Segeltragödien
Gleich zwei tödliche Havarien bei Regatten erschütterten die Segel-Community im vergangenen Jahr. Handelte es sich um tragische Unglücksfälle oder hat Leichtsinn mitgespielt? Skippers hat versucht, die Hintergründe aufzudecken und Schlüsse zu ziehen.
Die Blaubandregatta auf dem Zugersee gehört zu den Klassikern des Zugersee-Regattaka-lenders. Jeweils gegen zwanzig Jachten nehmen daran teil, so auch letztes Jahr. Zwar gibt es auf dem See hin und wieder sommerliche Gewitter, aber diesmal kam die Front sehr schnell und völlig unerwartet. Die dreiköpfige Crew eines Lacustre hatte den Spinnaker noch nicht geborgen und wurde von einer harten Böe getroffen. Die Folge war ein klassischer Sonnenschuss, das Boot drehte in den Wind, der Spi drückte den Mast auf die Wasseroberfläche und durch die Krängung lief das Cockpit voll Wasser. Innerhalb von weniger als einer halben Minute soll es gesunken sein. Einer der Segler muss sich so unglücklich in den Leinen verheddert haben, dass er sich nicht mehr befreien konnte und mit in die Tiefe gerissen wurde. Die automatische Rettungsweste hat ihm wahrscheinlich die Bewegungsfreiheit und Sicht geraubt. Wie ist es möglich, dass eine Kieljacht in so kurzer Zeit sinkt? Damian Weiss, Bootsbauer, ehemaliges Alinghi-Mitglied und als Regatteur immer noch in der Szene aktiv, erklärt: «Besonders die älteren, flachen und offenen Boote wie Toucan, Drachen oder Lacustre können in kürzester Zeit viel Wasser aufnehmen. Auf dem Genfersee wurden schon viele Toucan versenkt.» Thomas von Gunten, Präsident der Schweizer Lacustre-Vereinigung, relativiert aber: «In den 86 Jahren der Lacustre sind meines Wissens erst vier Schiffe gesunken. Ich selbst bin seit 1999 bei der Klasse dabei. Wir haben an den Qualifikationsregatten eine rege Teilnahme und bei unseren Schweizermeisterschaften sind immer über dreissig Lacustre am Start. Dabei ist nie etwas Gravierendes passiert.»
GELUNGEN, DAS BOOT ZU ORTEN UND SPÄTER IN
EINER ANSPRUCHSVOLLEN AKTION ZU BERGEN. ©Kapo Zug
Tod durch Unterkühlung
Der zweite tödliche Unfall ereignete sich Ende November auf dem Bodensee. Zwei erfahrene Segler hatten sich mit ihrem Boot von Friedrichshafen auf den Weg nach Konstanz gemacht, um an der traditionellen Regatta «Eiserne» teilzunehmen. Ihr moderner 15er-Jollenkreuzer, auch P-Boot genannt, ist ein hochspezialisiertes, anspruchsvolles Sportgerät. An diesem Nachmittag waren viele Segelnde in Richtung Konstanz unterwegs, über 150 Boote waren zur Regatta gemeldet. Die Bedingungen schienen ideal: blauer Himmel, drei Windstärken aus Nordost mit Böen bis fünf Beaufort, aber auch beissend kalter Wind und nur acht Grad Wassertemperatur. Das schnelle P-Boot wurde von Segelkameraden noch unter Spinnaker segelnd gesichtet. Es hätte bei den herrschenden Windverhältnissen nach zwei bis maximal drei Stunden noch bei Tageslicht in Konstanz ankommen müssen. Als die beiden Männer am Abend jedoch nicht in Konstanz eintrafen, wurde die Wasserschutz-polizei alarmiert. Erst am nächsten Morgen ent- deckte man das gekenterte, fast unbeschädigte Boot. Am frühen Nachmittag wurden die beiden Vermissten tot aufgefunden, ihre Leichen trieben dank der Westen an der Wasseroberfläche. Alles deutete darauf hin, dass das Boot unter Spi in einer Böe gekentert war und die beiden Segler abgeworfen hatte.
DER SPI WAR NOCH IMMER ANGESCHLAGEN. ©Kapo Zug
UND NICHT UNGEFÄHRLICHES UNTERNEHMEN. ©Kapo Zug
Die gerichtsmedizinische Untersuchung ergab, dass beide Segler vermutlich bewusstlos infolge von Unterkühlung ertranken. Die Überlebenschancen bei einer Kenterung in so kaltem Wasser sind ohne Hilfe äusserst gering. Die Kälte führt schnell zu Muskelschwäche und Bewegungsunfähigkeit. Ein Trockenanzug mit entsprechender Unterwäsche und ein PLB-Notruf-Sender hätte die Überlebenschancen deutlich erhöht.
Risiko richtig eingeschätzt?
Bei beiden Unfällen war die Ursache wohl der Spinnaker, der bei viel Wind oben geblieben war. Da es sich an Bord um lauter erfahrene Segler handelte, stellt sich die Frage, ob gerade sie oft zu leichtsinnig sind. Haben sie das richtige Mittelmass zwischen Freiheitsgefühl und Lebensfreude einerseits und Risiko andererseits gefunden? Doch unabhängig davon: Auch mit einem umsichtigen Risikomanagement sind solche Tragödien nie ganz auszuschliessen. Damian Weiss hat schon viele gefährliche Situationen auf dem Wasser erlebt, war an der stürmischen Bol d’Or 2019 dabei und nennt einen möglichen Grund, wieso das Risikomanagement gerade bei erfahrenen Segelnden oft nicht mehr stimmt: «Viele berücksichtigen bei ihren Einschätzungen zu wenig, dass das Wetter unberechenbar geworden ist. Früher konnte man aufziehende Fronten rechtzeitig erkennen und das Wolkenbild kündigte aufkommende Föhnstürme an. Heute kommt der Wetterumschwung derart schnell und die Sturmböen sind derart krass, dass selbst Routiniers überrascht werden. Diesem Umstand wird oft zu wenig Respekt gezollt.» Die beiden Tragödien haben die gesamte Wasser-sport-Community aufgerüttelt. Skippers möchte keine Schuldzuweisungen betreiben, sondern mit diesem Beitrag erreichen, dass alle Segelnden die persönliche Risikobereitschaft überdenken und die Sicherheitsvorkehrungen anpassen.