
Flavio Marazzi und Enrico De Maria segeln seit über 10 Jahren miteinander. Nach einem 4. Platz in Athen und einem 5. in Qingdao will das Schweizer Duo in Weymouth 2012 eine Medaille holen. © Juerg Kaufmann
Sie verbringen mehr Zeit zusammen als die meisten Ehepaare. Es ist aber nicht die Liebe oder die Familie, die sie verbindet, sondern der Sport. Mit dem Ziel, beim grössten Sportfest der Welt eine Medaille zu holen, teilen die olympischen Paarungen monate- wenn nicht sogar jahrelang das gleiche Leben. Dabei das richtige Gleichgewicht zu finden gleicht einer Gratwanderung. Die Teamkollegen müssen ein freundschaftliches Verhältnis haben und trotzdem die nötige Distanz wahren, damit das Emotionale nicht zum Handicap wird. Ein schwieriges Unterfangen, das nur selten gelingt und oft von kurzer Dauer ist. Viele Hoffnungsträger haben ihre Träume nach einem, zwei, manchmal drei Jahren intensiver Zusammenarbeit begraben, ohne dass man so genau wusste, warum. Der Fall der Olympiateilnehmerinnen in Peking Emanuelle Rol und Anne-Sophie Thilo ist bezeichnend. Sie schienen sich bestens zu verstehen, doch als der Erfolg ausblieb, kam es zum Bruch. Dabei hatten so ziemlich alle damit gerechnet, dass die beiden eine weitere Olympiakampagne für London anhängen würden. Die Trennung war umso bedauerlicher, als es für eine Medaille in der Regel zwei bis drei Olympiateilnahmen braucht. Partnerwechsel können da nur hinderlich sein.

Die 470er-Seglerinnen Fahrni/Siegenthaler (hier bei der Vergabe der SUI Sailing Awards 2010 für ihren Sieg an den ISAF Youth Worlds im Sommer 2010) funktionieren noch immer gut miteinander. Sie haben an der EM in Tavira Bronze geholt. © Beat Scheider
Freund oder Teamgefährte
Die kürzlich bekannt gegebene Trennung von Simon Brügger und Matias Bühler ist ebenfalls ein typisches Beispiel für die Schwierigkeit eines Teams, langfristig zu bestehen. Die beiden strebten eine Qualifikation für London an und haben wahrscheinlich individuell gesehen auch das nötige Potenzial. Simon kann bereits zwei Olympiateilnahmen (Sydney und Athen) vorweisen und Matias war an internationalen Regatten stets ganz vorne anzutreffen. Und trotzdem fanden die beiden Athleten keinen gemeinsamen Nenner. Sie zogen die Konsequenzen und verkündeten im Frühling schliesslich das Ende ihrer Zusammenarbeit. Simon Brüggers Erklärung: „Wir sind rund hundert Tage zusammen gesegelt, das sind etwa 500 Stunden. Unser Fall ist vielleicht speziell, weil wir eine Medaille angestrebt haben. Ich war bereits zwei Mal an olympischen Spielen und wollte kein drittes Mal teilnehmen, nur um dabei zu sein. Wir mussten deshalb unbedingt eine Dynamik finden, damit sich auch die Resultate einstellten.“ Bei den beiden Seglern, die sich unter guten finanziellen Voraussetzungen auf Olympia vorbereiten konnten, traten schon bald Probleme wegen ihrer unterschiedlichen Mentalitäten auf. Simon Brügger meint dazu: „Ich habe zwei Mal mit Lukas Erni an den Spielen teilgenommen. Er ist ein Jugendfreund und es lief ganz von selbst. Auch mit Eric Monnin bin ich viel gesegelt, vor allem im Match Race, und es klappte von ganz allein. Matias und ich mussten richtig daran arbeiten, um einigermassen zu funktionieren. Wir hatten nie die gleichen Prioritäten und mir ist es nicht gelungen, mich seinem nebenbei gesagt hervorragenden Stil anzupassen. Wenn ein Projekt Erfolg haben soll, darf man nicht zu viel Energie in die Suche nach einer guten Zusammenarbeit stecken. Segeln ist ein sehr schwieriger und kompletter Sport. Man muss die Technik, die Logistik, die mentale Einstellung, die Gesundheit, die Kondition und vieles mehr in den Griff bekommen. Dabei sollte jeder seine Stärken ausspielen können. Ich glaube nicht, dass man unbedingt dick befreundet sein muss, aber wenn man mit jemandem von 7 bis 23 Uhr zusammen ist, sollte man sich schon gut verstehen. Jeder Tag muss Spass machen. Wenn man in den Tag startet, als müsste man zur Arbeit gehen, ist die Luft raus.“
Die ideale Paarung
Enrico De Maria, der sich zusammen mit Flavio Marazzi gerade auf seine dritte Olympiateilnahme vorbereitet, hat ein natürlich gutes Verhältnis zu seinem Steuermann. „Flavio und ich kennen uns bestens und wir funktionieren gut miteinander. Wir haben auch gute Trainer und die Technik stimmt ebenfalls“, sagt der Vorschoter, glaubt aber nicht, dass es dafür ein Rezept gibt: „Es kommt von ganz allein; vielleicht ist es gerade das, was uns weiterbringt.“ Im Gegensatz zu Brügger glaubt das frühere Teammitglied von Ernesto Bertarelli jedoch, dass eine freundschaftliche Beziehung eine wichtige Rolle spielt. Genauso wichtig sei es aber, dass man am Abend auf andere Gedanken komme. „Ich bin froh, wenn ich nach Hause gehen kann. Wir verstehen uns gut, aber wir haben beide unsere Familien und unser Privatleben. Wir üben unseren Sport mit viel Leidenschaft aus, trotzdem ist und bleibt es ein Job. Es gibt Tage, die sind schwieriger als andere. Man darf seine Energie deshalb nicht verpulvern und muss sich Zeit für sich selbst nehmen.“

„Wir kennen uns gut, haben gute Trainer und auch die Technik stimmt. Ich glaube nicht, dass es ein Erfolgsrezept gibt. Es klappt von ganz alleine, mehr steckt nicht dahinter.“ © Juerg Kaufmann
Unterstützung durch einen Vermittler
Ein Vermittler kann helfen, unnötige Unstimmigkeiten zu vermeiden. Enrico De Maria gesteht jedoch, dass er diese Art von Debriefing nicht systematisch in Anspruch nimmt. „Wir machen das von Zeit zu Zeit. Es ist eine Form von Coaching, aber wir nutzen unsere Zeit vor allem fürs Training.“ Simon Brügger sieht in einem Teamcoach hingegen eine mögliche Lösung, um innerhalb des Duos für ein besseres Verständnis zu sorgen. Zwar verfügt das Swiss Sailing Team nicht über die nötigen Mittel für einen solchen Coach, aber Laser-Trainer Didier Charvet interveniert punktuell mit der Methode „Gegenseitige Erwartungen“, mit der das gegenseitige Verständnis gefördert wird. Doch wie bei Ehepaaren gilt auch beim Segeln: Wenn es eine Patentlösung gäbe, wüsste man das schon längst. Jedes Team muss seine eigene Funktionsweise finden. Und wie so oft ist langfristiger Durchhaltewillen der Schlüssel zum Erfolg.