Peter Gallinelli und sein Sohn sind neun Monate völlig auf sich allein gestellt durch den Norden Grönlands gereist. Er berichtet für Skippers von seiner minutiös geplanten Expedition.
Fast 4000 Seemeilen liegen zwischen dem Norden Grönlands und Kopenhagen, wo das Abenteuer begann. Die Strecke ist auch als Wikingerroute bekannt. Wir sind im Juli 2015 in Europa gestartet und über Norwegen, Schottland, die Färöer-Inseln und Island auf schnellstem Weg nach Thule an der Nordwestküste Grönlands gesegelt. Es war Mitte September und wir mussten uns beeilen, um vor dem Eisstau ans Ziel zu gelangen. Dann nämlich sinken die Temperaturen unter Null, die Tage werden kürzer, die Umwelt erstarrt und es gibt kein Zurück mehr.
Auf 78° nördlicher Breite, nur 700 Seemeilen vom Nordpol entfernt, bereitet sich unser kleines Team, bestehend aus meinem 14-jährigen Sohn und mir, auf eine andere Navigation vor. Wir werden den Winter an Bord unseres Segelbootes in einem der kältesten Meeresgebiete des Planeten verbringen und ein Jahr lang neben den markierten Seestrassen segeln.
15 Einwohner und 50 Hunde
Allein sind wir aber trotzdem nicht. Eine Stunde zu Fuss von unserem Lager entfernt stossen wir völlig unerwartet auf eine kleine Siedlung mit gerade einmal 15 Einwohnern und 50 Hunden. Sie leben in völliger Abgeschiedenheit, haben weder Telefon noch Internet, keinen Strom, kein fliessendes Wasser und keine Kanalisation. Ihnen fehlt sozusagen alles, was dem modernen Menschen als unverzichtbar erscheint. Grund für die geringe Bevölkerungsdichte sind die unwirtlichen Lebensbedingungen. In diesem Gebiet, das 50 Mal grösser ist als die Schweiz, leben nur gerade 50’000 Seelen. Isolation, Stürme, ewig dauernde Nächte, Eis und Kälte prägen die menschenfeindliche Umgebung.
Was kann einen Menschen veranlassen, sich freiwillig solch extremen Bedingungen auszusetzen? Vielleicht ein ausgeprägter Drang nach Abenteuern. Keine riskanten Experimente, bei denen man sich vom Zufall treiben lässt und unnötigen Gefahren aussetzt, sondern präzis vorbereitete Unternehmen. Sie bergen eine Vielzahl an Schwierigkeiten und Unsicherheiten und eröffnen einzigartige Möglichkeiten, Neues zu entdecken, die Welt besser zu verstehen und mehr über die Wissenschaft, die Mitmenschen und über sich selbst zu erfahren. Aus diesem Grund haben sich dem Projekt auch mehrere in Umweltwissenschaften tätige schweizerische und französische Universitäten und NGOs angeschlossen. Ihr Ziel: die Natur in diesen Breitengraden beobachten, analysieren und dokumentieren.
Kaum Energieverbrauch

Eine Tiefkühltruhe wirkt neben den in den Wintermonaten durchschnittlichen -26 °C und Tiefstwerten von bis zu -40 °C geradezu warm. Als Labor für das „Passive Igloo Project“ erweisen sie sich aber als ideal, denn Nanuq ist kein gewöhnliches Schiff. Auf einer Integral 60’ wurde ein Modul aufgebaut, das nach den Grundsätzen des passiven und autarken Hauses entwickelt und hergestellt wurde und als Kabine und Lebensraum dient. Die Rechnung ging auf: Die Energiebilanz konnte um das Zehnfache gesenkt werden, ohne Komfort und Lebensqualität einzubüssen und das in einer Region, die in keiner Weise mit unseren gemässigten Regionen vergleichbar ist. Eine tolle Demonstration für das, was in diesem Bereich alles möglich ist, wenn man bedenkt, dass in der Schweiz die Hälfte des Energieverbrauchs durch Heizen verursacht wird.
Guten Appetit!
Neben den wissenschaftlichen Aspekten stellte uns die Expedition auch persönlich vor grosse Herausforderungen. Zum Beispiel, was unser Essen betraf. Wir sind nie wirklich auf den Geschmack von gefriergetrocknetem Essen und Konservenfutter gekommen und haben uns deshalb für die früheren Grundnahrungsmittel der Alpentäler entschieden. Dazu gehören Hülsenfrüchte, Reis, Weizenmehl, Haferflocken, Käse, Kohl, Kartoffeln und Zwiebeln, aber auch Nüsse und getrocknete Früchte, Schokolade, Konfitüre, Öl, Butter, Tee und Kaffee. Die Vorräte sollten für 18 Monate reichen. Zusammen mit unseren Freunden aus dem Dorf reicherten wir diese Kost mit traditionellen, für uns ungewöhnlichen Jagd- und Fischereierzeugnissen an. Wir haben uns aber nicht nur an das fremde Essen gewöhnt, mit der Zeit schmeckten uns das Robbenragout und das Narwalfleisch sogar.
Nach vier Monaten in der arktischen Nacht und einem blitzschnellen Übergang geht die Sonne nicht mehr unter. Das Leben kehrt zurück und der Eisgang endet Mitte Juli. Ein sehr stabiles Hochdruckgebiet sorgt für lang anhaltendes ruhiges Wetter, spiegelglattes Meer, aber auch für hartnäckige Nebelbänke auf offener See. Überraschenderweise sind die Temperaturen mild. Da Eisberge, Strömungen und Untiefen auf keiner Karte eingezeichnet sind und man auch nie weiss, ob Wind aufkommt, sollte man über einen zuverlässigen Motor verfügen. Unsere Vorfahren, die sich ohne Motor und ohne moderne Techniken hierhin wagten, haben unseren ganzen Respekt verdient.
Was nimmt man von einer solchen Reise mit nach Hause? Bilder eines anderen Planeten, Erinnerungen an ein Leben im Einklang mit der Natur und an ein Volk, das noch stark mit seiner Heimat verwurzelt ist, und die Gewissheit, dass wir die Schlüssel für die Zukunft bereits besitzen. Eine solche Reise ist nur mit dem Segelboot möglich. Es ist das perfekte Transportmittel und macht die unglaublichsten Entdeckungen möglich. Auf die Frage, ob man verrückt sein muss, um ein solches Projekt zu wagen, gibt es nur eine Antwort: Man muss verrückt sein, wenn man nicht versucht einen Traum umsetzen, auch wenn er noch so ausser Reichweite scheint. Die Dinge sind nicht interessant, weil sie einfach sind, sondern deshalb, weil sie es eben nicht sind.
Website der Expedition: http://igloo.sailworks.net/