Am 2. Richard Mille Cup wetteiferten dreizehn historische Jachten um den meterhohen Silberpokal. Sie segelten vom 2. bis 15. Juni 2024 in mehreren Etappen den Ărmelkanal hinunter.
Text: Brice Lechevalier
Der Richard Mille Cup wurde von einer Gruppe begeisterter Segler ins Leben gerufen. Sowohl die Strecke als auch das Profil der teilnehmenden Schiffe machen ihn zu einem einzigartigen Event. Startberechtigt sind nur regattataugliche Segelboote, die eine Wasserlinie von mindestens 10 Metern haben, vor 1939 vom Stapel gelassen oder den Jachten aus dieser Epoche originalgetreu nachgebildet wurden. Zum Start der zweiten Austragung des Oldtimer-Rennens fanden sich dreizehn, in drei Kategorien unterteilte Jachten in Falmouth ein, darunter auch die berĂŒhmten Mariquita, Moonbeam und Moonbeam IV. Sie absolvierten nach dem Vorbild der Regatten aus der Vorkriegszeit eine Reihe von KĂŒsten- und Offshore- Etappenrennen. Teils tagsĂŒber, teils nachts legten sie von Falmouth nach Dartmouth, Cowes und Le Havre insgesamt 255 Seemeilen zurĂŒck. Die Flotte wurde in jeder der vier GaststĂ€dte von einem historischen Jachtclub mit langjĂ€hriger Regattatradition empfangen: Royal Cornwall YC, Royal Dart YC, Royal Yacht Squadron und die SociĂ©tĂ© des RĂ©gates du Havre, vor der die diesjĂ€hrige Siegerjacht Mariquita bereits 1911 gesegelt war.
Zum ersten Mal seit hundert Jahren trafen drei dieser klassischen Jachten wieder in einer Regatta aufeinander. Skippers wohnte dem Spektakel als Gast auf der Elena bei. Der 55 Meter lange Schoner ist ein Nachbau des gleichnamigen, von Nathaniel G. Herreshoff entworfenen Zweimasters. Dessen OriginalplĂ€ne aus dem Jahr 1910 sind bis heute erhalten. Ihre Regattatauglichkeit hat Elena bereits vielfach bewiesen, unter anderem mit dem Sieg des Transatlantikrennens im Jahr 1928. Am Richard Mille Cup war ihr grösster Gegner die Atlantic, eine Kopie des grössten Regattaschoners der amerikanischen Geschichte: 65 Meter lang, 42 Meter Wasserlinie, drei 45 Meter hohe Masten mit einer SegelflĂ€che von 1750 Quadratmetern â fast dreimal so viel wie eine J-Class! Die beiden Repliken lieferten sich ein ebenso hart umkĂ€mpftes Duell wie ihre Vorfahrinnen im letzten Jahrhundert. Diesmal ging Elena als Siegerin hervor.
FĂŒr viele der teilnehmenden Jachten hatte die Regatta lange vor dem eigentlichen Start des Richard Mille Cups begonnen. Elena zum Beispiel ist am Mittelmeer stationiert. Sie von San Remo nach England zu ĂŒberfĂŒhren sei ein hartes StĂŒck Arbeit gewesen, sagte der Skipper Steve McLaren, «2000 Seemeilen am Wind mit teilwiese 30 Knoten Gegenwind, also deutlich ausserhalb unserer mediterranen Komfortzone. Aber was fĂŒr ein aussergewöhnliches Erlebnis!»
Rennen im Rennen
Die Etappe von Dartmouth nach Cowes war bezeichnend fĂŒr den spannenden Wettkampf zwischen den beiden Giganten. Sie hielt das Publikum von Anfang bis Ende in Atem. Der fĂŒr 14 Uhr geplante Start wurde von der Wettfahrtleitung mehrmals verschoben, da sich die Wetterbedingungen am Start stĂ€ndig Ă€nderten und die Ebbe im Ziel beachtet werden musste. Um 17 Uhr fiel endlich der Startschuss. «Direkt vor dem Hafen befand sich eine grosse Flautenblase. Die Boote, die sie nördlich umrundeten, hatten mehr GlĂŒck als wir», meinte Patric Clerc, der als Taktiker auf der Elena segelte. «Wir sassen eine ganze Weile fest, weil die Windfahne im Masttopp in die eine Richtung zeigte, der Wind an Deck aber in die andere.
Die Jacht wurde hinund hergeschaukelt und in die Strömung gedrĂŒckt. Als wir endlich in den Wind kamen, hatte die Atlantic bereits sechs Seemeilen Vorsprung.» Je spĂ€ter der Abend wurde, desto mehr frischte der Wind auf. Die hinter der englischen KĂŒste untergehende Sonne und die prachtvollen Schiffe boten ein herrliches Bild. FĂŒr die Elena waren die 15 bis 20 Knoten Wind ideal. Mit 20 Grad Lage erreichte sie mithilfe der Strömung 14 bis 15 Knoten â eine beachtliche Geschwindigkeit fĂŒr ein besegeltes Schiff mit dieser VerdrĂ€ngung! An Deck liessen die fĂŒnfzehn Crewmitglieder nichts unversucht, um den richtigen Trimm zu finden. Dabei immer im Blick: die weit vor ihnen liegende Atlantic. Deren Team hatte sich zwar fĂŒr den lĂ€ngeren Kurs entschieden, erwischte dort aber guten Wind und profitierte von der Strömung, die das Boot in den Solent schob. Elena befand sich derweil in einer heiklen Lage. Patric Clerc: «Als wir kurz vor Mitternacht die Needles erreichten, wurde unsere Situation noch verzwickter, denn es war gerade Gezeitenwechsel. Wir hĂ€tten den Nordkanal bis nach Hurst Point durchqueren können, haben uns aber anders entschieden.
