Der Australier Paul Larsen hat elf Jahre lang am Geschwindigkeitsrekord unter Segeln geschraubt. © Helena Darvelid
Wann immer es beim Segeln um Geschwindigkeitsrekorde ging, galt die Aufmerksamkeit der Medien lange Zeit ausschliesslich Alain Thébauts Hydroptère und dem Kitesurfer Rob Douglas. Das hat sich letztes Jahr schlagartig geändert. 2012 nämlich hat der Australier Paul Larsen die Szene kräftig aufgemischt und seinen Konkurrenten die Show gestohlen.
Thébaults Trimaran knackte als eines der ersten Segelboote die 50-Knoten-Marke und Douglas’ Kite die der 55 Knoten. Trotz dieser unglaublichen Leistungen verdammten Larsen und sein Team die beiden Helden mit ihrem Wahnsinnsritt zu tragischen „Has-Beens“. Als die Vestas Sail Rocket 2 (VSR2) auf den 500 Metern mit 65,45 Knoten (über 120 km/h) geblitzt wurde, verloren die alten Bestzeiten innerhalb weniger Minuten ihren Glanz. Aus gefeierten Husarenstücken wurden passable Leistungen.
Als guter Verlierer gratulierte Thébaut dem Australier mit einer offiziellen Mitteilung, Douglas hingegen kommentierte bissig und mit unverhohlener Ironie: „Klar werden wir ihn schlagen, dazu sind wir schliesslich da. Vielleicht wird es ja meinen Kindern gelingen!“ Ein klares Statement, das den Graben zwischen dem Australier und seinen Vorgängern deutlich macht.
Walvis Bay in Namibia bietet ideale Bedingungen für Rekordfahrten. © Helena Darvelid
Der Genfer Schiffskonstrukteur Sébastien Schmidt fand in den Archiven Skizzen von Didier Costes aus den 1960er-Jahren mit einem ähnlichen Konzept wie das der Vestas Sail Rocket 2. © Helena Darvelid
Elf Jahre Arbeit
Der joviale, bescheidene und very british angehauchte Paul Larsen hat gezeigt, dass man auch ohne grössenwahnsinnige Struktur und exorbitante Unterstützung Grosses erreichen kann. Er ist auch kein Daniel Düsentrieb, obwohl die VSR ein Konzentrat höchst komplexer Technologien ist. Trotzdem hat das Team die Kampagnen stets ohne viel Aufhebens durchgeführt. „Es gab Zeiten, da schliefen wir in Namibia in unseren Containern, weil wir kein Geld hatten. Jeder Rappen wurde in das Boot gesteckt“, bestätigt er. Mit einer Leidenschaft, die nur wenige mitbringen, verfolgt Larsen seinen Traum schon seit elf Jahren. „Die Freude, den Rekord gebrochen zu haben, war umso grösser, als wir uns den Kites, der Yellow Pages und Macquarie Innovation bereits etliche Male geschlagen geben mussten. Diesmal waren wir vorne und das noch dazu mit einem komfortablen Vorsprung.“
Alles im Foil
Auffallend ist vor allem die besondere Form der VSR2, die aber eigentlich gar nicht das Kernstück des Rekordgeschosses bildet. Das Konzept ist nicht einmal neu: Der Genfer Konstrukteur Sébastien Schmidt hat Skizzen aus den 1960er-Jahren gefunden, die ähnliche Projekte zeigen. Natürlich ist das krabbenähnliche Segeln, bei dem der Rumpf nicht in Fahrtrichtung, sondern gegen den scheinbaren Wind ausgerichtet ist, um den Luftwiderstand zu reduzieren, ein echter Fortschritt, aber das Geheimnis des Rekords steckt im Foil. Für dessen Entwicklung wurde jahrelang geforscht und getüftelt. Manch einem Physiker sind dabei graue Haare gewachsen. „Das Forschungsfeld ist sehr komplex, da es sich zwischen flüssigen und gasförmigen Materien und Kavitation und Ventilation bewegt“, sagt der Designer und erklärt: „Es ist kaum möglich diese Bedingungen zu simulieren. Man kommt nur empirisch vorwärts, indem man die Neuerungen am Objekt selbst testet.“
