Schweizer Familie auf Atlantikfahrt
Bertrand Favre aus Morges ist am Genfersee als Serie Master der TF35 eine bekannte Persönlichkeit. Er hat sich zwischen 2022 und 2023 eine Auszeit gegönnt und ist mit seiner Familie auf einer Dufour 45 rund um den Atlantik gesegelt. Gut möglich, dass seine Erlebnisse bei den Lesern Ambitionen wecken. Für sie hat er auch gleich ein paar nützliche Tipps.
Ein Atlantiktörn bis zu den Antillen ist ideal für eine einjährige Auszeit. Man segelt überwiegend vor dem Wind, geniesst den warmen, milden Herbst in Europa, besucht die Inseln im Atlantik und verbringt den Winter vor der Hurrikansaison in der Karibik, bevor es pünktlich zum Sommer über die Azoren zurück nach Europa geht. Je nach Vorlieben und Fähigkeiten bieten sich verschiedene Routen an. Familie Favre hat sich für eine direkte Atlantiküberquerung von den Kanaren zu den Antillen entschieden und die Jacht auf dem Rückweg von einem Profiskipper überführen lassen. Diese Variante kostet zwar etwas mehr, dafür bleibt mehr Zeit auf den Antillen und die oft mühsame Rückreise über den Atlantik entfällt.
Schnelle Eingewöhnung
Die Favres haben ihre am Mittelmeer stationierte Black Pearl an Ostern 2022 gekauft und sind Mitte August zu ihrer grossen Reise aufgebrochen. Zur Eingewöhnung segelten sie ein paar Küstenetappen, erst dann nahmen sie die erste Überfahrt von Rosas in Nordspanien nach Menorca unter den Bug. «Wir haben fast zwei Monate auf den Balearen verbracht. Sie sind ideal, um sich einzugewöhnen. Die Inseln sind weniger überfüllt als im Sommer und das herbstliche Klima ist sehr angenehm. Ausserdem gibt es dort so viele sichere Ankerplätze, dass wir fast nie in einer Marina waren», erzählt Bertrand Favre. Am besten eigne sich Menorca, fügt er hinzu. «Die Insel ist so klein, dass man bei einem Wetterumschwung schnell die Küste wechseln kann.»
Dass das Leben auf einem Segelboot auch seine Tücken haben kann, erfuhren sie vor Cabrera. Dort gerieten sie in ein Wetterphänomen, das im Mittelmeer immer häufiger auftritt. Wie aus dem Nichts ging ein kurzer, aber unglaublich heftiger Sturm nieder. Der Familienvater erinnert sich noch gut: «Der Wind nahm extrem schnell und stark zu, er blies über eine Stunde mit mehr als 60 Knoten. Wir haben uns im Mitteldeck in Sicherheit gebracht und ich hatte zuvor die Leinen verdoppelt. Alles hat gehalten, das Boot hat keinen grossen Schaden genommen. Das Bimini wurde weggerissen, der Aussenbordmotor fiel ins Meer und das Boot lag einige Male mit dem Mast auf dem Wasser.»
Nach diesem Schreckensmoment, der zum Glück glimpflich ausging, segelte die Familie weiter nach Cartagena. Von dort ging es nach Gibraltar, wo sie zwei Wochen blieb, da Bertrand beruflich zu tun hatte. Ausserdem musste das Problem mit dem verunreinigten Diesel gelöst werden. «Vermutlich wurde der Tank im Sturm von Cabrera so durchgeschüttelt, dass sich darin vorhandene Pilze gelöst haben und in den Treibstoff gelangt sind. Der Tank musste komplett gereinigt und der Diesel gefiltert werden. Jetzt sind wir schlauer und werden den Tank im Winter nie halb leer lassen, denn das Kondenswasser fördert die Vermehrung von Bakterien und damit die Dieselpest. Nach den mühsamen Arbeiten habe ich einen Filter hinzugefügt und regelmässig Additiv eingefüllt.»
