Alte Boote geniessen weit über die Segelkreise hinaus viel Sympathie. Die Oldtimer-Szene ist ein eigener Mikrokosmos, der mit viel Herzblut gepflegt wird.
Text: JACQUES-HENRI ADDOR
In diesem Kapitel über die klassischen Boote konnten leider nicht alle Besitzer und Werften genannt werden, die solche Schmuckstücke pflegen und viel Aufwand betreiben, um die Zeugen der Vergangenheit am Leben zu erhalten. Wir danken den Übergangenen für ihr Verständnis.
Als im 19. Jahrhundert vermögende Zeitgenossen mit dem Segeln begannen, wurden vor allem Transport und Arbeitsschiffe wie Barken, Briggs, Schnaus, Schären und Raddampfer gebaut. Freizeitjachten standen nicht auf dem Programm. Dabei hatten die Werften aber genügend bootsbauerisches Fachwissen gesammelt, um sich mit dem nötigen Selbstvertrauen an private Segel-, Dampf- und später auch an Motorschiffe zu wagen.
Die neue Sparte erwies sich schon bald als Lichtblick, denn der Landverkehr drängte den Seeverkehr zusehends in den Hintergrund und zwang die Werften, sich umzuorientieren. Sie produzierten mit den damaligen Werkzeugen Segelboote für Spazierfahrten auf dem See und immer häufiger auch Regattaboote, deren Gigantismus seinerzeit den heutigen Kolossen in nichts nachstand.
Als Grundmaterial diente Holz, schliesslich war es im Überfluss vorhanden. Einheimische Arten kamen ebenso zu Anwendung wie exotische. Mahagoni zum Beispiel ergab durch seine spezielle Maserung wunderschöne Effekte. An der sorgfältigen Verarbeitung aber haperte es. Boote galten als «Spielzeuge für Erwachsene» und wurden entsprechend gebaut. Wozu viel Aufwand betreiben, wenn die Boote von ihren vermögenden Besitzern alle paar Jahre gewechselt wurden? Die Holzkonstruktionen waren daher auch nicht auf Dauer ausgelegt. Ausserdem gab es genügend billige Arbeitskräfte. Die Werften waren voll ausgelastet, arbeiteten auf Hochtouren und konnten in kürzester Zeit eine beachtliche Anzahl an Neuproduktionen vom Stapel lassen.
Dass ein Holzrumpf eine gewisse Pflege und Sorgfalt benötigt, daran dachte man nicht. Aus diesem Grund sind heute auch praktisch alle Exemplare aus jener Zeit verschwunden. Entweder sanken sie, verrotteten oder entsprachen einfach nicht mehr den Wünschen ihrer Eigner und wurden verschrottet.
Philipp Durr hat in seiner Werft «Chantier naval du Vieux-Port» in Versoix am Genfersee in 45 Jahren Tätigkeit unzählige Oldtimer restauriert: 6,50 m, 15 m SNS, 6mR, dreizehn 8mR, darunter die Glana, Gitana, Appache und die Carron II, etliche Motorjachten wie die 1950 in Corsier-Port entstandene Atma III und natürlich die von William Fife entworfene, damals noch marconigetakelte 7-Meter-Jacht Endrick, die lange im Besitz von Léon und Liliane Béchard war und als exklusives Juwel des unteren Genferseebeckens hohes Ansehen geniesst.
Mit grosser Hingabe hat Durr neben seiner 6mR Astrée das 614-Siege-Boot Fleur Bleue restauriert. Gegen den Lacustre war kein Kraut gewachsen, er fuhr seinen Gegner mit verblüffender Leichtigkeit davon. Was aber machte ihn so schnell? Die ersten sechs Lacustres seien bei Vidoli gebaut worden, erklärt Philippe Durr, der siebte 1938 bei Oester in Rolle. Dieser war eindeutig regatta interessierter als Vidoli. Als Durr die Pläne des Konstrukteurs Henri Copponex mit den fertigen Modellen verglich, fiel ihm auf, dass Oester an jeder nur möglichen Stelle gefeilt hatte. Dadurch machte er den Lacustre leichter, schnittiger und schneller.
Besonders gern erinnert sich Philippe Durr auch an die Restaurierung der 5,5mR Balle- rina IV. Sie wurde in Corsier-Port als eine von sechs Einheiten für die Olympischen Spiele 1960 in Rom gebaut und hat eine fabelhafte Geschichte: «Die Ballerina wurde am Genfer Seeufer konstruiert, von einem Genfer Konstrukteur gezeichnet und gewann in der Bucht von Neapel mit einem reinen Genfer Team aus Henri Copponex, Manfred Metzger und Pierre Girard olympische Bronze. Ein besseres Beispiel für einen historischen Zeitzeugen gibt es wohl kaum.» Auch die Werft Corsier-Port kann einige bemerkenswerte Restaurierungen vorweisen, allen voran die 8mR Taifun, Olympiasiegerin in Stockholm 1912. Mit dem Ziel, historische Genferseeboote zu erhalten, arbeitet die Werft zudem mit dem Musée du Léman in Nyon zusammen.
