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Wir segeln auf einem Flachsfeld

von Quentin Mayerat

Keine Schonfrist: Die drei bretonischen Surfer haben ihrem Boot an der Tour de Bretagne im letzten Juni alles abverlangt. © zVg

Die Firma Kairos des Seglers Roland Jourdain hat Grosses vor. Sie engagiert sich im Regattasport (unter anderem bei den MOD70) und in der Öko-Innovation und betreut in der Tricat-Werft den Bau des ersten Familien-Trimarans aus Flachsfasern. Gwalaz, was auf Bretonisch Seeegras bedeutet, ist die exakte Replik des Tricat 23.5 (7,11 m). Noch nie wurde ein so grosses Boot von A bis Z aus Bio-Verbundstoffen hergestellt. Seine Besonderheit liegt darin, dass anstelle der üblichen, energiefressenden und nur schwer recyclebaren Glasfaser ein Sandwich aus Flachsfasern, Balsaholz und Kork für den Kern sowie zu 30 Prozent biobasiertes Harz verwendet werden.

„Nachhaltiges Fahrtensegeln“ lautet das Ziel von Roland Jourdain, hier an Bord der Gwalaz. © zVg

Auf die zündende Idee kam Antoine Houdet, der Chef von Tricat, dank drei erfinderischen Surfern, denen er an der Pariser Bootsmesse 2011 begegnet war. Ronan Gladu, Ewen Le Goff und Aurel Jacob planen für den Winter 2014 eine Expedition auf die Salomoninseln und wollten ein schnelles, umweltgerecht hergestelltes Boot, das sie von Insel zu Insel bringen soll. Antoine Houdets Interesse war geweckt. Er musste aber gestehen, dass er sich mit Biomaterialien nicht auskannte. Die drei Bretonen liessen sich dadurch nicht entmutigen und stellten im Frühling 2012 den Kontakt zwischen Tricat und Kairos her. Kairos arbeitet insbesondere bei der Herstellung von Surfbrettern seit 2009 im Bereich Bio-Verbundstoffe mit Ifremer und der Universität Bretagne-Sud zusammen. Aus dieser Kooperation entstand auch das Projekt der Gwalaz. Am 28. Mai 2013, fünf Monate nach Baubeginn, wurde der Trimaran eingewassert.

Die Mitarbeiter der Werft Tricat, die das Boot aus Bio-Verbundstoffen gebaut hat, sind sich den Anblick von Flachs gewohnt. © zVg

Das Fazit ist eindeutig: Der Wurf ist gelungen! Beim Segeln rund um die Bretagne (das Video gibt‘s unter www.lostintheswell.com) überzeugte das Flachsboot in allen Belangen, obwohl es rund 15 Prozent schwerer ist als ein Serientrimaran. Der Gewichtsunterschied ist auf die einberechnete Sicherheitsmarge zurückzuführen. Antoine Houdet glaubt, dass er auf bis zu 5 Prozent gesenkt werden könnte. Von den drei Surfern bis ans Limit getrieben, erreichte die Gwalaz problemlos 19,3 Knoten und lag damit nur knapp hinter dem Temporekord der Serientrimarane zurück. „Das Boot ist sehr solide. Es hat sich nicht bewegt und weist eine bessere Längssteifigkeit auf als seine Schwesterschiffe aus Glasfaser“, freut sich Roland Jourdain. „Die Flachsfasern, die an einigen Stellen durch das transparente Gelcoat sichtbar sind, sehen einwandfrei aus. Eigentlich segeln wir auf einem Flachsfeld!“ Die für den Bau der Gwalaz verwendeten 110 kg Flachsfasern entsprechen etwa 1/10 Hektar. In einigen Jahren wird sich zeigen, ob die Konstruktion auch altersbeständig ist.

