Verträumte Inseln, verspielte Strömungen und reizvolle Landgänge machen ein Törnwochenende in einem der schönsten Golfe der Welt zu einem unvergesslichen Erlebnis.
Dort, wo der Atlantik ins Land vorstösst, breitet sich der Golf von Morbihan mit seinem Labyrinth aus Inseln und Strömungen aus. Wer hier segelt, lernt Meer und Felsen zu lesen, sich dem Diktat der Gezeiten zu beugen und auf die unter dem Rumpf flüsternde Welt zu horchen. Mit Peilkompass und Fernglas wird jede Seemeile zu einer maritimen Herausforderung, mit ausgeschaltetem Kartenplotter sogar zu einem Abenteuer. Neugierige und Mutige kommen im Golf von Morbihan voll auf ihre Kosten. Die Entstehung dieses fantastischen Reviers verlangte der südlichen Bretagne grosse Opfer ab. Sie musste vor über 10 000 Jahren hinnehmen, dass einige ihrer Landstriche unter Wasser verschwanden. Dabei bildete sich ein Insellabyrinth, das heute Seefahrer und Träumer gleichermassen in Staunen versetzt. Das rund fünfzehn Kilometer lange und fünf bis neun Kilometer breite Binnenmeer hat nur eine einzige Öffnung zum offenen Meer. Sie ist Knapp einen Kilometer breit und reicht vom belebten Port-Navalo bis zum ruhigen Locmariaquer. Bei jedem Gezeitenwechsel werden die beiden Dörfer Zeugen eines eindrücklichen Naturschauspiels, bei dem gewaltige Wassermassen in den Golf hinein- oder hinausströmen. Hier zwängt sich der Atlantische Ozean jeden Tag mit beeindruckender Kraft in das «kleine Meer» – mor bihan auf Bretonisch. Ebbe und Flut erzeugen einige der schnellsten Strömungen Europas. Bei den grössten Gezeitenkoeffizienten können sie bis zu neun Knoten erreichen.
MANÖVER WIE ANNO DAZUMAL ZU LERNEN.©MorbihanOffice du Tourisme
Die anspruchsvollste und schönste aller Segelschulen
Wer im Golf von Morbihan segelt, lernt das seemännische Handwerkszeug. Seekarten lesen, Richtungslinien nutzen, mit zwei oder drei markanten Punkten peilen, Betonnungssysteme richtig interpretieren und Kurse unter Berücksichtigung der tatsächlichen Strömung berechnen – all das gehört hier zum seglerischen Alltag. Um auf Kurs zu bleiben, sollte man wissen, wie man in Küstennähe mit Strömungen und Gegenströmungen umgeht und wie man in Inselnähe bei drehendem Wind, Flaute und Böen am besten reagiert. Aber keine Sorge: Der Golf ist weit mehr als ein Experimentierfeld für sadistische Segellehrer! Er ist bemerkenswert gut betonnt, und selbst Anfänger können hier mit etwas Vorbereitung ohne Bedenken navigieren. Das Revier umfasst viele geschützte Buchten und ist um ein Vielfaches gutmütiger als der Ozean. Ausserdem bietet er mit seinen unzähligen Ankerplätzen, den teils bewohnten, teils unberührten Inseln sowie den kleinen Häfen, Fischer- und Austerndörfern, den alten Burgen und geheimnisvollen Felsen eine Menge fürs Auge. Jeder Ausflug an Land verspricht bleibende Eindrücke. Typische Häuser aus Granit, Stockrosen und Schmucklilien, romanische Kapellen, moosbewachsene Mauern, alte Schlösser und Reetdachhäuser und natürlich die berühmten blauen Fensterläden der Bretagne sorgen für viel Romantik. Nicht zuletzt trägt die tief in Land und Meer verwurzelte Küche zum Reiz der Region bei. Wer im Golf von Morbihan die Segel hisst, den erwartet eine Reise, die weit über einen klassischen Törn hinausgeht. Mit wachen Augen, geschärften Sinnen, klarem Kopf und gespannter Schot gleitet man durch geschichtsträchtige Gewässer, umgeben von märchenhafter Natur. Man würde am liebsten überall gleichzeitig sein.
