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Tilt, das Erfolgsteam

von Quentin Mayerat

© Loris von Siebenthal

Fast 500 Boote aller Grössen hatten sich in Genf bei schönstem Juniwetter eingefunden, um nach Le Bouveret am anderen Ende des Genfersees und wieder zurück zu segeln. Den Teilnehmern war klar, dass sie viele Stunden auf dem See verbringen würden, nach dem kleinsten Windhauch Ausschau haltend, wie Goldsucher, die ihr Sieb nach unwahrscheinlichen Nuggets absuchen. Sie alle hatten am Vorabend Lionel Fontanaz’ Orakelsprüchen gelauscht und wissen, dass er sich nur selten irrt. Hochdruckgebiet, wolkenverhangener Himmel, feuchte Luft und instabile Atmosphäre bildeten einen ungünstigen Cocktail für einen berechenbaren Wind und die bei Genferseeseglern so beliebte lokale Thermik.

© Loris von Siebenthal

Aber egal, denn Prognosen sind das eine, das Rennen das andere. Die Bol d’Or gehört zu den Regatten, für die man so ziemlich alles akzeptiert. Und dass der Genfersee launisch ist, weiss auch jeder. Bise gab es letztes Jahr. Dieses Jahr musste man sich auf eine echte Bol d’Or gefasst machen, eine mit allen nur erdenklichen Bedingungen: unvorhersehbar, lang, heiss, nass und manchmal sogar kalt.

© Loris von Siebenthal

Spi-Spektakel

Um punkt zehn Uhr morgens ertönte der Startschuss. Er wurde von Antoine Barde, dem Präsidenten der Republik und des Kantons Genf, unter der Aufsicht der alten Artilleristen abgegeben. Trotz der nur knapp drei Knoten Windstärke schaffte es ein Grossteil der Flotte, sich von der Linie abzusetzen und langsam in Richtung Norden zu gleiten. Der Wind war wirklich kaum zu spüren, aber beim ersten leichten Hauch aus Süden blähten sich plötzlich unzählige Spinnaker. Sie sahen aus wie ein Mohnfeld, das die Sonne grüsst. Die zahlreich erschienenen Zuschauer freuten sich über den Anblick, denn eine Bol d’Or, die unter Spi startet, ist eine fotogene Bol.

1er monocoque, le Psaros 40 Oyster Funds était barré par Philippe Gay, épaulé par un équipage très concentré. © Loris von Siebenthal

Die Boote auf Schweizer Seite waren zunächst wie oft in solchen Situationen im Vorteil. Alle anderen, die sich auf der rechten Seite der Linie befanden, mussten tatenlos zusehen, wie ihre Konkurrenten zwischen Bellevue und Versoix das Weite suchten. Einigen Booten spielte ihre taktische oder zufällige Wahl, sich auf französischer Seite zu halten, lange übel mit. Zen Too parkierte über eine Stunde lang vor der Belotte und wartete, dass sich das Schicksal wendete. Da sich der Wind später immer wieder verabschiedete, konnte das hintere Feld mehrmals aufschlies-sen und es kam zu etlichen Positionswechseln. Trotz der etwas chaotischen Situation gelang es den Katamaranen, den kleinen Startvorsprung zu halten. Ladycat segelte bis Le Bouveret sogar konsequent in Führung.

Vendée-Globe-Sieger François Gabard steuerte die D35 Okalys. Sie lag zeitweise in Führung, schliesslich reichte es ihr aber nur für den 5. Platz. © Yves Ryncki

Mühsame Hinfahrt

Während die Mehrrümpfer und einige schnelle Einrümpfer in der zweiten Nachmittagshälfte endlich die Rhonemündung zu Gesicht bekamen, hatte es der Rest der Flotte erst aus dem unteren Genfersee geschafft. Wind war nach wie vor kaum vorhanden.

© Loris von Siebenthal

Doch auch die Führenden brauchten über sieben Stunden bis zur Wendemarke. Als erstes wurde sie von Realteam, Team Tilt, Ladycat und Safram gerundet. Die Libera Raffica passierte die Marke als schnellste Jacht nach achteinhalb Stunden, gefolgt von der F10 Bugnon und der Psaros 33 Bertherat. Die schnellsten Grand Surprise mussten sich sogar mehr als 12 Stunden, die Surprise knapp 13 Stunden gedulden, bis sie die Hälfte der Strecke hinter sich gebracht hatten.

