2020 wurde auf dem Genfersee die Ära der TF35 eingeläutet. Die Teams trainierten möglichst viel auf dem Wasser, um die fliegenden Einheitsboote in den Griff zu bekommen. Dass die Katamarane im Tiefflug so stabil übers Wasser gleiten, verdanken sie einem Flugsteuerungssystem. Der vom Schweizer Luc du Bois entwickelte Mechanismus ist ein Novum in der Foilerszene.
Text: Gilles Morelle
Fotos: Loris von Siebenthal
Der TF35 ist mit Foils in Form eines umgekehrten Ts ausgestattet, die sich auf zwei Arten bedienen lassen. Zum einen können sie manuell verstellt werden, um den Anstellwinkel, den sogenannten Rake, anzupassen, zum anderen sind sie computergesteuert, d.h. die Klappen oder Flaps, die den Höhenrudern eines Flugzeugs entsprechen, werden mithilfe der Bordinformatik und der Flugrechner automatisch eingestellt. Das gleiche System kommt bei den Tragflächen der Ruderblätter zur Anwendung.
Der Moment, in dem der TF35 abhebt, ist entscheidend. Er fordert von der Crew höchste Konzentration. Ab 12 Knoten stellt sich der Katamaran auf die Foils. Darunter müssen die Foils möglichst wenig Strömungswiderstand verursachen, damit das Boot nicht gebremst wird. Sobald die nötige Geschwindigkeit erreicht ist, verstellt ein Teammitglied den Rake, um den nötigen Auftrieb zu erzeugen, während die Foilsteuerung automatisch die Flaps ausrichtet, damit das Boot abhebt. «In dem Moment, in dem der Kat aus dem Wasser steigt, wird er langsamer, da durch das Anheben der Rümpfe Energie verloren geht. Bei diesem Manöver muss alles millimetergenau abgestimmt sein, denn es ist die heikelste Phase auf einem TF35», erklärt Luc du Bois, der Verantwortliche des Flugsteuerungssystems im Designteam der TF35.
Je höher, desto schneller
Hat der TF35 abgehoben, werden die vom Team vorgegebenen Flugparameter komplett vom System gesteuert. Zwei Parameter werden berücksichtigt: die Flughöhe und die Bewegung des Bootes um die Querachse, der sogenannte Pitch. Es geht in erster Linie darum, den Wasserwiderstand zu minimieren. Dazu muss das Boot möglichst hoch steigen, sodass nur die T der Foils und der Ruderblätter unter der Wasseroberfläche bleiben und genügend Marge vorhanden ist, um problemlos über die Wellen zu kommen. Hoch segeln bedeutet also schneller segeln. Dieser Drahtseilakt, bei dem sich der Auftrieb mit zunehmender Flughöhe verringert, gehört vor allem bei rauen Bedingungen zu den kritischen Momenten, denn die Crew muss entscheiden, wie viel Risiko sie eingehen will. Ein weiterer Vorteil ist die nur bei Foilern gegebene Möglichkeit, gegen die Krängung zu segeln. Dadurch besteht bei Windböen, bei denen der Kat sonst gefährlich Schlagseite bekommen könnte, etwas mehr Spielraum. Mithilfe des Pitch wird der Rumpf nach unten gedrückt, sodass der Spiegel steigt und die benetzte Fläche des Ruderblattes verringert wird. Wasserwiderstand ist der grösste Tempokiller, daher wird alles daran gesetzt, ihn zu reduzieren. Durch den negativen Pitch (Bow-down) bieten die Segel dem Wind weniger Fläche und der TF35 kann im stabilen Flug gehalten werden.
