Das Team von Esteban Garcia liess der Konkurrenz an der diesjährigen TF35- Meisterschaft nicht den Hauch einer Chance. Realteam war ganz einfach die beste Mannschaft. Offenbar hat die Crew um Skipper Jérôme Clerc alles richtig gemacht.
Text: Oliver Dufour
Fotos: Loris von Siebenthal
Blickt man auf die Statistik, könnte man meinen, Realteam Sailing habe die TF35-Trophy 2023 im Alleingang bestritten. Das Team von Esteban Gar- cia hat alle sechs Events der Saison gewonnen. Nicht einen einzigen Sieg gab der in Blautönen schattierte Foiler-Kataraman aus der Hand. An der Genève-Rolle-Genève Anfang Juni belegte er zwar nur den 5. Rang, aber da die Platzierungen der beiden Langstreckenklassiker in der Meisterschafts- wertung kombiniert werden, resultierte eben doch ein Sieg, weil Realteam eine Woche später an der Bol d’Or erneut als Erster durchs Ziel ging. Jérôme Clercs Crew war mit unglaublichen fünf Punkten Vorsprung unbestritten der Überflieger der Saison. Trotzdem folgte die Konkur- renz nicht unter «ferner liefen». Mehrmals konnte Realteam die Duelle mit den beiden Hauptrivalen Spindrift und Ylliam XII – Comptoir Immobilier nur mit hauch- dünnem Vorsprung für sich entscheiden. Der Skipper erinnert sich: «Unsere Gegner haben ständig Druck gemacht. Je weiter die Saison voranschritt, desto enger wurde es. Manch- mal waren Details das Zünglein an der Waage. In Malcesine haben wir mit Spindrift Katz und Maus gespielt. Das kam uns aber gar nicht so ungelegen, denn dadurch kamen wir nicht in Versuchung, einen Gang runterzuschalten.»
Wie Pech und Schwefel
Die Fähigkeit, sich nach Rückschlägen wieder aufzurappeln, schreibt Jérôme Clerc der positiven Einstellung seines französisch-schweizeri- schen Kollektivs zu. Seine Jungs halten zusammen, sagt er stolz. «Bei uns herrscht ein grossartiger Teamgeist, so etwas habe ich erst einmal erlebt, nämlich 2012, als wir in der D35-Saison praktisch alles gewonnen haben.» Damals holte Realstone Sailing, der Vorläufer des von Esteban Garcia gegründeten Profi-Rennstalls Realteam, nicht nur die Vulcain Trophy, sondern ging auch als Gesamtsieger aus der Bol d’Or hervor. Jérôme Clerc war be- reits damals als Skipper und Steuermann am Ruder und wachte in dieser Funktion über eine talentierte Truppe junger Hoffnungsträger vom Genfer Centre d’Entraînement à la Régate (CER). Zu den Shooting Stars gehörten unter anderem die heute international erfolgreichen Arnaud Psarofaghis, Bryan Metraux und Nils Palmieri.
Was motiviert ein Team, sich mit Haut und Haaren dem Segelsport zu verschreiben und einen so unbändigen Siegeswillen an den Tag zu legen? «Die Herausforderung», antwortet der 43-Jährige wie aus der Pistole geschossen. «Sie treibt die Gruppe an und bringt sie dazu, als Team über sich hinauszuwachsen. Zusätzlich motivierend wirkt der runde Geburtstag von Realteam Sailing, das dieses Jahr sein 10-jähriges Jubiläum feiert.» Es gibt allerdings noch einen anderen Grund, warum Realteam eine so überragende Leistung gezeigt hat. Ihm kam die Foilerfahrung zugute, die einige Mitglieder aus der GC32- und der Flying-Phantom-Szene mitbringen. Bestimmt ins Gewicht gefallen ist auch das Fehlen der anderen Foiling-Spezialisten, die momentan mit Alinghi im America’s Cup engagiert sind. «Sie werden ihren Rückstand nächstes Jahr garantiert schnell wettmachen», ist Jérôme Clerc überzeugt.
Erfolg nach Befreiungsschlag
Drei Meilensteine haben das Jubiläumsjahr von Realteam geprägt. Als Erstes sicherte sich die Crew im März den «Ruban bleu» für die schnellste Genfersee-Durchquerung von Genf nach Le Bouveret und wieder zurück, auf den sie es schon lange abgesehen hatte. «Wir waren mit dem GC32 schon mehrmals ganz nahe dran, doch am Schluss ist uns immer etwas in die Quere gekommen. Entweder haben wir den Rekord um Haaresbreite verpasst oder wir mussten den Versuch wegen Materialschadens oder schlechter Witterung abbrechen», erzählt der Skipper. «Dass wir nie aufgegeben haben, zeigt unsere Resilienz. Wir haben alle das gleiche Ziel verfolgt: auf einer vorgegebenen Distanz auf einem Klassenboot – und nicht auf einem speziell dafür gebauten Prototyp – das Beste zu geben. Der Erfolg war wie ein Befreiungsschlag, er hat viel Druck von uns genommen.» Der zweite Meilenstein war der Gewinn der TF35 Trophy. «Mit dem Ru- ban bleu in der Tasche konnten wir uns voll und ganz auf den Grand Prix und die Meisterschaft fokussieren», erzählt der Lausanner weiter. Wenn uns der Rekord nicht gelungen wäre, hätte sich das womöglich auf die restlichen Saison ausgewirkt. So konnten wir für die Sprint-Rennen an unserer Segelpraxis feilen.»
Kreativ bleiben
Dritter Meilenstein war der überraschende Versuch, die Foils des TF35 für die Bol d’Or durch Schwerter zu ersetzen, um das Boot im Hinblick auf den vorausgesagten Schwachwind so leicht wie möglich zu machen. «Mit dieser taktischen Option, die vorher noch niemand ausprobiert hatte und an die auch niemand wirklich glaubte, haben wir Mut bewiesen», befindet Jérôme Clerc. Auch hier waren wir sechs uns einig, obwohl die Entscheidung das Team durchaus hätte spalten können.» Ohne die harte Konkurrenz der D35 und der M2 hätte sich die kühne Wahl bei den Flautenbedingungen aus- gezahlt. Immerhin fuhr Realteam an diesem Prestigerennen den anderen T35 davon.
Nächste Saison will Realteam Sailing seine hohen Ziele in der Klasse weiterverfolgen. «Wir haben nicht vor, uns in anderen Klassen zu engagieren, denn wir wollen uns nicht verzetteln», versichert der Skipper. «Die TF35 Trophy 2024 wird bestimmt spannend, die Gegner steigern sich fortlaufend. Wir werden uns doppelt anstrengen müssen, um unseren Vorsprung zu halten. Als Führender muss man kreativ sein, als Verfolger hingegen versucht man von den Leadern zu lernen und schaut ihnen möglichst viel ab», erklärt er, im Wissen, dass die Konkurrenz im Kielwasser von Realteam bereits den Gegenschlag vorbereitet.