Die Schweizer Segeldelegation hat sich in Marseille hervorragend geschlagen, trotzdem ist die Enttäuschung gross. Es hat schon wieder nicht für eine Medaille gereicht. Damit ist klar: Im Segelsport gibt es nichts Schwierigeres, als olympisches Edelmetall zu gewinnen.
Eine solche Schweizer Teamleistung gab es im olympischen Segelsport noch nie: Alle Seglerinnen und Segler kehrten mit einem Diplom aus Paris zurück. Trotz dieses historischen Exploits blieb ihnen die seit über 50 Jahren angestrebte Medaille verwehrt. Das beste Resultat erzielte Maud Jayet mit Rang 4 auf dem ILCA 6. Sébastien Schneiter und Arno de Planta auf dem 49er und Yves Mermod und Maja Siegenthaler auf dem 470er Mixed wurden beide 8. In den erstmals an Olympia vertretenen Klassen iQFoil belegte Elia Colombo Rang 7 und Elena Lengwiler auf dem Formula Kite Rang 6.
Schwieriges Regattarevier
Die Bedingungen in Marseille waren äusserst schwierig. Bei meist wenig Wind und viel Sonne drohten die Segelwettbewerbe zum Flautenfestival zu verkommen. An den zwölf Regattatagen mussten zahlreiche Läufe verschoben oder abgesagt werden. Die ständigen Änderungen zehrten an den Nerven der Teilnehmenden und selbst die Cracks brachen teilweise ein. Illustres Beispiel waren die spanischen Olympiasieger Diego Botín und Florian Trittel, die in den zwölf Qualifikationsläufen einen 15. und einen 16. Platz hinnehmen mussten. Auch bei den Silbermedaillengewinnern Isaac McHardie und William McKenzie aus Neuseeland standen ein 17. und ein 18. Rang in der Endabrechnung, weshalb sie trotz vier Laufsiegen mit zwölf Punkten Rückstand auf die Sieger auf dem zweiten Platz landeten.
Wie schwierig das Regattarevier in Marseille war, verrät die Gesamtpunktzahl der Sieger. Sie lag deutlich über den Werten von Tokio und Rio und war kennzeichnend für die fehlende Konstanz. Genau daran haperte es auch beim Schweizer 49er-Duo. Ungeachtet mehrerer Spitzenplätze (1. bis 4.) reichte die Gesamtleistung nicht für einen Podestplatz. Mehrere vermeidbare Strafen trübten die Glanzleistungen von Sébastien und Arno, zum Beispiel, als der Bootsstick die Luvboje berührte und die im Führungstrio segelnden Schweizer einen Stra¥ringel drehen mussten. Sébastien weiss, wo der Hund begraben lag: «Mental haben wir uns immer wieder aufgerappelt. Unser Schwachpunkt waren die Strafen», meinte er nach der letzten Wettfahrt.
Bitterer 4. Platz
Die grösste Enttäuschung dieser Olympischen Spiele musste Maud Jayet verdauen. Sie schrammte bei den ILCA 6 nur haarscharf an einer Medaille vorbei. Vor dem Medal Race hatte sie als Vierte noch eine kleine Chance auf Bronze. Dazu hätte sie am letzten Tag einen fehlerfreien Lauf hinlegen und die Norwegerin Line Flem Høst zwei Plätze hinter sich lassen müssen. Leider kam es anders. Die Hoffnungsträgerin aus Lausanne musste sich mit dem undankbaren vierten Platz begnügen. Dass sie leer ausging, war für Maud extrem frustrierend, vor allem, nachdem sie sich in den letzten zwei Jahren so enorm gesteigert hatte. Sie sei nicht gekommen, um die Spiele als Vierte zu beenden, machte sie ihrer Enttäuschung Luft, «denn nur Medaillen zählen, alles andere ist wertlos».
Auf dem 470er Mixed gelangen Yves Mermod und Maja Siegenthaler, die in Tokio mit Linda Fahrni Vierte geworden war, einige gute Läufe, darunter ein Sieg. Aufgrund einer Disqualifikation wegen Frühstarts und einer schlechten Platzierung im Medal Race fielen sie auf Rang 8 zurück.
