Eine Atlantiküberquerung von West nach Ost, 2434 Seemeilen von Martinique bis zu den Azoren, sollte jede Seglerin und jeder Segler einmal im Leben gemacht haben. Um das Abenteuer ranken sich viele Räubergeschichten, doch eigentlich sind die Ängste unbegründet. Man muss nur in der richtigen Jahreszeit aufbrechen.
TROTZ ALLGEMEIN UNGÜNSTIGEREM WETTERSCHEMA KEINE HEXEREI. ©François Trégouët
Manche machen sich schon vor der Abreise in Europa Gedanken. Andere werden auf Höhe der Kanaren oder der Kapverden unruhig. Spätestens auf den Antillen kommen dann bei den meisten Zweifel auf: Sollen sie das Boot vor Ort verkaufen, mit dem Frachtschiff zurückfahren oder Kind und Kegel ins Flugzeug setzen und einen Skipper anheuern? Die Rückfahrt über den Atlantik ist für viele mit Ängsten verbunden, denn anstelle der Passat-Autobahn warten ein paar Umwege und Tücken mehr. Zyklone toben zwar im Frühling in der Regel keine mehr und die nordatlantischen Tiefdruckgebiete sind normalerweise nicht allzu furchteinflössend. Trotzdem muss man bis zu den Bermudas hoch am kräftigen Passat segeln und dann mit dem drehenden Wind in Richtung Azoren abfallen, ohne dabei in nervtötende Flautenlöcher oder, im Gegenteil, in allzu hohe Wellen zu geraten. Meine erste Atlantiküberquerung «in die falsche Richtung» kann ich mit einer grossen Garcia Exploration 60 angehen. Der robuste Integralschwerter aus Aluminium ist perfekt isoliert, das Cockpit durch eine Windschutzscheibe und ein langgezogenes Hardtop bestens geschützt und der Decksalon gibt durch die senkrechten und im vorderen Bereich umgekehrten Fenster einen 270-Grad-Blick frei. Unsichtbar, aber ebenso wichtig sind die wasserdichten Schotten im Vor- und Achterschiff, die beiden durch einen Schutzskeg geschützten Ruder und der Ankerkasten am Fuss des Mastes, der 100 Meter Kette aufnehmen kann. Die Zentrierung der Gewichte reduziert das Stampfen und optimiert das Fahrverhalten des Bootes.
MAN DEN WETTERPHÄNOMENEN NICHT HILFLOS AUSGELIEFERT. ©François Trégouët
LOHNEN DIE ATLANTIKÜBERQUERUNG VON WEST NACH OST. François Trégouët
Die ersten Tage auf dem Meer
a wir nur zu viert an Bord sind, haben wir alle unsere eigene Doppelkabine und können uns drei Nasszellen teilen. Eng wird es bestimmt nicht! Wir bunkern Proviant für zwei Wochen, erledigen die letzten Kleinarbeiten und legen keine 36 Stunden nach unserer Landung in Fort de France ab. Ein kurzer Stopp an der Bootstankstelle und schon^verlassen wir die Sackgasse von Le Marin. Auf der Höhe der Pointe des Boucaniers hissen wir das Grosssegel und rollen die Genua aus. Alle Bedienelemente laufen im Cockpit auf imposanten elektrischen Winschen zusammen. Nachdem wir die kleine Insel Cabrit an der Südspitze von Martinique passiert haben, segeln wir raumschots mit Wind von Steuerbord. Drei Tage lang weht der Wind mit 12 bis 20 Knoten. Wenn man die Segel den Verhältnissen anpasst, bewegt sich die Jacht mit erstaunlich konstanter Geschwindigkeit vorwärts. Auf einem Integralschwerter orientiert man sich dazu am besten an der Krängung. Bei