Jean-Philippe Mayerat, der in Rolle seit 37 Jahren eine Werft betreibt, äussert sich nicht nur begeistert über den Restaurierungstrend. Als Purist kritisiert er die zunehmende Verwen- dung moderner Materialien wie Epoxyharz oder Spachtel, die zwar manches vereinfachen, aber nicht viel mit traditioneller Bootsbaukunst gemein haben. «Mayu» kann und will sich damit nicht anfreunden. Er mag es authentisch und geht sogar so weit, dass er alte Werkzeuge auftreibt, wie die aus der Genfer Werft Bessert & Engeli, die sich mit dem Bau von Moucheron und 15 m SNS einen Namen gemacht hat.
«Mayu» hat rund 30 Motorjachten und einige grössere Schiffe wie das Rettungsboot für den Seerettungsdienstes von Saint-Prex gebaut. Seine interessanteste Arbeit ist aber zweifellos die Restauration des Zweitonners Calliope, der 1909 von den Costaguta-Brüdern in der Werft Voltri nach einem Design von Godinet gebaut wurde. Mit seiner sprichwörtlichen Gewissenhaftigkeit durchforstete Mayu stundenlang die Archive, um jedes nur verfügbare Detail des Bootes in seinem ursprünglichen Zustand zu finden und die Calliope originalgetreu zu renovieren. Seine Bemühungen wurden mit dem Prix du Patrimoine du Léman belohnt. Der Preis wird alle zwei Jahre von der Fondation Bolle für beson- ders beispielhaft restaurierte alte Boote auf dem Genfersee vergeben. Eine weitere Auszeichnung für den bestrestaurierten Oldtimer verleiht das Musée du Léman jeweils anlässlich der «Régate des Vieux Bateaux».
In dieser Sparte bedeutet Alter nicht zwingend Ansehen. Immer wieder verblüffen junge Restauratoren mit ihrem Können und ihrem Sinn für schwimmende Denkmäler. Einer davon ist Bruno Engel. Er hat 2012 Ygor Yachting in Villeneuve übernommen und seither zahlreiche alte Jachten mit viel Detailtreue wieder auf Vordermann gebracht. Die Äpfel fallen bekanntlich nie weit vom Stamm. Bruno hat seine Lehre bei Philippe Durr absolviert und bei Jean-François Burkhalter in Yverdon ein Praktikum absolviert.
Mehrere prominente 6,50-Meter-Jachten haben in Villeneuve schon einen Zwischenstopp eingelegt: Vinh-Long, die einen neuen Kiel und ein Hängeruder erhielt, Heurtebise III, Ca- pricieux und Djinn. Am meisten Spass hatte Bruno Engel an der Komplettsanierung der 1912 bei Staempfli in Genf nach Plänen von Gielow gebauten Triplepatte alias Penchette. Die extreme, tief im Wasser liegende und übertuchte 6mR lag 14 Jahre lang in der Garage des 6,50-Meter-Fans Alain Hostettler, der die Pläne nachgezeichnet hatte, bevor sie vor der drohenden Verschrottung gerettet wurde.
Bei Bruno Engel wurden noch andere Sportboote restauriert, die 6mR Beausobre, Freia, 10 août und Korrigan, eine 8mR, zwei Lacustres und ein Moucheron aus dem Jahr 1943, für den die Pläne bei der Association des Archives Henri Copponex besorgt werden mussten.
Oldtimer-Werften erfüllen zwei Funktionen. Zum einen unterhalten sie eine Flotte von Traditionsjachten, die zunehmend altert und jedes Jahr etwas mehr schrumpft, zum anderen bilden sie Lernende aus, die die klassischen Bautechniken weiter pflegen. Unter dem wachsenden Druck der Immobilienbranche ist die Zukunft dieser Werften jedoch bedroht. Früher standen die meisten direkt am Wasser, müssen sich aber immer häufiger ins Hinterland oder in Industriegebiete zurückziehen, wenn sie nicht sogar ganz verschwinden.
