In den letzten Momenten vor dem Start der Route du Rhum spielen die Gefühle der Segler verrückt. Auch für Jacques Valente waren die Stunden vor dem Startschuss eine emotionale Achterbahn. Skippers hat den Schweizer begleitet.
Was in Sables d’Olonne die Kanalausfahrt, ist in Saint-Malo die Schleuse – eine obligate Passage, um vom Vauban-Becken in die Bucht und von dort aufs offene Meer zu gelangen. Die berühmte Schleuse an der Chaussée Eric Tabarly ist eng mit dem Mythos der berühmtesten Transat der Welt verbunden. Sie steht stellvertretend für das letzte Band zwischen Segler und Publikum und für die Vollendung einer Herkulesarbeit.
Ein Dankeschön an das Leben

Leinen los!
Während Jacques die letzten Stunden mit seinen Angehörigen verbringt, macht Jean-Marc Lenormand das Boot segelfertig. Punkt für Punkt geht der einzige Profi im Team seine Checkliste durch und nimmt die letzten Feineinstellungen vor. Jacques Valentes langjähriger Freund Dan Guye geht ihm dabei tatkräftig zur Hand. Um den Skipper mental nicht unnötig zu belasten, dirigiert die Projektleiterin Luce Molinier die Beteiligten mit eiserner Hand. „Wenn du Fragen hast, wende dich an mich!“, ruft sie bestimmt.
Samstag, 16 Uhr. Zeit, die Mole in Richtung Schleuse zu verlassen. Aufgrund der Gezeiten, vor allem aber aufgrund der vielen Boote, starten die Organisatoren bereits am Vorabend mit der Evakuierung des Hafenbeckens. Wir gehören zur ersten Gruppe. Die Schleuse wird die ganze Nacht in Betrieb bleiben.
Rund zwanzig Class40 gleiten dem belebten Quai Saint-Louis entlang. Dicht gedrängt bejubeln und beklatschen die Zuschauer die vorbeifahrenden Jachten. Ihr Applaus und ihre Rufe hallen noch stundenlang durch die Strassen. Im Becken kreisen die Boote, bis die Schleuse geöffnet wird. Über Funk kommen dauernd neue Informationen herein. Hochkonzentriert beobachten Jean-Marc und Luce das Wasser. „Gib etwas mehr Gas, damit das Boot manövrierfähig bleibt!“, empfiehlt Jean-Marc dem Skipper. Sich bei dieser Ehrenrunde nicht ablenken zu lassen, ist keine einfache Aufgabe. Die Schleuseneinfahrt ist frei. Jacques befolgt aufmerksam die Anweisungen der Schleusenwärter und steuert das Boot im Schritttempo in die Kammer.
Die Stunde des Ruhms

Während das Wasser aus der Schleusenkammer strömt, werden die Gesänge und Anfeuerungsrufe lauter. Behäbig öffnet sich das schwere Tor. Das Team wird von der eindringenden Strömung etwas überrascht, reagiert aber prompt und gibt Gegensteuer, während der Skipper die Atmosphäre auf sich wirken lässt und dabei vergisst, den Motor zu starten. Alles halb so schlimm. Wir verlassen die Schleuse Richtung Dinard, wo die Evian-Destination die Nacht verbringt. Brieux Maisoneuve fährt uns mit seinem Schlauchboot nach Saint-Malo zurück. Nur Jean-Marc bleibt an Bord. Schliesslich lässt man ein Boot am Vorabend der Route du Rhum nicht allein.
Der grosse Tag

Wir gehen an Bord. Luce und Jean-Marc klarierendie Schoten und setzen die Vorsegel . Brieuc gibt Anweisungen zur Startlinie. Unter Motor geht es zum Startplatz. Mit 12 bis 15 Knoten Südwind sind die Bedingungen ideal. Bei einer Live-Übertragung bedankt sich Jacques ein weiteres Mal bei seinen Angehörigen und Partnern und wendet sich dann seinem Boot zu. „Alles in Ordnung, der Motor ist plombiert, ich habe die Fotos der Regattaleitung geschickt.“ Die letzten Punkte auf der Checkliste können abgehakt werden. „Hast du die SD-Karte eingepackt? Und die zweite Rettungsweste? Ist das Funkgerät richtig programmiert?“ Alles da, beschwichtigt Jacques.
Wir springen mit dem Fotografen Erwan ins Schlauchboot und lassen Jacques mit seinem Techniker zurück. Für grosse Abschiedsszenen ist keine Zeit, Gefühlsausbrüche müssen warten. Weniger als 30 Minuten später erklingt der Startschuss. Wenden, halsen, ausreffen…
„Fünf, vier, drei, zwei, eins, null, los!“, schallt es aus dem Funkgerät. Die Flotte ist nicht mehr zu halten, die Spannung greifbar. Jacques Valente steuert das Cap Fréhel, die letzte Bahnmarke vor Guadeloupe, an. Vor ihm liegt ein langer, hindernisreicher Weg. Aber er hat seinen Traum, die Route du Rhum zu segeln, um die Öffentlichkeit für Organspenden zu sensibilisieren, wahr gemacht. Hut ab!