Bol d’Or du Léman
Esteban Garcia und Jérôme Clerc haben ihr Regattaprogramm bewusst gestrafft, um sich voll und ganz auf das prestigeträchtigste Rennen der Saison zu konzentrieren. Ihre Strategie ist aufgegangen.
TDiesmal hat es geklappt: RealTeam Spirit hat die Bol d’Or nach langem Warten endlich gewonnen. Jérôme Clerc, der seit der Gründung des Teams vor über zehn Jahren als Skipper dabei ist, und Teameigner Esteban Garcia setzten ihrem Erfolgsprojekt damit die Krone auf. Ausgerechnet in einer der langsamsten Ausgaben der Regatta errang das schnellste Team der Geschichte auf der Strecke Genf–Le Bouveret–Genf den lang ersehnten Triumph. Für den Sieg brauchte das Team vom Genfersee 15 Stunden, 30 Minuten und 5 Sekunden – eine halbe Ewigkeit, die an die Ära vor der Dominanz der Foiler erinnert. Mit dem Erfolg von TF35 Real Team Spirit wurde die unberechenbare Regatta ihrem Ruf gerecht: Am Genfersee-Klassiker kommt es erstens anders und zweitens als man denkt. Die Crew um Jérôme Clerc trat im Übrigen nicht in der TF35-Serie an, da es dieses Jahr auf die Klassenmeisterschaft verzichtet. Den Grund erklärt Clerc so: «Wir haben uns bewusst gegen die Meisterschaft entschieden, um uns ganz auf unser Ziel zu konzentrieren. Nach über zehn Jahren wollten wir die Bol d’Or endlich gewinnen.» Indem sie sich nicht an die Klassenregeln halten mussten, konnten sie ihr Boot frei optimieren. «Aber nicht mehr und nicht weniger als die anderen Teams», stellt der Skipper klar.
TOb RealTeam Spirit dadurch gegenüber der Konkurrenz technisch im Vorteil war, bleibt unklar. Angesichts des knappen Rückstands des Zweitplatzierten Sails for Change 8 (4 Min.) und des DrittplatziertenZen Too (12 Min.) sowie der zahlreichen Führungswechsel auf dem Rückweg nach Genf scheint letztlich doch der menschliche Faktor siegentscheidend gewesen zu sein. Nicht unwesentlich war zudem der geschickte Schachzug, mit geraden Schwertern statt der üblichen Foils anzutreten. Auch die beiden anderen Teams auf dem Podest hatten ihre TF35 mit Schwertern ausgerüstet. Eine weise Wahl, landete doch der bestplatzierte Foiler, der X-Wing von Marco Favale, auf Rang 11. Er gewann zwar als schnellster Foiler gleich bei seiner ersten Teilnahme die Bol de Carbone, hatte aber keine Chance gegen die konventionell konfigurierten TF35, M2 und den D35 von Christian Wahl.
Dieser erste Sieg eines TF35 im Verdrängermodus ist ein Fingerzeig für die kommenden Jahre: Die Zeit der D35 scheint abgelaufen, zumal Christian Wahl mit den gleichen Schwertern nicht mehr mithalten konnte. Die TF35 sind mittlerweile besser auf die Langstreckenrennen vorbereitet und passen ihre Segelgarderobe so an, dass sie sowohl foilend als Auch klassisch kaum zu schlagen sind. Wenn sie sich dann noch wie RealTeam Spirit gezielt und mit vollem Einsatz auf die Bol d’Or konzentrieren, hat die Konkurrenz in Zukunft wohl das Nachsehen. Für Jérôme Clerc und Esteban Garcia zählt am Ende nur, dass sie schneller sind als alle anderen. Ob sie in 15h30 gewinnen oder wie am 27. März 2023 in 3h48 einen neuen Streckenrekord aufstellen, spielt keine Rolle. Die Freude ist die gleiche und belohnt eine effiziente Teamarbeit. Mit ihrem Sieg hat sich RealTeam Spirit als eine der vielseitigsten und unersättlichsten Crews ihrer Generation in der Geschichte des Genfersees verewigt.