Oldtimer Boot Club und Stiftung HZB
Der 1983 in Rapperswil gegründete Oldtimer Boot Club Zürichsee (OBCZ) bezweckt die Erhaltung alter Dampf-, Motor-, Ruder und Segelboote. Ausserdem unterstützt er Massnahmen, die der Erhaltung und Verschönerung des Erholungsraumes Zürichsee und der Wassersportreviere dienen.
2007 errichtete der OBCZ auf Initiative des ehemaligen Swiss-Sailing-Präsidenten und Drachen-Seglers Roger Staub die Stiftung Historische Zürichsee Boote (HZB). Mit Unterstützung des Lotteriefonds des Kantons Zürich sowie zahlreicher Partner, Sponsoren, Gönner, Paten und Privatspender konnte die Stiftung für mehr als 100 000 Franken den 10,5 Meter langen, 1936 in der Werft von John Faul in Horgen gebauten Weekend-Motorkreuzer Ajax kaufen und sich an seiner Restauration beteiligen. Die Ajax wäre sonst nach Holland gekommen, wo sie einen Käufer gefunden hatte.
Innerhalb von 13 Jahren konnte die Stiftung HZB durch die kräftige Mithilfe des OBCZ sechs Motorboote, den 45m2 Nationalen Kreuzer Mona Lisa (Suter & Portier, 1926) und das Stehruderboot Victor erstehen. Ferner beteiligte sie sich an der Sanierung des offenen, von Emil Leemann 1911 gebauten Fahrgastschiffs Hecht, das heute auf dem Pfäffikersee verkehrt. Die Stiftung hat sich zum Ziel gesetzt, die Restauration und Pflege der am Zürichsee von den bekannten Werften Faul, Pedrazzini, Portier, Boesch, Treichler und Meierhofer gebauten Schiffe zu unterstützen.
Die Boote des OBCZ können von den Clubmitgliedern für Privatfahrten und Be- triebsausflüge gemietet werden. Der Weekender Ajax (John Faul, 1936), der Backdeck-Kreuzer Frösch (Suter & Portier, 1912) und das Pläsirboot Annie (Emil Leemann, 1912) werden im Boot-Sharing nach dem «Mobility-Prinzip» angeboten. Die so erzielten Einnahmen fliessen in den Unterhalt der Flotte. Damit alles seine Richtigkeit, hat, führt der OBCZ unter der strengen Aufsicht seiner technischen Kommission ein detailliertes, präzises Register sämtlicher Mitgliederschiffe.
Stelldichein der schönsten Holzboote auf dem Zugersee
Auf dem benachbarten Zugersee treffen sich seit 2002 jedes Jahr Anfang August Segelboote aus Holz, die mindestens 40 Jahre alt sind, zum Barrique Cup. Eskortiert von Motor-, Ruderund sogar von einigen Dampfbooten wie der Liberty Belle, dem kleinsten Raddampfer der Schweiz, verwandeln die anwesenden H-Jollen, Lacustres und Drachen den Anlass in Cham zu einem grossen Hafenfest. Bei Musik, Apero und Barbecue werden die alten Ladies von ihren Fans ausgelassen gefeiert.
Im Andenken an Hermann Egger
Auf dem Neuenburgersee geben sich die alten Boote an der «Régate des Vieux Bateaux» in Grandson und an der «Rencontre des Vieux Bateaux» in Chevroux bei Speis, Trank und Jazz ein Stelldichein. Gemessen an den 5,5mR, 6mR, Belougas, Corsaires und Requins beugt sich die Sainte-Anne zwar nicht unter dem Gewicht der Jahre, verkörpert aber die Seele des früheren Segelsports. Getakelt als Gaffelkutter mit Besansegel wurde sie in Spantenkonstruktion 1950 bei Hermann Egger in Saint-Aubin nach Plänen eines bretonischen Thunfischerboots (!) hergestellt.
Hermann Egger verstand sein Handwerk so gut und war ein solcher Perfektionist, dass er weltweit einen ausgezeichneten Ruf genoss. Aus seiner Werft kamen keine Boote, hiess es, sondern Stradivaris. Ihn beauftragte Baron Bic mit dem Bau der noch immer segelnden 12-Meter-Jachten Chancegger, France und France II für den America’s Cup. Aus seiner Werft stammen zudem die 5,5mR des norwegischen Königs Olaf V. und des Bahamas Meisters Bob Symonette sowie mehrere Kielkreuzer.
Besonders erwähnenswert ist die Meterjacht Spyr. Sie wurde 1932 in Arcachon gebaut, vom Käsehersteller Gerber importiert und gehört seit drei Generationen der Familie Brunner. Obwohl er selbst nicht segelt, liess sie der Vater des aktuellen Besitzers Claude-André Brunner in der Werft von Jean-François Burkhalter in Yverdon restaurieren. Heute führt Claude-Andrés Tochter Laura die Werft.