Adieu Mittelmeer
Kaum waren die Probleme behoben, durchquerte die Black Pearl die Strasse von Gibraltar und machte sich auf den Weg zu den Kanarischen Inseln. Eigentlich hatten die Favres vorgehabt, zum Golf von Cádiz und in die Algarve zu segeln, aber da sich die Vorfälle mit Orcas gehäuft hatten, verwarfen sie den Gedanken. «Es gibt Apps, über die Bootsführer Informationen über Angriffe von Schwertwalen austauschen, und die Situation sah gerade nicht gut aus. Ich wollte uns nicht unnötig in Gefahr bringen. Ausserdem war das Wetter gerade gut, weshalb unsere Wahl auf La Graciosa fiel.» Trotz anfänglicher Befürchtungen erwies sich die Durchquerung der Meerenge nicht als sonderlich kompliziert. «Man sollte aber ein gut funktionierendes AIS haben und die Strömungen vorher genau studieren, denn die können sehr stark sein», empfiehlt Bertrand Favre. Ansonsten war die erste sechstägige Hochseestrecke für alle eine gute Gelegenheit, sich an längere Etappen ohne Zwischenstopp zu gewöhnen. «Meine Frau Clém und die Kinder segeln auch, sie haben alle Wachen übernommen. Wichtig ist, dass man nichts überstürzt, sondern ein gutes Wetterfenster abwartet. Wir haben uns alle 2,5 Stunden abgelöst und konnten so nachts sechs bis sieben Stunden am Stück schlafen.»
Die Favres verbrachten etwas mehr als einen Monat auf dem spanischen Archipel und besuchten fast alle Inseln, mit Ausnahme von La Gomera und El Hierro. «Die Kanaren sind wirklich alle einen Besuch wert. Es gibt viel zu sehen und da sich der Massentourismus auf einige Hotspots konzentriert, kann man ihm gut aus dem Weg gehen. La Palma, wo wir uns auf die Atlantiküberquerung vorbereitet haben, ist fantastisch, wie übrigens die anderen Inseln im Westen. Es gibt Weinberge, Wasserfälle, Bananenplantagen und die Touristen sind hauptsächlich Wanderer. Hotels sind Mangelware. Ich kann die Insel nur empfehlen!», schwärmt Bertrand. Da sie die Festtage mit der Familie auf den Kanaren verbracht hatten, verzichteten die Favres aus Zeitgründen auf die Kapverden und steuerten direkt auf den offenen Atlantik zu, Richtung St. Lucia. «Die Überfahrt verlief sehr gut. Wir haben 17 Tage gebraucht, was einem Durchschnitt von etwas mehr als 150 Seemeilen pro Tag entspricht. Wir haben viermal gehalst und sind drei Stunden unter Motor gefahren. Wir hatten keinen SpiBaum, aber ich würde einen empfehlen, denn damit kann man tiefer am Wind segeln und Seemeilen sparen.»
Die Antillen geniessen
Bertrand empfiehlt eine Landung in St. Lucia, genauer in der Marina von Rodney Bay. Sie ist Zielhafen der jährlichen ARC-Rallye und die Verantwortlichen haben für die frisch angekommenen Segler eine Menge nützlicher Tipps. Familie Favre verbrachte dort mehrere Tage, um die weitere Reise vorzubereiten. Dann zog sie weiter zu den Grenadinen, wo die Kinder den Tauchschein machten. Anschliessend ging es gemütlich wieder nordwärts. «Wir waren vor allem tauchen und wandern», erzählt Bertrand. «Die grossen Inseln bieten so viel, dass man sie unbedingt zu Fuss erkunden sollte.»
Der erste Monat verging mit Inselhüpfen. Den Favres war schnell klar, dass sie dieses Leben möglichst lange geniessen wollten und für die Rückreise daher nur eine Überführung in Frage kam. «Ich musste Ende Mai bis Anfang Juni beruflich erreichbar sein, wir hätten also früher heimreisen müssen. Es war nicht einfach, die richtigen Leute zu finden, aber schliesslich hat es doch geklappt. Durch die Überführung haben wir viel Zeit gespart, sodass wir unsere Entdeckungsreise fortsetzen konnten.» Die Familie nutzte die gewonnenen Tage, um von den üblichen Pfaden abzuweichen und nach einem Abstecher nach Antigua und Barbuda die niederländischen Antillen zu besuchen. Sint Eustatius und Saba gelten als Perlen, die man unbedingt gesehen haben muss. Die Navigation und die Ankerplätze seien kompliziert, findet Bertrand Favre, «aber sie sind ganz anders als die restlichen Antillen und lohnen sich wirklich. Kaum zu glauben, wie viele verschiedene Menschen dort leben.» St. Martin, St. Barth und die Jungferninseln lagen ebenfalls auf der Route der Black Pearl. «Die Rückfahrt von den Jungferninseln nach St. Martin war die schlimmste Fahrt der ganzen Reise», erinnert sich Bertrand. «Man muss bei oft starkem Passat fast 100 Meilen am Wind segeln. Es war die einzige Überfahrt, bei der wir nicht auf ein günstiges Wetterfenster warten konnten, denn wir hatten einen Termin einzuhalten.» Zurück in St. Martin konnte die Familie die Black Pearl der Überführungscrew übergeben, bevor sie nach Europa flog.