Miesepetern sollte man im Übrigen kein Gehör schenken, denn irgendjemand wird mit Sicherheit Witze über das Wetter reissen. Am besten ignoriert man sie und ruft sich das bretonische Sprichwort in Erinnerung: «A trop écouter la météo, on reste au bistrot» (sinngemäss: Wer zu lange auf besseres Wetter wartet, bleibt am Tresen hängen). Hören Sie Auch nicht auf die leichtsinnigen Zeitgenossen, die unvorbereitet aufgebrochen sind und jammern, dass sie im Schlamm steckengeblieben sind. Vertrauen Sie darauf: Ihr Ölzeug und Ihr Boot sind bereit für das Abenteuer! Stechen Sie mit uns in See und lassen Sie sich bei der Lektüre dieses Berichts für Ihren eigenen Wochenendtrip im Golf von Morbihan inspirieren. Er erhält viele praktische Tipps und die Beschreibung einer genau recherchierten Route. Los geht’s am Samstag, den 5. Juli 2025, bei zunehmendem Mond und Springflut (Koeffizient 38).
Sagenumwobenes Revier: von La Trinité in den Golf
So wie Aschenputtel eine Kutsche für den Ball, brauchen Sie ein passendes Boot für Ihren Kurztörn in den Gewässern des Morbihan. Am besten chartern Sie im Hafen von Crouësty oder La Trinité-sur-Mer eine Jacht. Wir bevorzugen La Trinité-sur-Mer, da der Ort unverfälschten maritimen Flair versprüht und Ausgangspunkt mehrerer Hochseeregatten ist. Zudem können Sie vor der Einfahrt in den Golf einen Blick in die wunderbare Bucht von Quiberon erhaschen.
Der Handpeilkompass wurde überprüft, die Abweichungskurve ermittelt, der Strömungsatlas liegt griffbereit auf dem Tisch in der Kombüse, die Tidenstände an verschiedenen Punkten des Golfs für das Wochenende sind berechnet. Fehlen nur noch die Wetterdaten. Falls Ihnen eine solche Vorbereitung übertrieben erscheint, machen Sie sich zumindest mithilfe der Karte mit der Topografie des Golfs vertraut. So sind Sie garantiert sicherer und ruhiger unterwegs. Behalten Sie Ihre Route stets im Blick und richten Sie die Jacht im Zweifelsfall gegen die Strömung aus, um durchzuatmen. An diesem Samstagmorgen ist in La Trinité um 7.39 Uhr Ebbe. Es bleibt eine gute Stunde Zeit, um unter Motor Land zu gewinnen. Auf diesen rund zehn Seemeilen können Sie sich im sanften Morgenlicht vor der bretonischen Küste in Stimmung bringen. Gegen 10 Uhr erreichen Sie die Fahrrinne. Sie wird vom roten Turm von Kerpenhir und der Heiligen Jungfrau an Backbord gekennzeichnet. Mit grosser Wahrscheinlichkeit werden Sie dort von einer Armada kleiner und grosser Segelboote begleitet. Oft fahren Auch heimische Fischer mit dem ablaufenden Wasser in der Strömung. Sie kennen die Bedingungen wie ihre Westentasche und können sich wohl ein Grinsen nicht verkneifen, wenn sie sehen, wie sich allzu optimistische Langschläfer hoffnungslos abmühen, aufs offene Meer zu gelangen.
Werfen Sie einen Blick auf die Instrumente und freuen Sie sich über die Geschwindigkeit auf dem Grund, aber bleiben Sie wachsam! Bald schon taucht der Grand Mouton am Horizont auf, gut erkennbar an der Gischt, den die Strömungen an seinem Sockel aufwirbeln. Jetzt liegt er vor Ihnen, der vielbesungene Golf. Berge, Pinien, zerklüftete Küsten und Wasser, soweit das Auge reicht. Die märchenhafte Landschaft in ihrer ganzen Pracht.
Mittagessen mit Hummer
Hinter dem Grand Mouton ändern Sie den Kurs auf 060° und segeln der langen Insel Gavrinis entlang. Nach etwas mehr als einer Seemeile erreichen Sie die Meerenge zwischen der Île Berder und der Île de la Jument. Um südlich der Île aux Moines vorbeizukommen, müssen Sie auf die Sandbank von Kerbouzec achten und im tiefen Wasser bleiben. Während ein Crewmitglied das Echolot im Auge behält, sollte Sie ein anderes mit Fernglas und Peilkompass dabei unterstüt-
zen, den Turm von Berder konstant auf Peilung 325° hinter dem Boot zu halten. Das kann schon mal hektisch werden. Aber keine Schimpfwörter an Bord! In Morbihan wird höflich und elegant gesegelt, Fluchen ist verpönt.
