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XO-Racer: Feuriger Bolide

von Quentin Mayerat

XO RacerEin nur gerade 6,40 m langes Segelboot, das mühelos die 20-Knoten-Marke knackt. Das ist der neuste Wurf der Werft XO Sailers in Biel.

Es war einmal ein kleiner, knapp 6 Meter langer Racer, der die Frechheit besass, vor dem Wind und unter Spi einer Volvo 70 um die Nase zu fahren. Was klingen mag wie ein Märchen, ist letztes Jahr tatsächlich so geschehen. Schauplatz war die 1969 erstmals ausgetragene Barcolana-Regatta, die jeden zweiten Sonntag im Oktober im Golf von Triest rund 2000 Segelboote anlockt. Designt wurde der Querulant vom talentierten Paolo Bua. Der Sarde gerät regelrecht ins Schwärmen, wenn er über den XO-Racer spricht: „An der Barcolana werden die Boote nicht vermessen. Die Regatta wird in Echtzeit gewertet und die Boote werden nach ihrer Länge in Klassen aufgeteilt. Wir gehören zur zahlenmässig grössten Klasse 9. Sie umfasst die kleinsten Boote bis 6,50 Meter. Der schwarze XO-Racer meiner Freunde hat die Baunummer 3. Auch die Exemplare 1 und 2 sind mitgesegelt. Wir drei haben das Podest unserer Klasse komplett für uns vereinnahmt. Alle Klassen zusammengenommen rangierte sich der erste XO auf dem 124. Platz, der zweite wurde 170. und der dritte war etwas weiter abgeschlagen. Die anderen Boote aus unserer Klasse lagen mehrere hundert Plätze dahinter.“ Paolo Buas Begeisterung ist nachvollziehbar, denn der XO-Racer entschied im letzten Jahr sämtliche Läufe für sich und setzte sich in der Schlusswertung nicht nur in seiner, sondern auch in den drei nächsthöheren Klassen durch. Zweimal schaffte es der coole Flitzer sogar auf den 55. Gesamtrang. Dieses Jahr sieht seine eindrückliche Bilanz ähnlich aus.

Italienisch-schweizerisches Projekt

Der XO-Racer wurde an der grossen europäischen Bootsmesse Grand Pavois in La Rochelle vorgestellt. Ein Unbekannter ist er also nicht mehr – auch deshalb nicht, weil bereits sechs Exemplare vom Stapel gegangen sind (ein weiteres befindet sich im Bau) und weil er seine Karriere als Share 640 begonnen hat. Die Fäden zog damals Alexandre Genoud. Der begnadete Bootsbauer und Fachmann für Holz und Verbundstoffe kam in der Schweiz zur Welt. Nach seiner Ausbildung an der Schule für angewandte Kunst in Vevey betätigte er sich als Werbefotograf und -filmer und gründete schliesslich sein eigenes Studio. 2000 hatte er genug von der Werbeszene und absolvierte eine Bootsbauschule in Grossbritannien. Zwei Jahre später kehrte er für den Nachbau der amerikanischen Camden Sloop aus dem Jahr 1915 ein erstes Mal in die Schweiz zurück. Das Segelboot wurde 2003 am Grand Pavois gezeigt. Für Alexandre war das der Anfang einer erfolgreichen Bootsbauerkarriere, während der er in Frankreich viele aussergewöhnliche Schiffe herstellte. Zwölf Jahre lang traf der Segelfan viele XO RacerWerftleiter und Bootskonstrukteure. Darunter, Sie haben es bestimmt vermutet, befand sich auch Paolo Bua. Die beiden lernten sich schätzen und freundeten sich an. Sie arbeiteten gemeinsam an mehreren Projekten wie dem Leggero, dem Rosso 28 und dem XO, einem schnellen Cruiser im Neo-Retro-Design. Überzeugt vom XO schlug Emmanuel Hannart 2015 vor, einen Betrieb in der Schweiz einzurichten, um auf professionellere Art eine neue, zeitgenössischere Version zu bauen. Entstanden ist der im Infusionsverfahren gefertigte XO. „Gelegenheit macht Diebe und ausserdem lerne ich gern dazu“, sagt Alexandre grinsend. „Also bin ich für dieses Projekt erneut in meine Heimat zurückgekehrt. Dieses Jahr haben wir zwei neue XO gebaut und beschlossen, ein weiteres Boot von Paolo zu produzieren.“ Gemeint ist natürlich der XO-Racer.

Schnell und einfach

XO RacerSzenenwechsel. Wir treffen das Tandem in La Rochelle auf dem knallroten Karbon-Boliden an. Obwohl befürchtet wurde, dass das Wetter am späten Termin des Grand Pavois nicht mitspielen würde, scheint die Sonne und über dem Revier zwischen der Ile de Ré und Oléron, dem sogenannten Pertuis, geht ein leichter Wind. Perfekte Bedingungen also, um den Menschenmengen auf den Besucherstegen zu entkommen und genussvoll zu segeln. Ein paar Ruderstösse, um sich vom Deich zu entfernen, dann werden das Fathead-Grosssegel und das Solent gesetzt und los geht’s. Alexandre und Paolo sind schon ganz zappelig. Im Kanal überholen wir mühelos die Boote, die unter Motor (!) aus dem Hafen fahren. Wo ist die Bremse? Allein schon das Kielwasser eines Motorboots bringt den XO schier unendlich lang zum Surfen. An Bord ist alles möglichst einfach gehalten. Die Zahlen, die der GPS anzeigt, sind nur schwer zu glauben. Bei gesetzten Spi oder Gennaker liegen sie fast immer über 10. Und das ganz ohne Ausreiten und Anstrengungen. „Das Interessante an diesem Racer ist seine unglaubliche Performance und das einfache Handling“, schwärmt Alexandre. „Im Unterschied zu anderen Modellen wie den Open- oder Melges-Booten, die bei etwas mehr Wind ziemlich viele und erfahrene Besatzungsmitglieder erfordern, kann der XO-Racer dank seiner Steifheit, der grossen Segelfläche und der 180-Kilo-Bleibombe zwei Meter unter dem Bug auch von wenigen und unerfahrenen Seglern problemlos gesegelt werden. Er gleitet schnell und ist sogar bei über 15 Knoten einfach zu handhaben. Dank des sehr feinen, präzisen Ruders und der schnellen Reaktion macht das Steuern des XO-Racers auf allen Kursen grossen Spass. Ein grosses Plus ist zudem das Code 0 am Bugspriet, dank dem das Boot im Gegensatz zu vielen Gleitrümpfen auch bei wenig Wind spritzig bleibt. Der langen Rede kurzer Sinn: Ich habe mit dem XO-Racer die Freude am reinen Segeln wiedergefunden, ohne, dass ich Angst haben musste, bei Starkwind zu kentern. Ich habe mich direkt jünger gefühlt!”

Der XO-Racer wird vermutlich an der nächsten Bol d’Or anzutreffen sein und, wer weiss, vielleicht auch dort der Konkurrenz um die Nase fahren.

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