© zVg

Zufriedene Werft

„Eine Serienproduktion kommt derzeit nicht in Frage“, sagt Antoine Houdet. „Wir haben bereits die Anfrage eines Kunden abgelehnt. Falls wir in drei, vier Jahren feststellen, dass die Eigenschaften des Bio-Verbundstoffs vollständig erhalten geblieben sind, werden wir unsere Kundschaft entsprechend informieren, denn er ist teurer als Glasfaser-Polyester. Fest steht, dass unser Experiment zum jetzigen Zeitpunkt gelungen ist und sich unser vierköpfiges Team stark für das Projekt engagiert hat. Die Stichprobenuntersuchungen und die mechanischen Eignungstests des Materials wurden von Kairos und Ifremer durchgeführt, sodass wir uns auf den Bau im Vakuum-Infusionsverfahren konzentrieren konnten. Das Material erwies sich als äussert angenehm in der Verarbeitung und verursachte keine Allergien. Beim Polieren hat man das Gefühl, als arbeite man mit Holz. Zwei Schwierigkeiten traten dann aber doch auf: Die Lagerung des Flachs ist aufwändiger, da die Luchtfeuchtigkeit ständig überprüft werden muss, und es galt die ideale Infusionszeit zu finden. Dazu waren etliche Tests nötig.

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Auch das Auftreiben des gewünschten Stoffs war nicht ganz einfach. „Die Suche nach einer Firma, die den von uns gewünschten Spezialstoff im Angebot hatte, gestaltete sich schwierig“, bestätigt Ludovic Bosser, der Fachmann für Bio-Verbundstoffe bei Kairos. „Als Rohstoff beherrschen wir Flachs, schliesslich stammen 70 Prozent der weltweiten Produktion aus Frankreich. Er muss aber mit einer besonderen Webetechnik mit regelmässigem Flächengewicht verarbeitet werden. Zudem benötigen wir eine flache biaxiale Faser, die uns nur das italienische Unternehmen Selcom Group liefern konnte.“

CO2-arme Lokalproduktion

Auch der Flachs wurde genaustens ausgewählt. „Er wächst direkt neben unserer Firma“, sagt Roland Jourdain und erklärt: „Auch kurze Transportwege gehören zu unserem umweltgerechten Vorgehen, die CO2-Bilanz soll so niedrig wie möglich ausfallen. Flachs wird aber nicht überall eingesetzt. In Bangladesch zum Beispiel, wo ich letzten Winter war, werden eher Jutefasern verwendet.“ Der Segler will es nicht beim Bau eines Bootes aus Bio-Verbundstoffen belassen: „Wir möchten in der Bretagne den Aufbau einer neuen Branche fördern und sie auch in die Normandie exportieren, indem wir die Anbauflächen erhöhen. Heute sind es 70‘000 Hektar, in der Vergangenheit waren es bis zu 200‘000. Flachs benötigt weniger Wasser und Pflanzenschutzmittel als andere Pflanzen und kann sowohl auf dem Wasser (Bootsabdeckungen, Inneneinrichtungen usw.) als auch an Land (Möbel, Sportartikel, Stadtgestaltung, Gesundheitswesen – Flachsöl) für alles Mögliche eingesetzt werden.“

Roland Jourdain ist überzeugt: Es darf nichts unversucht gelassen werden, um neue, nachhaltige Produktions- und Verbrauchsmöglichkeiten zu finden. Die Gwalaz ist in diesem Sinn eine Hoffnungsträgerin. „Seit der Einwasserung des Bootes wurde ich bereits mehrfach von Personen kontaktiert, die an möglichen Anwendungen interessiert waren. Es liegt nun an Kairos, sein Fachwissen bei den Unternehmen einzubringen, die in die Öko-Konzeption ihrer Produkte aus Verbundstoffen investieren möchten. Die Ökobilanz wird uns Aufschluss über die Auswirkungen auf die Umwelt geben und auf Aspekte hinweisen, die noch verbessert werden können. Die Verwendung von Materialien aus der Biomasse ist auf jeden Fall zu begrüssen. Allein schon die Energierückgewinnung ist hervorragend.“

Antoine Houdet glaubt an Bio-Verbundstoffe und ist deshalb auch der Vereinigung EcoNav beigetreten, der 70 weitere Unternehmen angehören. Ihr Hauptziel ist die Weiterentwicklung von umweltschonenden Segelbooten. Mit der tatkräftigen Unterstützung der Bretagne entsteht gerade eine neue Branche der Bio-Verbundstoffe.

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