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Wenn ich gross bin, werde ich Segelmacher!

von Quentin Mayerat

Der Beruf des Segelmachers ist für viele Regattasegler ein Traum. Er wird als idealer Job wahrgenommen, bei dem man regelmä- ssig zum Segeln kommt und zu einem privilegierten Ansprechpartner im Regattazirkus wird. Die Realität ist allerdings etwas weniger idyllisch und auch wenn die Arbeit in einer Segelmacherei Regattaseglern Vorteile bringt, so ist sie doch hart und nicht unbedingt gut bezahlt. Ausserdem verbringt man unter dem Strich deutlich mehr Stunden an Land als auf dem Wasser. „In einer Segelmacherei anzufangen ist etwa so, als ob man einer Religionsgemeinschaft beitritt“, meint Ben Schagen, Direktor von North Sails Schweiz. „Wenn man sich in der Firma einen Platz verschaffen will, muss man von morgens bis abends und sogar an den Wochenenden ans Segeln denken. Die Tätigkeit ist nur etwas für Passionierte, die bereit sind, sich dem Beruf mit Leib und Seele zu verschreiben.“

Wer den Schritt trotz dieser Schwierigkeiten wagt, sieht sich in der Schweiz mit der schwierigen Situation konfrontiert, dass es keine offiziell anerkannte Ausbildung gibt. Wie in den meisten Nachbarländern muss sich jeder selbst zu helfen wissen. Man muss aus der Praxis lernen und sich damit zufrieden geben. Eine unbefriedigende Lösung, vor allem für junge Leute, die ein Mindestmass an Betreuung benötigen, um im Berufsleben Fuss zu fassen. Schuld an dieser Situation sind der kleine Markt und die grosse Konkurrenz.

Ein offiziöses Diplom
Wer sich sowieso nichts aus Diplomen macht, dem ist natürlich gehol- fen. Mehrere Chefs haben uns versichert, dass sie Neulinge ziemlich schnell für die Produktion anlernen können. „Jemand, der ein gewisses handwerkliches Geschick mitbringt, sorgfältig arbeitet und Segelkennt- nisse besitzt, der wird sich schnell zurechtfinden und kann mehrere Aufgaben bereits nach wenigen Monaten selbstständig ausführen“, sagt Nicolas Berthoud, Chef der Segelmacherei Europ’Sails. Viele Jugendliche haben sich denn auch für eine „wilde“ Ausbildung entschieden, die einzig auf der im Lauf der Jahre erworbenen Erfahrung aufbaut. Andere wiederum legen Wert auf eine formale Anerkennung und ab- solvieren einen Studiengang, der Teil der Bootsbauerlehre ist. Ange- hende Segelmacher haben in der Westschweiz nämlich die Möglichkeit, einen Tag pro Woche einen Kurs zu besuchen und gleichzeitig eine nicht offizielle Lehre in einem Unternehmen zu machen. Diese Lösung hat den Vorteil, dass sie den Betroffenen einen Rahmen bietet. Trotzdem bleibt der auf diese Weise erlangte Titel aber offiziös. Segelexperte Pierre-André Reymond war zehn Jahre lang für die Ausbildung der Bootsbauerlehrlinge zustän- dig und hat sich für eine bessere Anerkennung der Segelmacher eingesetzt, indem er seine Kurse und die Prüfungen den Besonderheiten der Tätigkeit anpasste. „Von Segelmachern zu verlangen, dass sie Bauschreinerarbeiten ver- richten oder einen Bootsrumpf zeichnen, hat keinen Sinn. Also haben wir für sie vor allem im Bereich Zeichnen und Technologie ein be- sonderes Programm ausgearbeitet“, erzählt Reymond. Er bedauert, dass seine Arbeit nicht weiter gegangen ist. „Eine echte Lehre aufzu- bauen ist teuer und die Initiative muss von den Berufskreisen ausgehen. Doch bisher wollte niemand das Geld investieren, da ist es nur lo- gisch, dass die Situation auf der Stelle tritt.“

Röstigraben
In der Deutschschweiz gibt es keine vergleich- bare Ausbildungsmöglichkeit. „Die Herstellung von Segeln ist ein eigenständiger Beruf und ich glaube nicht, dass es Sinn macht, Bootsbauer- kurse zu besuchen“, urteilt Stefan Feld von VM Sails in Tübach. Die Segelmacherei am Boden- see gibt unumwunden zu, dass sie nicht allzu viel Aufwand für die Ausbildung betreiben will und einen Grossteil der Arbeitskräfte auf dem europäischen Markt findet. In Lübeck an der Nordsee gibt es eine Berufsschule für Segel- macher und die jungen Schulabgänger werden sehr geschätzt.

Ähnlich ist die Situation in Frankreich, wo in der Berufsschule von Douarnenez ein Studien- gang angeboten wird. Trotzdem bildet Bernard Cudenec von der Incidence-Gruppe sein gesamtes Personal intern aus, wie er erklärt. „Man muss wissen, dass der Beruf zwei Kategorien um- fasst, nämlich die Gestaltung und die Produktion. Für die Produktion gibt es verschiedene Laufbahnen, einige Arbeiter kommen aus der Industrie. Für das Design hingegen braucht es erfahrene Regattasegler, die idea- lerweise auch noch eine wissenschaftliche Ausbildung vorweisen kön- nen.“ Das Idealprofil eines „Ingenieurs in Aerodynamik mit umfassender Regattaerfahrung“ sei eine Utopie, so Cudenec und darin stimmt der Direktor von Incidence mit Ben Schagen überein, der das Designen von Segeln mit der Arbeit eines Ingenieurs gleichsetzt. „Bestimmte Material- beanspruchungen und Aspekte der Strömungslehre setzen fundierte wissenschaftliche Kenntnisse voraus“, bestätigt Schagen. Trotzdem ist die Erfahrung der Designer nach wie vor die wichtigste Voraussetzung. Jean-Marc Monnard und Arnaud Psarofaghis haben sich nicht von unge- fähr dafür entschieden, zusätzlich zu ihrer Regattatätigkeit als Segelma- cher zu arbeiten.

All diese Beispiele zeigen, dass es nicht einen, sondern viele Wege gibt, den Beruf des Segelmachers zu ergreifen, und dass vor allem eins wich- tig ist, um in diesem sehr willkürlichen Markt Fuss zu fassen: viel Ent- schlossenheit. Der Beruf bietet zwar kein offizielles Diplom, dafür aber die Aussicht, international viel herumzukommen. Mehr braucht es oft nicht, um Jugendliche zu begeistern.

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