Zum GlĂŒck, denn die Moonbeam und die Mariquita mussten in der Meerenge gegen die Strömung ankĂ€mpfen. Wir haben uns bei 8 Knoten Wind und einer Gegenströmung von 3 bis 4 Knoten unseren Weg gebahnt. Das war nicht ganz einfach, aber das Boot lief schön geradeaus.» Bei der Einfahrt in die Channels wurden die Segel gewechselt, diesmal entschied sich das Team fĂŒr die MTS anstelle der Fisherman «und das hat sehr gut funktioniert. Wir konnten den Abstand auf die Atlantic verringern, zu ihr aufschliessen und sie schliesslich ĂŒberholen.» Die Crew der Atlantic wĂŒrdigte die Ăberlegenheit der gegnerischen Jacht und schaltete an Deck und in den Segeln alle Lichter an, worauf ihr die Besatzung der Elena auf gleiche Weise antwortete. Die Schlaflosen in Cowes dachten wahrscheinlich, sie wĂŒrden trĂ€umen, als sie sahen, wie die beiden Geisterschiffe die Nacht erhellten. Schwer beeindruckt von dieser Vorstellung lobte der Kommodore der Royal Yacht Squadron von Cowes die Segler beim Empfang, den der 200 Jahre alte Club zu ihren Ehren ausrichtete, in den höchsten Tönen.
Passionierter Eigner
BenoĂźt Couturier, dem die Moonbeam und die Mariquita gehören, war als grosser Fan klassischer Jachten massgeblich an der GrĂŒndung des Richard Mille Cups beteiligt. «Wir wollten fĂŒr diese Traditionsschiffe unbedingt richtige Rennen veranstalten, die ĂŒber eine anstĂ€ndige Distanz fĂŒhren und nachts stattfinden. Dazu mĂŒssen die Oldtimer in gutem Zustand sein. Viele werden jedoch heute als Ausflugsboote genutzt oder sind als Handelsschiffe klassiert. Wir sind das Risiko trotzdem eingegangen, ein echtes Sportereignis in Anlehnung an die Fife-Regatta auf die Beine zu stellen. In Saint-Tropez wollten wir auf keinen Fall bleiben, wir brauchten etwas Authentisches.» Da kam eigentlich nur das Revier in Frage, wo die alten Damen vor rund hundert Jahren entstanden sind. «MerkwĂŒrdigerweise gibt es im segelverrĂŒckten England keine Traditionsjachten mehr. Wir wecken bei den Leuten die Lust am Wettkampfsegeln auf klassischen Jachten.» BenoĂźt Couturier lĂ€sst derzeit die M-Class Avatar restaurieren, mit der er am nĂ€chsten Richard Mille Cup antreten will, und bildet auf einer eigens dafĂŒr angeschafften 8mR ein Dutzend junger Regatteure im klassischen Segeln aus. «Sie sind mit Herzblut dabei und hĂ€tten alles gegeben, um mit der Mariquita an diesem Cup teilzunehmen. Sie haben gelernt, mit den alten, fantastisch zu segelnden Jachten umzugehen.»
Cup-Direktor William Collier möchte die Eigner halten und plant daher, die Termine fĂŒr die nĂ€chsten zwei, drei Jahre bereits jetzt bekannt zu geben, damit die Teilnahme frĂŒhzeitig geplant werden kann. «Bei uns haben die Teams nicht nur die Möglichkeit, die Geschichte des Segelns neu zu entdecken, sie können sich auch unter Gleichgesinnten treffen und neue Freundschaften schliessen. Am Richard Mille Cup kommen mehr als 300 Personen zusammen, die in zwei Wochen zehn Wettfahrten austra- gen. Da ist Ausdauer gefragt.» Diesem sportlich-historischen Anspruch wird auch die Wahl der Jachtclubs gerecht. Die SociĂ©tĂ© des RĂ©gates du Havre, der Ă€lteste Jachtclub an der französischen KĂŒste, war auf Anhieb vom Konzept begeistert. Der Richard Mille Cup wird selektiv bleiben, seine Veranstalter schliessen aber nicht aus, das Regattarevier auf andere KĂŒsten zu erweitern.
Die Gesamtsiegerin Mariquita konnte eine 40 Zentimeter grosse Replik des meterhohen, vom königlichen Juwelier Garrard gestalteten Silberpokals entgegennehmen. Auf dem zweiten Gesamtrang folgte Patna. Sie gewann damit auch die Wertung der kleinsten Boote.