Lionel Fontannaz, Meteorologe bei Meteo Schweiz, erklärt der Leserschaft von Skippers die Wettererscheinungen und Windsysteme, die das Segeln auf den Schweizer Seen beeinflussen. Nach der Thermik erläutert er im zweiten Teil den Nord- und den Südföhn in den Alpentälern.
Text: Lionel Fontannaz
Föhn tritt beidseits der Alpen auf und bläst als warmer, trockener und meist starker Fallwind im Lee der Gebirgskette. Föhnstürme, die nicht selten Orkanstärke erreichen (140 km/h am 21.12.2009 in Altdorf) schlagen in die Alpentäler durch und können wie aus dem Nichts über unsere Seen fegen. Solche Alpenföhnlagen – Südföhn nördlich der Alpen und Nordföhn im Tessin – entstehen, wenn zwischen Lugano und Kloten eine Druckdifferenz von mindestens 4 hPa herrscht. Dieser Unterschied kann extreme Werte von bis zu 16 hPa, bei Nordföhn sogar noch mehr erreichen. Dazu muss der Wind in der Troposphäre, d. h. den untersten 10 Kilometern der Atmosphäre, senkrecht zum Gebirge blasen, wobei letzteres auch noch hoch genug sein muss. Für den Föhn gibt es einige gut erkennbare Anzeichen: Im Föhnfenster, wo warme, trockene Luft liegt und sich beim Überströmen des Alpenkamms Leewellen bilden, entstehen linsenförmige Wolken, im Volksmund «Föhnfische» genannt. Auf der windabgewandten Alpenseite sind diese charakteristischen Wolken auf bis zu 200 Kilometer sichtbar. Am Alpenkamm ist zudem die Föhnmauer zu erkennen. Sie zeigt sich in Form einer Wolkenwand auf der windzugewandten Seite der Alpen und kann starken Niederschlag verursachen. Während der Nordföhn im Tessin nicht wirklich saisonabhängig auftritt, zeigt sich der Südföhn vor allem im Frühling und im Herbst. Alpenföhn kann mehrere Tage anhalten. Im Durchschnitt werden auf der Alpennordund auf der Alpensüdseite 400 bis 600 Föhnstunden pro Jahr, stellenweise sogar über 1000 Stunden gemessen.
Südföhn
Bei Südföhn liegt zwischen der Biskaya und Grossbritannien ein Tiefdruckgebiet mit dazu- gehöriger Kaltfront, das sich dann langsam ost- wärts verlagert. Dadurch kippt der Druckgradient zwischen Lugano und Kloten in den negativen Bereich (Druck Kloten – Druck Lugano). Der Isobarenverlauf über den Alpen zeigt auf der Wetterkarte eine Ausbuchtung, das sogenannte Föhnknie. Je mehr dieser Gradient ansteigt, desto stärker wird der Föhn (wie am 14. bis 21. Dezember 2019). Im Mittelland weht der Südföhn nur selten, meist in Kombination mit einer Nordostströmung. In der Meteorologie wird dann von Föhnbise gespro- chen, die bis zu 2–3 Beaufort auffrischen kann.
Nordföhn
Im Gegensatz zum Südföhn, bei dem sich das Wetter durch den Südwind aus Frankreich lang- sam verschlechtert, wird Nordföhn ausgelöst, wenn hinter einer Kaltfront in der Schweiz Nordwind aufkommt und bis zu den Tessiner und norditalienischen Seen vorstösst. Hinter der Kaltfront erhöht sich der Druck am Alpennord- hang, während er am Südhang sinkt. Im Tessin bringt der Nordföhn oder «Favonio» klares, schönes Wetter. Für Google Translate ist der Begriff «Föhn» typisch schweizerisch, denn er schlägt als Ergebnis nur «Haartrockner» vor. So daneben liegt der automatische Übersetzer aber gar nicht, denn die warme, trockene Luft, die leeseitig absinkt und sich dabei um 1°C pro 100 Meter erwärmt, reisst die Wolkendecke ähnlich auf wie ein Haartrockner, mit dem man gegen einen beschlagenen Spiegel im Badezimmer bläst.
Föhnprognosen
Alpenföhn lässt sich mithilfe digitaler Modelle, die gute Prognosen der Druckgebiete über Europa und den Alpen liefern, mehrere Tage voraussagen. Die Modelle bilden die Topografie zunehmend präziser ab, sodass auch die durch den Kanaleffekt in den Alpentälern verursachte Beschleunigung des Winds berechnet werden kann.
Auf kurze Sicht aber müssen Seglerinnen und Segler und der Seewetterdienst vor solchen Föhnlagen auf der Hut sein. Man kann zwar voraussagen, dass im Lauf des Tages heftiger Föhn aufkommen wird, Böen sind aber schwieriger zu erahnen. Für Sturmwarnungen und das Einschalten der Leuchtfeuer stützen sich die Fachleute auf eine Echtzeitüberwachung der Drucklagen und Winde in den Alpentälern, die bis zu unseren Seen vorstossen. Im oberen Genfersee zum Beispiel kann der Föhnwind «Vaudaire» auftreten, wenn der Druck in Sitten 3 hPa höher ist als in Lausanne. In Le Bouveret werden die starken Böen des Vaudaire (aus SW) vor der heranziehenden Kaltfront (aus SO) nicht selten von einem heftigen Joran (NW) abgelöst. Der Druckanstieg nördlich der Alpen beschert dem Tessin zur gleichen Zeit den «Favonio». Wer weiss, vielleicht übersetzt Google Translate «Favonio» ja sogar mit «Joran». Probieren Sie’s aus!