© Loris von Siebenthal

Blitz und Donner

Am frühen Abend fegte dann das von MeteoSchweiz gemeldete Gewitter über den See und schob einige Boote in Richtung Ziel. Andere hatten weniger Glück und mussten teilweise spektakuläre Havarien beklagen. Die GC32 Edmond de Rothschild mit Pechvogel Sébastien Josse am Ruder erlitt auf dem Rückweg bei einem Bootsspeed von über 30 Knoten einen Mastbruch. Im Ziel meinte Jossé zum Rennverlauf: „Die erste Regattahälfte bis nach Le Bouveret war nicht einfach, wir haben aber nicht locker gelassen und nach fast neun Stunden zeigten unsere Rümpfe wieder nach Genf. Dann bauten sich mehrere Gewitter auf, es begann zu regnen und die Sturmwarnungen leuchteten. Nach der stundenlangen Flaute wurden wir endlich erlöst! Der Wind frischte bis auf rund 20 Knoten auf, was durchaus im Rahmen liegt. Das Team reduzierte die Segel und überstand die erste Sturmböe problemlos. Als wir mit 30 bis 33 Knoten Bootsspeed über den See bretterten, brach plötzlich der Mast.“

Keine Schäden beklagten die D35. Team Tilt nutzte die Böe und zog davon. „Wir haben das Rennen im Gewittersturm gewonnen. Solche Bedingungen liegen uns offenbar“, freute sich der erst 19-Jährige Siegerskipper. Okalys mit François Gabart hatte zwar lange in Führung gelegen, konnte sie aber nicht bis zum Schluss verteidigen.

Eine lange Nacht

Die Ersten erreichten die SNG kurz nach dem Eindunkeln, die meisten aber mussten die Nacht auf dem Wasser verbringen. Kurz nach ein Uhr morgens querte mit der Psaros 40 Oyster Fund das erste Einrumpfboot die Linie und holte sich damit die Bol de Vermeil. Wenig später gesellte sich die Psaros 33 Raijin zu ihr. Mit axonproject.ch schaffte es eine weitere Psaros 40 aufs Podest. In der mit über 100 Teilnehmern wie immer am stärksten vertretenen Flotte der Surprise gewannen Damien Mermoud, Cédric Pochelon, Fabrice Darbellay und Julien Sudan. „Es gab zwar nur wenig Wind, aber festgesteckt sind wir eigentlich nie“, meinte Cédric Pochelon. „Wir haben uns mit Greenwatt ein tolles Duell geliefert, konnten uns gegen Ende der Nacht aber absetzen und kamen knapp vor ihr ins Ziel.“ Für einen Podestplatz reichte es auch Teo Jakob mit Skipper Michel Glaus, Christophe Ganz, Jean-Marc Monnard und Cécile Hastrais. Der frühere Präsident der Bol d’Or Mirabaud hatte seit seinem Amtsantritt an der Spitze der grössten Binnenseeregatta der Welt nicht mehr teilgenommen und freute sich, endlich wieder auf der anderen Seite zu sein.

Ein Volksfest

In berechneter Zeit hiess die Siegerin Ardizio; sie gewann zugleich auch die Klasse TCF 1+2. Nicht ganz unbeteiligt an diesem Erfolg dürfte der mehrfache Weltumsegler Dominique Wavre gewesen sein, der an Bord mitfuhr. Erwähnenswert sind zudem der erste Platz von Team Seven mit Bertrand Geiser bei den M2 sowie der Sieg von Little Nemo II bei den Grand Surprise. Aber eigentlich geht es bei der Bol d’Or um viel mehr als ums Siegen. Die ganze Nacht hindurch bis in den frühen Morgen und am Sonntag bis um 17 Uhr trudelten die Boote im Port-Noir ein. Im Restaurant der SNG riss der Andrang nicht ab. Bei der traditionellen Lasagne auf dem Kartonteller und einem Glas Bier liessen die übernächtigten und abgekämpften Segler die Regatta nochmals Revue passieren. Denn auch das ist die Bol d’Or: eine Volksregatta, bei der man stolz ist, wenn man sie zu Ende gesegelt hat. Die Klassierung spielt dabei eine Nebenrolle.

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