Cupido, für Argentinien an Olympia 1928
Als die Segelschule Thun 1941, sechs Jahre nach ihrer Gründung, die 8mR-Jacht Cupido erstand, hatte sie bereits ein Faible für Oldtimer. Die Cupido wurde von Baron de Rothschild in Auftrag gegeben und 1918 ausgeliefert. 1928 nahm sie an den Olympischen Spielen in Amsterdam teil, allerdings unter argentinischer Flagge. Das olympische Komitee Frankreichs hatte Virginie Hériot auf ihrer Aile VI den Vorzug gegeben, Cupido war daher überzählig. Während Argentinien unter «ferner liefen» rangierte, holte Virginie Hériot alias «Madame de la Mer» Gold.
Heute ist die Cupido das Aushängeschild der Thunersee Segelschule, kommt allerdings eher für Privatfahrten als für Ausbildungszwecke oder Regatten zum Einsatz. Sie ist eine der wenigen alten Boote auf dem Thunersee, auf dem ansonsten noch ein paar 5,5mR, Lacustres und Drachen ihre Kreise ziehen.
Eine fast hundertjährige 6-Meter-Jacht
Auf dem Vierwaldstättersee fahren nur wenige Traditionsjachten, einige Perlen sind aber doch anzutreffen, allen voran die beeindruckende 6mR RAN VIII, Vorzeigebeispiel eines geschichtsträchtigen Oldtimers.
Sie entstand 1921 nach Plänen von Johan Anker, dem Vater der Drachen, in der Bremer Werft Abeking und Rasmussen und feiert nächstes Jahr ihren 100. Geburtstag. Die Mitglieder des Royal Danish Yacht Club in Kopenhagen hatten damals gleich sieben (!) 6-Meter-Jachten auf einen Schlag geordert. Die Ran VIII war im Besitz eines dänischen Diplomaten und späteren Premierministers und hatte unter ihrem damaligen Namen Mariposa gekrönte Häupter an Bord, unter anderem den Kronprinzen und späteren dänischen König. Im Zweiten Weltkrieg verlor sie wie alle auffindbaren Regattajachten ihren Bleikiel, weil die Deutschen alles beschlagnahmten, was ihnen zur Munitionsherstellung dienen konnte.
Carsten Jørgensen aus Dänemark entdeckte das Boot in schlechtem Zustand und beschloss, es zu restaurieren. Originalgetreu saniert und in alter Schönheit erstrahlt nahm die RAN VIII an der Europameisterschaft der 6mR-Klase in St. Tropez und an der Svendborg Classic Regatta in Dänemark teil, bevor sie 2001 von ihrem Eigner an den Vierwaldstättersee gebracht wurde, wo sie 2010 und 2016 die vom Regattaverein Brunnen (RVB) veranstalteten Europameisterschaften bestritt.
Damit dieser edle Zeitzeuge auch in Zukunft noch segeln kann, hat Carsten Jørgensen beschlossen, das Ruder der RAN VIII an Stefan Epper zu übergeben. Ihm wird auch die Ehre zuteil, die Jubiläumsfeier für die ehrwürdige alte Dame zu organisieren.
Paradies der Lacustres und Drachen
Die Bodensee-Traditionswoche vereint alle zwei Jahre jeweils Ende Juli rund vierzig alte Schiffe. Über hundert Teilnehmer geniessen den reizvollen See und die Zwischenstopps, die vom Verein Oldtimerschiffer Bodensee (OSB) am deutschen und am Schweizer Ufer mit grossem Aufwand organisiert werden. An der Feier beteiligen sich neben Drachen und den auf dem Bodensee gut vertretenen Lacustres mehrere 22 m2- und 30-m2- Schärenkreuzer, Jollenkreuzer, 6mR, 8mR und sogar einige Motorjachten und Dampfschiffe.
Stefan Züst setzt in seiner Werft in Altnau die Bootsbauertradition fort, indem er die Oldtimer aus dem letzten Jahrhundert liebevoll pflegt, sie wenn nötig restauriert und manchmal auch Nachbildungen herstellt. Egal, ob Segel-, Motor oder Ruderboot, er kümmert sich mit viel Herzblut und Detailtreue um die alten Schönheiten aus Holz. Er besitzt sogar seinen eigenen Wald, den er von seinem Grossvater geerbt hat und in dem er bei günstigem Mond die Bäume auswählt, die ihm das nötige Baumaterial liefern. Erst kürzlich hat er einen Kreuzer aus dem Jahr 1928 restauriert, der 1983 bei einer Regatta auf dem Genfersee gesunken war.