Sébastien Schmidt befasst sich seit Ende der Jahre 2000 mit dem Konzept eines Segelbootes für Speedrekorde und ist über die technische Leistung des Projekts voller Bewunderung: „Was sie erreicht haben, ist mit dem Durchbrechen der Schallmauer vergleichbar. Es ist hochkomplex, aber jetzt, mit der Lösung des Kavitationsproblems gibt es meiner Ansicht nach keine Grenzen mehr.“
Im Gegensatz zum Kitesurfen oder Windsurfen, wo der Rekord ganz vom Fahrer, seiner Kondition und seiner Fähigkeit, das Fahrzeug zu steuern, abhängt, erfordert die VSR2 keine sehr feine Steuerung, wie der Skipper betont: „Ein solches Gefährt muss stabil sein, um gut zu laufen, das ist Voraussetzung. In diesem Punkt ist das Boot hervorragend und kann auch mit einem mittelmässigen Foil sehr schnell sein. Einmal in Fahrt, segelt es fast von allein. Kompliziertes ist es hingegen, das Boot zum richtigen Zeitpunkt und im richtigen Winkel an den richtigen Ort zu bringen.“
65 Knoten und weiter?
Der französische Ingenieur Didier Costes erreichte an der Speed Week 1978 in Weymouth auf seiner Exoplan 18 Knoten. © Helena Darvelid
Paul Larsen weiss, dass auch sein Rekord nicht ewig währt, hofft aber, dass er möglichst lange hält. „Das, was wir erreicht haben, wird andere bestimmt anstacheln, noch weiter zu gehen. Die weitere Entwicklung kann aber nicht vorausgesehen werden. Die Kites können bestimmt bis zu 60 Knoten erreichen. Ohne sie wären wir im Übrigen nicht da, wo wir heute sind. Sie haben die Grenzen weiter hinausgeschoben.“ Larsen spielt derzeit nicht mit dem Gedanken, seine Bestmarke zu unterbieten, auch wenn er sie für verbesserungsfähig hält. „Am Tag nach dem Rekord wären wir wahrscheinlich noch schneller gewesen, uns sind aber aufgrund der Sicherheit des Fahrers Grenzen gesetzt. Ein Problem genügt, um den Rekordversuch dramatisch enden zu lassen. Wir hatten Glück, aber man soll das Glück ja nicht herausfordern und deshalb waren wir auch froh, als es vorbei war.“
Alain Thébaults Hydroptère war nach den Kites das erste Segelboot, das im Jahr 2009 die 50-Knoten-Marke knackte. © Helena Darvelid
Bevor er neue Pläne schmiedet, wartet der Australier ab, was sich im Speedsegeln tut. Er ist im Übrigen überzeugt, dass sich die Entwicklungen der VSR2 problemlos auf einen Hochseeracer anwenden lassen, Pläne in diese Richtung hat er aber keine. Alain Thébault, der mit dem Hydroptère noch immer den Pazifikrekord anstrebt, wird diese Möglichkeit wahrscheinlich weiterverfolgen und plant mittelfristig auch schon ein neues Boot.
Die Rekordbedingungen: Geschwindigkeit des wahren Windes: 29 Knoten. Geschwindigkeit des scheinbaren Windes: 58 Knoten. Winkel des wahren Windes: 100°. Winkel des scheinbaren Windes: 26°. Merkmale der VSR2: Verdrängung: 275 kg. Länge: 12,20 m. Breite: 12,20 m. Fläche des Flügelsegels: 22 m2. © Helena Darvelid
Die nächsten Rekordanwärter, sei das auf Runs oder offshore, werden sich bestimmt von der Vestas Sail Rocket 2 inspirieren lassen. Das wird zwar seine Zeit brauchen, aber auf die Resultate können wir schon jetzt gespannt sein.