Segeln macht hungrig, ab in die Küche! Seien Sie unbesorgt, die Strömungen werden Sie noch einige Stunden bis zum hinteren Ende des Golfs tragen. Dort sind die Gezeiten gegenüber Port-Navalo heute um eine Stunde und 30 Minuten versetzt. Machen Sie an der Südspitze der Bucht von Kerners an einer Bugboje fest, um in Ruhe zu Mittag zu essen. Holen Sie den Hummer aus dem Kühlfach, nehmen Sie die Erdbeertorte aus Plougastel heraus und geniessen Sie den Moment mit Blick auf die traumhafte Landschaft.
IM 18. JAHRHUNDERT MACHTE BENJAMIN FRANKLIN HIER HALT.©AnneFabre
Inselhüpfen mit idyllischen Landgängen
Damit Sie nach dem Essen nicht lethargisch werden, springen Sie ins Wasser. Das frische Bad wirkt garantiert belebend. Nutzen Sie die letzten Momente der Flut, um die fünf bis sechs Seemeilen bis zum hinteren Ende der Bucht zurückzulegen, am besten mit einer ETA um16 Uhr. Dabei können Sie in Ruhe verdauen und die Ost- und Westküste der Île aux Moines und der Île d’Arz bewundern. Passieren Sie die rote Tonne L’Œuf und steuern Sie dann die Pointe de Liouse südlich der Île d’Arz an, um die seichten Gewässer in der Mitte des Gebiets zu umschiffen. Wenn Sie die grüne Boje Brouel auf Halbwind haben, können Sie Kurs auf die enge Passage zwischen den beiden grössten Inseln des Golfs nehmen. Nördlich der Îles Logoden befindet sich ein kleiner, reizender Ankerplatz für die Nacht mit einer Tiefe von 2,4 bis 3,2 Metern zuzüglich des Gezeitenhubs, der mit dem aktuellen Ti – denkoeffizienten multipliziert wird. Ansonsten fahren Sie etwas weiter den Fluss Vannes hinauf zu einer Boje im ruhigen Port-Anna, das zwischen zwei bewaldeten Ufern liegt. Hier dümpeln einige hübsche Boote, darunter drei Zweimast-Ruderboote der Fischer von Séné aus früheren Zeiten, die sogenannten Sinago, die mit ihren roten Segeln und ihrem schwarzen Rumpf nicht zu übersehen sind. Und wie sieht das morgige Programm aus? Um 9 Uhr geht es für eineinhalb Stunden bei auslaufender Strömung nach Port-Blanc, dem Haupthafen der Île aux Moines, der nur durch eine 150 Meter schmale Passage von Baden getrennt ist. Dort verbringen Sie einen Tag an Land, spazieren über gepflasterte Strassen oder Feldwege. Wer etwas mehr Ausdauer mitbringt, umrundet die ganze schmetterlingsförmige Insel. Andere flanieren gemütlich
durch die malerischen Dorfgassen. Mit grosser Wahrscheinlichkeit treffen sich irgendwann alle an dem kleinen Strand mit den bunten Hütten ganz in der Nähe des Hafens. Um 17 Uhr, etwa zwei Stunden nach Hochwasser in Port-Blanc, werden Sie vermutlich etwas Vortrieb geben müssen, damit die Crew die von der Strömung gespannte Festmacherleine lösen kann. Segeln Sie gemütlich an der Westküste entlang und nehmen Sie nacheinander Kurs auf die Kardinalzeichen Kreizig Nord und Süd, die Sie jeweils an Backbord lassen. So halten Sie sich von den Untiefen bei Kergonan und Kreizig fern. Wenn der Südwestwind Sie zum Kreuzen zwingt, denken Sie an das alte bretonische Sprichwort: «Wenn die Möwen stehen können, ist es Zeit zu wenden.» Bald schon tauchen in der Ferne wieder die Inseln Berder und La Jument auf. Sie werden sich in diesem Labyrinth aus Land und Meer schwindlig segeln, sich dabei aber im siebten Himmel fühlen.