Die Überführungscrew hatte auf der Rückfahrt nach Europa sehr gutes Wetter und konnte vor dem Wind segeln. Doch sechs Seemeilen vor dem Zielhafen trafen sie auf Orcas. «Die Schwertwale haben den unteren Teil des Ruderblatts abgerissen. Aber da die Ruderwelle aus Edelstahl bis zur Mitte des Ruderblatts reicht, blieb genug übrig, um die Überfahrt zu beenden.» Bertrand nahm sein Boot in Gibraltar in Empfang. Nach den nötigen Reparaturen brachte er es in seinen Ferien nach Südfrankreich zurück.
Tipps von Bertrand Favre
«Ich habe mich für ein segelfertiges Boot entschieden. Mein voller Terminkalender liess mir keine Zeit für lange, aufwendige Arbeiten. Wir sind dreimal von der Schweiz ans Mittelmeer gereist, um das Boot zu testen und die üblichen Wartungsarbeiten vor dem grossen Start zu erledigen.
45 Fuss sind eine gute Grösse, es hätten aber auch 40 oder 46 sein können. Ich wollte ein sicheres, gesundes und energieautarkes Boot mit drei Kabinen, damit jedes Kind seinen Rückzugsort hat. Bis 49 Fuss sind die Hafengebühren erschwinglich, danach wird es sehr teuer. Unser Tiefgang von 2 Metern war übrigens nie ein Problem.
Wir hatten eine Iridium GO!-Satellitenanlage an Bord, die uns für die Wetterprognosen nützliche Dienste erwies. Sie lässt sich mit Predict Wind Offshore koppeln, ist einfach zu konfigurieren, leicht zu bedienen und bezahlbar. Die Kinder waren zehn und zwölf Jahre alt, für mich die oberste Grenze für ein solches Vorhaben. Mit Teenagern wäre es komplizierter geworden. Wer eine solche Reise plant, sollte nicht warten, bis die Kids zu alt sind. Die schulischen Fragen sind in diesen Altersgruppen noch recht einfach zu handhaben. Wir haben nur das Nötigste getan und der Lebensschule den Vorzug gegeben. Die Kinder haben das Versäumte bei ihrer Rückkehr problemlos aufgeholt.
Die verschiedenen Atlantikrouten
Die klassische Route für einen einjährigen Törn führt von Europa zu den Kanarischen Inseln und eventuell nach Kap Verde. Der Atlantik wird in der Regel zwischen Mitte Dezember und Mitte Januar überquert. Landungen sind an verschiedenen Orten möglich, aber da man die Antillen bevorzugt von Süden nach Norden besegelt, ist der Süden praktischer. Wer den Atlantik im Dezember überquert, kann einen fünfmonatigen Aufenthalt im Antillenbogen einplanen.
Unerschrockene machen einen Abstecher zu den Grossen Antillen, nach Kuba, Jamaika, Puerto Rico. Allerdings verlängert sich die Route dadurch erheblich. Die Rückreise erfolgt meist im Mai oder Juni über die Azoren. Rechnen Sie mit 8000 Seemeilen für eine minimalistische Variante und 10 000 Seemeilen mit Umwegen.
Manche machen auf der Hinfahrt auf Madeira oder sogar in Afrika – in Marokko oder in Senegal, meist in der Casamance – Halt. Diese Routen bieten mehr Exotik, bergen aber auch mehr Schwierigkeiten. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, von Kap Verde nach Brasilien oder Guyana zu segeln. Dadurch verkürzt sich die Atlantiküberquerung, die Route wird aber insgesamt länger, weshalb sie eher für zweijährige Törns zu empfehlen ist.
An den Azoren führt auf der Rückreise kein Weg vorbei. Wer die Fahrt noch weiter unterteilen möchte, kann einen Zwischenstopp auf den Bermudas einlegen. Von den nördlichen Antillen bis zu den Bermudas sind es rund 900 Seemeilen, von den Bermudas bis zu den Azoren weitere 1800. Die direkte Route von St. Martin nach Horta beträgt 2300 Seemeilen.Eine weitere Option ist die Nordroute über die Bahamas, die Westküste der USA (Visumspflicht) und Kanada und von Neufundland zu den Azoren. Die Überfahrt von St. Pierre und Miquelon südlich von Neufundland nach Flores, der östlichsten Insel der Azoren, beträgt nur 1300 Seemeilen – gleich viel wie von Flores nach Gibraltar oder in die Bretagne. Es gibt also viele Möglichkeiten und es muss ja nicht immer der Klassiker sein.
Fotos ) Clémentine und Tanguy Favre
IM DSCHUNGEL VON ST. LUCIA.