Spektakuläres Foilen
Die beiden Athleten, die in den neuen olympischen Klassen iQFoil und Formula Kite gestartet sind, zeigten bei ihrem Debüt eine beachtliche Leistung. Der Tessiner Elia Colombo qualifizierte sich knapp für die Finalrunde, schied dann aber trotz eines guten Runs im Viertelfinal aus. Die ehemalige Eishockeyspielerin Elena Lengwiler, die erst seit drei Jahren auf dem Formula Kite surft, legte eine furiose Premiere hin. Da nur sechs der geplanten sechzehn Qualifikationsrennen gesegelt wurden, konnte die St. Gallerin ihr Können nicht voll ausschöpfen. Besonders ärgerlich: Sie kam im Halbfinale vor der sechsfachen Weltmeisterin Daniela Moroz aus den USA ins Ziel, erhielt danach aber eine Strafe und wurde auf den 2. Platz zurückversetzt. Damit verpasste sie den Finaleinzug und musste ihre Medaillenträume begraben. Die beiden neuen Foil-Klassen hielten, was sie versprachen: Sie boten dem Publikum ein grossartiges Spektakel. Die Rennen dauern jeweils nur wenige Minuten, sind aber an Intensität kaum zu überbieten. Bremsen könnte die aufstrebenden Formula Kite als olympische Disziplin jedoch das komplizierte Finalsystem. Bleibt zu ho¡en, dass die Verantwortlichen über die Bücher gehen und es so vereinfachen, dass es auch für Laien verständlich wird.
Erfreuliche Bilanz
Obwohl die Medaillenhoffnungen nicht erfüllt wurden, haben sich die Schweizer Seglerinnen und Segler hervorragend geschlagen. Sie gehören eindeutig zur Weltspitze. Alle scha¡ten es in die Finalrunde und alle fuhren mit einem Diplom nach Hause. Die Arbeit des Swiss Sailing Teams hat sich ausgezahlt. Ein Blick auf die Schlussranglisten zeigt, dass die olympischen Regatten noch immer die anspruchsvollsten Segelwettkämpfe der Welt sind. Nicht einmal die hart umkämpften Welt- und Europameisterschaften kommen an ihre Komplexität heran. Olympia ist unglaublich stark besetzt, das Niveau extrem hoch. Es reicht nicht, zwei Jahre vor den Spielen gute Ergebnisse zu erzielen, um auf dem Siegertreppchen zu stehen. Wer Edelmetall anstrebt, muss zum Überflieger werden.
Für Christian Scherrer, Teamchef des Swiss Sailing Teams, sind die an Olympia gesammelten Erfahrungen und die Teamleistung klar höher zu werten als die verpasste Medaille. «Die Athletinnen und Athleten haben eine Topleistung gezeigt», zieht er Bilanz. «Klar wollten wir eine Medaille, aber jede Regatta ist anders und es sollte einfach nicht sein. Es hat nicht viel gefehlt und es gab kleine Fehler, die sich gerächt haben. Die Schweiz hat an diesen Olympischen Spielen insgesamt neun vierte Plätze geholt. Das nächste Mal machen wir es besser.» Die Zahl der Diplome hat keinen Einfluss auf das Budget des Swiss Sailing Teams, festigt aber die Position des Segelsports in der höchsten Kategorie von Swiss Olympic. Zur nächsten Kampagne will sich Christian Scherrer nicht äussern, das sei verfrüht. «Jetzt müssen sich erst einmal alle ausruhen und schauen, was gut und was weniger gut gelaufen ist. Alle haben grossen Einsatz bewiesen. Natürlich würde ich mich freuen, wenn die Athletinnen und Athleten, die das Podest nur knapp verpasst haben, weitermachen, aber die Entscheidung liegt bei ihnen. Sie müssen motiviert sein. Wir haben auf jeden Fall in den letzten drei Jahren viel Erfahrung gesammelt, die wir an den Nachwuchs weitergeben können.» Der wird dann versuchen, in vier Jahren eine Schweizer Segelmedaille zu holen.
©Sander van der Borch – BEI DEN FORMULA KITE KAMEN NUR SECHS DER SECHZEHN GEPLANTEN WETTFAHRTEN ZUSTANDE – ZU WENIG FÜR ELENA LENGWILER, DIE IHR POTENZIAL NICHT AUSSCHÖPFEN KONNTE.