz von der Bildfläche verschwunden sind hingegen die extremen One-Design- Charles Drapeau Boote, auf denen die Crew aufgrund des fehlenden Cockpits ständig geduscht werden. Sie sind heuer zum dritten Mal im Einsatz, finden aber wenig Beachtung.
Während der Festwoche in Alicante im Januar waren die Molen schwarz von Menschen. Alle hatten nur Augen für die fünf IMOCA-Boote Holcim, Malizia, 11th Hour Racing, Guyot Environnement und Biotherm. Für die VOR65 schien sich niemand zu interessieren. Das liegt nicht zuletzt an der Vermarktung. Es wird alles getan, um die 60-Fuss-Jachten der neusten Generation ins Rampenlicht zu rücken. Praktisch die ganze Kommunikation des Ocean Race ist auf die Foiler und ihre wilden Ritte ausgerichtet.
Eine Frage des Tempos
Zwei Etappen des diesjährigen Ocean Race wurden bereits zu Ende gesegelt. Bei beiden
dominierte Kevin Escoffier auf der unter Schweizer Flagge segelnden Holcim. Er schien regelrecht Richtung Süden zu fliegen. «Die Schwierigkeit auf dem langen Weg nach Brasilien besteht darin, die richtige Route zu finden», verriet der Führende, der an der letzten Vendée Globe durch Jean Le Cam fast wie durch ein Wunder gerettet wurde. «Wir müssen noch viel lernen, um die Boote möglichst gut durch diese widrigen Bedingungen zu bringen. So wie ich die Lage einschätze, ist Konstanz wichtiger als reines Tempobolzen.»
Mit ihren Foils sehen die IMOCAs den sie begleitenden Albatrossen zum Verwechseln ähnlich. Sie sind schön und zugleich zerbrechlich. 11th Hour Racing musste nach der zweiten Etappe in Kapstadt die Ruder austauschen und Guyot Environnement sah sich nach einigen Tagen im Indischen Ozean aufgrund eines Bruchs im Laminat des Rumpfbodens gezwungen, nach Kapstadt zurückzusegeln. Das deutsch-französische Team wollte kein unnötiges Risiko eingehen und brach die Etappe ab. Es wird das Rennen nach der Reparatur in Itajai wieder aufnehmen. Enttäuscht meinte Benjamin Dutreaux: «Das ist ein harter Schlag, aber wir wissen alle, dass solche Missgeschicke dazugehören. Und ehrlich gesagt bin ich froh, dass der Bruch jetzt passiert und nicht in zwei Jahren an der Vendée Globe, wenn ich allein auf dem Boot bin.»
Zukunftsmusik
Natürlich ist das Rennen mit nur vier Booten sportlich weniger interessant, dass ein Ausfallrisiko besteht, war jedoch von Anfang an klar. «Wir hoffen, dass das diesjährige Ocean Race bei anderen Teams der IMOCAKlasse die Lust weckt, ebenfalls mitzumachen », meinte der Skipper der Biotherm-Jacht Paul Meilhat vor dem Start in Alicante. Überzeugt fügte er hinzu: «Wenn es dieses Jahr gut für uns läuft, werden nächstes Mal garantiert deutlich mehr Boote am Start sein. Das Rennen ist legendär und wirklich fantastisch. Ich glaube fest daran, dass die Wahl der IMOCAs auf lange Sicht richtig ist.»
Diese Einschätzung teilt auch Justine Mettraux. Sie kehrte ihrer TeamWork vorübergehend den Rücken, um ihren Vertrag mit ihrem ehemaligen Team 11th Hour Racing zu erfüllen. «Es ist natürlich eine Riesenchance, zusammen mit Topseglern, die ich gut kenne, an einem solch hochkarätigen Rennen teilzunehmen. Ich werde im Südpolarmeer bestimmt viel Wichtiges
für die Vendée Globe lernen, konzentriere mich aber im Moment voll und ganz auf 11th
Hour Racing, alles andere blende ich aus.»
Bevor die Genferin in Itajai wieder Sonne tanken kann, muss sie zweieinhalb Ozeane überqueren, das Kap Hoorn passieren und Unmengen an sicherlich lehrreichen Seemeilen hinter sich bringen.
Mit den IMOCAs hat das Ocean Race frischen Wind erhalten, der die Neugier anderer Hochseesegler wecken dürfte. Man könnte sich sogar ein reines Schweizer Team vorstellen. Hublot wird neu vom Schweizer Duo Alan Roura und seinem Co-Skipper Simon Koster gesegelt.
Bei Nostalgikern weckt diese Zusammenarbeit bestimmt Erinnerungen an Pierre Fehlmann.
Der Segelstar aus Morges hatte eine ganz Schar Binnensegler angeheuert, die in seinem
Team ihr Handwerk erlernten, bevor sie als Einhandsegler Erfolge feierten.