Unterstützt segelt es sich besser
Schauen wir uns die Foilsteuerung genauer an. Zwei Sensoren messen den Abstand zur Wasseroberfläche und leiten daraus die Eintauchtiefe der Foils ab. Sie ist die zentrale Kennzahl für einen stabilen Flug. Der Bordcomputer verarbeitet eine Riesenmenge an Daten, so zwischen 50 und 100 pro Sekunde. Nachdem er sie ausgewertet und analysiert hat, werden rund zehn Befehle pro Sekunde an die Servomotoren übermittelt, die auf die Flaps der Foils und Ruderblätter wirken. Um eine bestimmte Flughöhe zu erreichen, wird das Boot zunächst mithilfe der Foils gehoben oder gesenkt, anschliessend wird der Flug mit den Ruderblättern stabilisiert. Luc Dubois: «Der TF35 soll das Foilen einfacher machen, das war die Grundidee des Konzepts». Wenn die Zielvorgaben einmal feststehen, verstellt der Computer und nicht der Mensch die Flaps. So können viele Trainingsstunden und -tage eingespart werden. Bei grossen Booten wie den AC75 des America’s Cups stellen die Segler die Flughöhe manuell ein. Allerdings wird dort in anderen Dimensionen gerechnet. Der persönliche, finanzielle und zeitliche Aufwand ist um ein Vielfaches grösser.»
Künstliche Intelligenz momentan kein Thema
Die Realität erweist sich stets als komplizierter als bei der Softwareentwicklung angenommen. Die Schwierigkeit bestand daher darin, ein System zu entwerfen, das ebenso reaktiv wie tolerant ist. Aufgrund der unebenen Wasseroberfläche ist das Signal der Höhenmessung stark verrauscht. «Per Definition ist jedes Echtzeitsystem immer im Verzug. Unsere Flugsteuerung kann nicht vorausschauend auf Wind und Wellen reagieren. Der Mensch hingegen erkennt in Sekundenbruchteilen, was passieren wird», sagt Luc Dubois. Kurzfristig hat die Weiterentwicklung des Flugassistenzsystems keine Priorität, denn die TF35 sind ja eine Einheitsklasse und die Teams daher gleichgestellt. Für die Entwicklung neuer Funktionen bräuchte es ein Testboot, die Einwilligung aller Eigner und schliesslich die Umsetzung auf allen TF35. Ein aufwendiges Vorgehen, das nicht der Projektphilosophie entspricht. Man hätte eventuell die Möglichkeiten die als Wunderwaffe gehandelte künstliche Intelligenz zu nutzen und Sensoren herzustellen, die in der Lage sind, Wind und Wellen zu lesen oder Daten in Echtzeit zu analysieren, um besser auf die nächsten Schritte vorbereitet zu sein. Bei den 20- bis 30-minütigen Läufen schafft es das Team aber auch ohne Wunderwaffe ganz gut. Seine Intelligenz hat nichts Künstliches. Wahrscheinlich ist das auch besser so.
2021 startet die TF35 Trophy
Nach einer quasi inexistenten Saison 2020 konnten sich die Teams an den wenigen Freundschaftsregatten zumindest vergewissern, dass das Konzept der TF35 Trophy stimmt. Der Saisonauftakt 2021 wird auf dem Genfersee ausgetragen, bevor sich die Flotte auf das Mittelmeer zur Bucht von Scarlino in Italien verschiebt. Mit der Einrichtung einer Mittelmeerbasis für Wintertrainings erhält die Rennserie eine internationale Dimension. 2021 gab es nur eine nennenswerte Änderung. Weil sich die Einsatzbereiche der Vorsegel zu sehr überschnitten, wurden sie neu konfiguriert. Die überlappende Genua wurde durch eine grosse Fock ersetzt, die das gesamte vordere Dreieck einnimmt. Zudem wurde die Gennakerfläche für eine bessere Sicht und somit für mehr Sicherheit verkleinert und das Schothorn höher gesetzt. Bei der Teamzusammensetzung blieb im Vergleich zu 2020 mehr oder weniger alles beim Alten. Ein TF35 ist noch frei, falls sich ein achtes Team für die ganze Saison engagieren möchte. Da die besondere Foilsteuerung doch etwas Übung braucht, eignen sich die TF35 nicht für wechselnde Gästeteams. Das Steuern einer TF35 ist schliesslich eine Kunst !