Leichtwind empfehlen sich Genua und Grosssegel, bei mittleren Bedingungen Genua und ein Reff im Grosssegel und ab 20 Knoten ein Reff im Grosssegel und die Stagfock. So besegelt fährt das Boot mit 7 bis 9 Knoten wie auf Schienen. Nach drei Tagen auf der Kante haben wir das Boot und unsere Mägen langsam im Griff. Laurent hat sich in dieser ziemlich sportlichen Phase in den Salon verkrochen, da man in der grossen Eignerkabine vor dem Mast trotz des soliden Kojenbords nicht genügend Halt hat. Ich lege mich in die Skipperkabine unter dem Salon. Da sie niedrig und mittig platziert ist, fühle ich mich dort bei den rauen Bedingungen am wohlsten. Um 4 Uhr morgens in der vierten Nacht lässt uns der Wind im Stich. Sechs Knoten reichen nicht aus, um die 34 Tonnen schwere Exploration 60 in Fahrt zu bringen, schon gar nicht bei den immer noch langen Wellen. Also wird zum ersten Mal der 230-PS-Motor angeworfen. Mit nur 2000 Umdrehungen pro Minute treibt er die Jacht mit 7,2 Knoten voran, verbraucht dabei aber stolze 12 Liter pro Stunde. Gut, dass wir vor dem Ablegen vollgetankt haben. Wer möglichst viel Strecke unter Segeln zurücklegen will, sollte sich nicht scheuen, das Boot mithilfe des Motors aus Flautenlöchern zu befreien. Wir richten uns dabei nach der Routing-Software. Die Starlink-Technologie hat auch an Bord der Exploration 60 Einzug gehalten und wir nutzen sie, um mehrmals täglich Grib-Dateien herunterzuladen. Trotz der vor uns liegenden 24 Stunden unter Motor wird der Ladezustand unserer Lithium-Batterien dank Solarzellen (1600 W) und Generator nie unter 60 Prozent sinken.
Sobald die Aussentemperatur unter 30 Grad fällt, nimmt der Verbrauch der Kühlaggregate zudem massiv ab. Die Küche hingegen wird mit Gas betrieben. Unsere 13-Kilo-Flasche reicht trotz hoher Beanspruchung für die gesamte Überfahrt. Wir backen Zitronenkuchen, braten Hähnchen und lassen sogar eine Lammkeule sieben Stunden schmoren. Gutes Essen ist schliesslich gut für die Moral!
Fünf-Sterne-Wachen
In den nördlicheren Breitengraden verlegen wir die Wachen ins Innere. Der Panoramablick erweist sich nicht nur als schön, sondern auch als sehr praktisch. Gegessen wird immer «auf der Terrasse», auch abends. Mit Einbruch der Dunkelheit sinkt das Thermometer allerdings so empfindlich, dass wir es uns am Kartentisch an Backbord oder im Sitzbereich an Steuerbord gemütlich machen. Von beiden Plätzen aus kann man das AIS oder den Radar im Auge behalten und hat unter dem Unterliek der Genua hindurch freie Sicht auf den Horizont. Mit Wachzeiten von je drei Stunden und einer Nacht ohne Wache alle vier Tage ist niemand übermüdet. Nach der Hälfte der Strecke haben wir Glück und können zwei Tage bei 15 Knoten Südwestwind unter Code 0 segeln. Das Boot gleitet unter Autopilot mit rund 7 Knoten und einem Kurs von 60 Grad direkt auf die Azoren zu. Kurz vor dem Sonnenuntergang starte ich die Drohne und halte unsere Atlantikfahrt mit eindrücklichen Bildern fest. Die Strahlen der tiefstehenden Sonne lassen die Segel golden schimmern. Nach genau 14 Tagen und 20 Stunden kommen wir in Horta an. Wir haben versucht, wenn immer möglich den direktesten Weg zu wählen und gleichzeitig die weiter nördlich vorbeiziehenden Tiefdrucksysteme zu erreichen. Wirklich erwischt haben wir sie aber nie. Rund ein Drittel der Zeit sind wir unter Motor gefahren. Was die Überfahrt so entspannt gemacht hat, ist die hohe Geschwindigkeit der 18-Meter-Jacht unter Segeln und der verlässliche Motor, der auch bei langen Flauten seine Leistung bringt. Zugegeben, die Grösse und der Komfort der Exploration 60 haben die Überquerung des grossen Teichs zu einer gediegenen Angelegenheit gemacht, aber wir waren nicht allein unterwegs, uns sind auch kleinere Boote begegnet. In der richtigen Jahreszeit, wenn man das Wetter gut studiert und genug Treibstoff hat, um nicht ausgebremst zu werden, macht die Überfahrt sogar richtig Spass.