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Die Übersäuerung der Meere bedroht die Unterwasserwelt

von David

„Wir haben die fast hundertprozentige Gewissheit, dass sich der durchschnittliche Säuregehalt der Meere bis 2100 verdreifacht. Dadurch könnte der PH-Wert des Wassers von 8,1 auf 7,8 oder sogar 7,7 sinken, was für Meerespflanzen und -tiere mit Skelett, Schale oder Kalkstruktur katastrophale Folgen hat, da sie sich in Säure auflösen.“ Jean-Pierre Gattuso, international angesehener Fachmann für die Übersäuerung der Meere und Forschungsleiter im ozeanografischen Labor in Villefranche-sur-Mer, sieht nur eine Lösung, mit der das in der Mitte der 1990er-Jahre festgestellte Problem gelöst werden könnte: „Es gibt nur eins: Die in die Atmosphäre ausgestossene CO2-Menge muss reduziert werden. Die globale Erwärmung und die Übersäuerung haben die gleiche Ursache, denn die Meere nehmen rund ein Viertel der CO2-Menge auf.“

Die Forscher gingen lange davon aus, dass die Auflösung von CO2 im Wasser keine wesentlichen Auswirkungen hat, bis sie merkten, dass sie mit ihrer Annahme falsch lagen. Ein sinkender PH-Wert führt unter anderem zu einem Rückgang der Carbonationen, die für die Bildung von Kalkstrukturen notwendig ist. Und diese sind Lebensgrundlage zahlreicher Meereslebewesen wie Korallen, Austern, Muscheln usw.

Die Übersäuerung beschleunigt sich

Der aus dem Gleichgewicht gebrachte Säure-Basen-Haushalt des Meerwassers ist nicht das einzige Problem. Problematisch ist auch die Geschwindigkeit, mit der die Übersäuerung voranschreitet. Es konnte nachgewiesen werden, dass die Meere 30 Prozent säurehaltiger sind als vor 250 Jahren (PH-Rückgang von 8,2 auf 8,1), als die Industrialisierung ihren Anfang nahm. Gemäss Simulationen soll sich das Phänomen aber auf das Dreifache beschleunigen. „Das ist 100 Mal schneller als die natürliche Entwicklung in den letzten 300 Millionen Jahren“, verdeutlicht Jean-Pierre Gattuso die Zahlen.

Um die Auswirkungen der Übersäuerung genauer zu untersuchen, hat sich der französische Forscher mit der Entwicklung der zwischen 100 und 700 Meter tief lebenden Korallen befasst. „Solche Korallen sind vor den norwegischen und schottischen Küsten sehr häufig anzutreffen. Sie sind hügelförmig aufgebaut und können mehrere Meter gross werden. Typisch sind auch die vielen Vertiefungen. Sie bieten unzähligen Tieren und Pflanzen Lebensraum und sind Brutstätten für Fische und Wirbellose wie Seeigel. Diese Strukturen bestehen aus Kalk-Skeletten abgestorbener Korallen, auf denen neue Korallen wachsen. Die Säure aber greift die Skelette an. Sie werden geschwächt, bis sie schliesslich zusammenstürzen und sich auflösen. Als Folge davon geht die Artenvielfalt dramatisch zurück. Wir wissen, dass dieser Prozess nicht aufzuhalten ist, darüber gibt es keine Zweifel, wir wissen aber nicht, wann es soweit sein wird. Vermutlich zwischen 2080 und 2100.“

Seit rund fünfzehn Jahren schlagen die Wissenschaftler regelmässig Alarm, doch bisher zeigte sich die internationale Gemeinschaft von „diesem anderen CO2-Problem“ nicht sonderlich beeindruckt. Die Wissenschaftler hingegen forschen weiter und verfeinern ihre Analysewerkzeuge. In Genf fand im Januar eine Ministerkonferenz mit 90 teilnehmenden Staaten statt, die es sich zum Ziel gesetzt hat, die Tätigkeiten der Beobachtungsstationen besser zu koordinieren und sie mit neuen Instrumenten auszustatten, damit die von der Übersäuerung verursachten biologischen Veränderungen besser untersucht werden können.

Schutz der Küstenregionen vorrangig

Das Bewusstsein über die Gefahr der Übersäuerung nimmt langsam zu. Doch wie kann der steigende CO2-Gehalt im Wasser aufgehalten werden? Jean-Pierre Gattuso ist kategorisch: „Es gibt nur eine Lösung: Die Treibhausgasemissionen müssen reduziert werden. Ausserdem können lokale Bemühungen, vor allem in den Küstenregionen, von denen die Menschen am meisten profitieren (Anm.d.Red.: wegen der Fischerei und dem Fremdenverkehr) helfen, den Stress zu senken und die Widerstandskraft der betroffenen Organismen zu stärken.“ Der Wissenschaftler befürwortet deshalb auch die Einrichtung von Meereschutzgebieten, da geschützte Ökosysteme besser gegen äussere Einflüsse wie Temperaturanstieg und Übersäuerung des Wassers gewappnet sind. Ein anderer wunder Punkt ist Schmutzwasser, das unaufbereitet ins Meer gelangt. „Es enthält organischen Kohlenstoff, der von den Bakterien verwendet und in Form von CO2 wieder ausgestossen wird. Dadurch erhöht sich lokal der Säuregehalt des Wassers. Kläranlagen können dies verhindern. An der Nordküste des Mittelmeers sind sie zwar ausreichend vorhanden, nicht aber an der Südküste!“

Ein Wundermittel gegen die Übersäuerung sucht man also vergeblich. Nur eine drastische Reduktion des CO2–Ausstosses, den der Mensch selbst zu verantworten hat, kann Abhilfe schaffen. Im Ozean ist alles vernetzt, vom kleinsten Lebewesen ganz am Anfang der Nahrungskette bis ganz an ihr Ende. Langfristig sind also nicht nur die Meeresressourcen bedroht, sondern auch alle damit verbundenen menschlichen Aktivitäten.

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