Manchmal steht der Rumpf garantiert schief, wie ein Einkaufswagen mit blockiertem Rad. Heute Abend schlafen Sie an der Boje in Loc-mariaquer. Unternehmen Sie einen Landgang in der Abenddämmerung. Besuchen Sie das Dorf und die Landspitze Pointe de Kerpenhir, die Sie erst gestern passiert haben, spazieren Sie über die grossen Atlantikstrände und essen Sie am Wasser, um diesen magischen Ort auf sich wirken zu lassen. Am Montag, den 7. Juli um 8 Uhr, ist es Zeit für den Versuch, den Atlantischen Ozean zu erreichen (Ebbe in Port Navalo um 9.33 Uhr). Stellen Sie den Wecker und vertrauen Sie nicht auf die anderen. Gut möglich, dass Ihre Crewmitglieder Sie überlisten wollen, um eine sechsstündige Extrarunde herauszuschinden. Natürlich werden Sie wiederkommen, seien Sie nicht allzu traurig! Wer hier einmal die Segel gesetzt hat, lässt immer ein Stück von sich selbst zurück. Versuchen Sie Ihren Kummer auf den lieblichen Inseln Houat und Hoëdic zu lindern, denn auch andere Orte haben ihren Reiz, grosses Seglerehrenwort!
Praktische Infos
Anreise
Mit einem Direktflug von Genf nach Nantes und einem Mietauto erreichen Sie La Trinité-sur-Mer relativ schnell. Die kleine Ortschaft mit dem grossen Hafen, in dem Ultims neben alten Jachten liegen, versetzt Sie genau in die richtige Stimmung für einen Törn. Alternative Sailing ist eine gute Adresse, wenn Sie ein schwimmendes Zuhause für das Wochenende suchen. Nach der Über-nahme des Charterboots decken Sie sich im Supermarkt Carrefour und im kleinen Lebensmittelgeschäft im Hafen mit dem nötigen Proviant ein. Abends laden mehrere Restaurants am Pier zu genussvollen Stunden ein : Le Quai überzeugt mit traditioneller Küche und gemütlicher Atmosphäre. Das trendigere Le Carré 56 zaubert aus marktfrischen Fischen und Meeresfrüchten kreative Gerichte. Und im schicken L’Arrosoir mit Blick auf den Hafen isst man gediegen in einem maritim eingerichteten, typischen bretonischen Steinhaus. Reservieren nicht vergessen! Falls Ihnen am Vorabend die Zeit gefehlt hat, können Sie die Einkäufe am Samstagmorgen erledigen. In der Fischhalle und auf dem Markt finden Sie alles Nötige für Gourmetmahlzeiten an Bord.
Bei Ihrem ersten Landgang auf der Île aux Moines schlendern Sie durch die blumengeschmückten Gassen des Dorfes und erkunden Sie den Süden der Insel zu Fuss. Im kleinen Supermarkt bekommen Sie alles, was Sie für ein Picknick benötigen. Lassen Sie sich nach Lust und Laune treiben, Sie werden immer zu Ihrem Ausgangspunkt zurückfinden und dabei viele bauliche und natürliche Schönheiten entdecken. Auf dem Dorfplatz befinden sich einige Bars und Restaurants, in denen Sie gemütlich zu Mittag essen können. Wer es etwas unkonventioneller mag, kann im ausgemusterten Austernkahn am Pier unterhalb des Dorfes einkehren. Man kommt beim Landgang unweigerlich daran vorbei.
Zweiter Stopp ist Locmariaquer, ein kleiner, ruhiger Hafen, der zum Flanieren einlädt. Machen Sie eine Pause in der Crêperie Le Vahiné und lassen Sie sich in dem farbenfrohen Lokal eine der köstlichen Galettes oder eine herrlich buttrige Crêpe schmecken. Für den Aperitif bietet sich die Terrasse des L’Escale mit einem atemberaubenden Blick auf die Golfeinfahrt und die Mündung des Flusses Auray an.Bevor Sie wieder ablegen, sollten Sie unbedingt in der Bäckerei neben der Kirche vorbeischauen und sich mit Obstkuchen, Far Breton und Kouign-Amann eindecken.
KÖSTLICHEN ZUTATEN AUS DEM MEER. ©MorbihanOffice du Tourisme
DIE GOLFEINFAHRT. IHRE GEFIEDERTEN BEWOHNER
ZIEHEN GERNE EINE SHOW AB.! ©AnneFabre