Einrümpfer: Mit einer Clique zum Erfolg
Bei den Einrümpfern schrieb eine Gruppe Freunde eine schöne Geschichte. Alles begann mit einer Anzeige auf Ricardo. Dort wurde eine Libera für nur 3000 Franken angeboten. Gauvain Ramseier, ein junger, aber nicht minder erfahrener Regattasegler vom Segelclub Bordée de Tribord, liess sich die Gelegenheit nicht entgehen. Zusammen mit ein paar Freunden kaufte er das Boot. Anschliessend stellte er eine schlagkräftige Crew zusammen, die in der Lage war, die italienische Jacht zu bändigen. Sie hatte vor rund 30 Jahren sogar die Bol d’Or gewonnen. «Carondimonio war ursprünglich eine Libera B, die dann zu einer Libera A verlängert wurde», erklärt uns Daniel Bouwmeester, eines der elf Crewmitglieder. «Bekannter ist sicherlich die ungarische Libera Raffica. Sie wurde als A-Klasse gebaut und dann ebenfalls verlängert und mit einem viel grösseren Mast bestückt als der unsrige.» Nach ihrem letztjährigen Sieg rechneten die meisten damit, dass die K2 von Philippe de Weck auch diesmal kurzen Prozess machen würde, aber es kam anders. Sie bringt über eine Tonne mehr Gewicht auf die Waage als die Libera und tat sich bei den Schwachwindbedingungen schwer. «Kurz vor Le Bouveret haben wir die Führung übernommen und uns aus dem Blickfeld der K2 verabschiedet», erzählt Daniel Bouwmeester.
Am meisten Gegenwehr leistete die von Gauvains Vater Thomas Jundt entworfene QFX. Sie kassierte allerdings wegen eines Fehlstarts eine einstündige Strafe und musste die beiden verbleibenden Podestplätze den beiden Booten von Philippe de Weck überlassen: der K2 (2.) und der Katana (3.) Surprise: Emotionaler Sieg von Benoît Deutsch Wer kennt ihn nicht, den erfolgreichen Trainer aus Versoix? Benoît Deutsch ist eine feste Grösse am Genfersee: ein geduldiger Ausbilder und engagierter Pädagoge, der schon vielen Nachwuchsathleten das Handwerk beigebracht hat, und ein angesehener Wettfahrtleiter, der für seine souverän gelegten Kurse in den unterschiedlichsten Klassen bekannt ist. Nicht zuletzt ist er ein exzellenter Regatteur, der sich endlich einen seinergrössten Träume erfüllen konnte: die Bol d’Or in der Surprise-Klasse zu gewinnen. Für den Verfechter von One Design geht nichts über einen Sieg in einer Einheitsklasse, wo mit gleichen Waffen gekämpft wird. Da zählt nur das menschliche Können, besonders bei so wenig und strategisch kompliziertem Wind. Der Erfolg war kein Zufall. Benoît Deutsch segelte mit einem Team aus erfahrenen Regattaseglern. Victor Casas, Romain Defferrard und Benjamin Senften waren 2023 auf dem M2 Swiss Medical Network von Didier Pfister hinter Christian Wahl als zweite ins Ziel gekommen. In diesem Jahr wurde in der Surprise-Klasse besonders intensiv gekämpft. In einem packenden Finish setzte sich Benoît Deutsch gegen den Offshore-Crack Achille Nebout durch. Mit einem zweiten Platz an der Transat Jacques Vabre 2023 auf einer Class 40 und einem dritten an der Solitaire du Figaro 2022 gehört er zu den ganz Grossen. Am Ende fehlten ihm aber 1 Minute und 20 Sekunden auf das Team vom Club Nautique de Versoix, dessen Sieg dadurch einen noch höheren Stellenwert erhielt. Benoît Deutsch vergoss sogar ein paar Freudentränen.