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Produktion in der Schweiz: Ist Swiss Made noch gefragt?

von Jacques-Henri Addor

Ähnlich wie in der Uhrenbranche hat sich die Schweiz auch im Bootsbau einen soliden Ruf erarbeitet. In der Werft Corsier-Port bei Genf sind unzählige Segelboote der Meterklasse entstanden. Am Zürichsee waren die Motorboote von Portier aufgrund ihrer Qualität begehrt. Heute ist die Schweiz im Bereich Verbundstoffe weltweit führend, doch der starke Franken blockiert viele Projekte und Exporte und bremst die Branche aus.

Text: Jacques-Henri Addor

Egal, ob für Einzelteile oder ganze Boote, technische Entwicklungen oder die Einrichtung von Produktionsketten, Schweizer Fachleute für Verbundwerkstoffe sind für ihr Know how und die Qualität ihrer Arbeit bekannt. Das Ansehen von Swiss Made in der Bootsindustrie geht auf den Anfang des 20. Jahrhunderts zurück. Damals baute Corsier-Port für eine internationale Kundschaft robuste Motorjachten, unter anderen das Schnellboot Zoïtza Doamna für den rumänischen Prinzen Georges Bibesco, der damit auf der Donau und dem Schwarzen Meer fuhr.

FRANCE, DIE ERSTE FRANZÖSISCHE 12-METER-JACHT AUS DER EGGER-WERFT.

Von Genf bis nach Japan

Geführt wurde die Werft damals von Charles-Jules Mégevet und Charles Picker, zwei ebenso lustigen wie erfolgreichen Zeitgenossen. Wenn sie sich nicht gerade witzige Namen für ihre Konstruktionen ausdachten, fuhren sie an Regatten im Ausland Siege ein. Die Qualität ihrer Boote blieb nicht lange verborgen und Swiss Made wurde in der Bootsbranche zum Begriff.

Die Motorjachten aus Corsier-Port stiessen auf so grosse Begeisterung, dass sie sogar nach England und Frankreich exportiert wurden. Einige wie die Taggs aus dem Jahr 1913 sind noch heute in Betrieb, auch das ein Zeichen für ihre Qualität.

Ermutigt durch den Erfolg diversifizierte Corsier-Port ihre Tätigkeiten. Mit dem Aufkommen des Segelsports eröffneten sich der Werft neue Möglichkeiten. Sie begann Regattaboote der Meterklassen (5mR, 5.50mR und 6mR) zu bauen. An den Olympischen Spielen 1960 in Rom traten die Schweiz, Frankreich, Italien, Deutschland und Spanien alle mit 5.50-Meter-Jachten von Corsier-Port an. Parallel dazu wurden Se-gelund Motorboote für den Regattasport bis nach Ägypten und Japan verkauft und Swiss Made in die Welt hinausgetragen.

HERMANN EGGER VOR DER 12-METER-JACHT CHANCEGGER.

Boote wie Stradivaris

Das «nautische» Swiss Made ist aber kein Monopol des Genferseegebiets. Auch Hermann Egger in Saint-Aubin am Neuenburgersee verstand sich auf den Bau hochklassiger Holzboote. Er baute 5.50mR für den norwegischen König Olaf und den Weltklassesegler Bob Symonette aus den Bahamas. Wer ihn kannte weiss: Hermann Egger war ein Original. Er trug das ganze Jahr einen verwaschenen blauen Arbeitskittel und war kein Mann der vielen Worte. Aber er hatte Klasse und verstand sein Handwerk wie kein anderer. Überlegt, intelligent und mit scharfem Blick setzte Egger sein umfassendes Wissen um.

Die Qualität und Präzision der von Hermann Egger gebauten Boote entgingen auch Marcel Bich nicht. Der Baron und selbsternannte Kugelschreiber-Papst (Bic) wollte den America’s Cup, der seit der Erstaustragung im Jahr 1851 in amerikanischen Händen war, nach Europa holen. Sein grosses Ziel vor Augen kaufte er eine erste 12-Meter-Jacht und nannte sie Sovereign. Darauf folgte eine zweite, die Constellation. Doch Bich hatte Grösseres vor und bat Hermann Egger, auf der Grundlage von Plänen eines gewissen Britton Chance Jr. eine 12-Meter-Jacht zu bauen. Die Chancegger war Eggers erste 12mR. Das Boot erfüllte alle Anforderun- gen so optimal, dass der Baron bei Egger eine weitere 12mR, die France, in Auftrag gab, diesmal auf Basis von Plänen des Franzosen André Mauric. Die Kombination aus französischem Design und schweizerischem Know- how schien die perfekte Kombination.

Doch das Ganze hatte einen Haken. Das damalige America’s Cup-Reglement schrieb nämlich vor, dass die Boote der Challenger vollständig im Land, für das sie antraten, gebaut werden mussten. Eine Art Herkunftsbezeichnung vor ihrer Zeit. Hermann Egger blieb nichts anderes übrig, als mit Sack, Pack und Werkzeugen nach Pontarlier im französischen Departement Doubs zu ziehen. Dort entstand die France unter strengster Geheimhaltung.



DÉCISION SA HAT DIE SCHWIMMER UND DEN MITTELRUMPF DES HYDROPTÈRE.CH PRODUZIERT UND DIE STRUKTUR ZUSAMMENGEBAUT.
DIE C-CLASS HYDROS WURDE BEI DÉCISION FÜR DEN LITTLE AMERICA’S CUP GEBAUT.

Riggs für Eric Tabarly und Alain Colas

Während Hermann Egger Boote baute, etablierte sich der in Yverdon ansässige Coeuvedez allmählich als einer der führenden Mastbauer für Hochseeboote. In den 1970er-Jahren gab es noch kein Carbon und keine Verbundwerkstoffe, dafür aber Aluminium, das Holz allmählich ablöste. Nirvana stattete die Boote von Eric Tabarly, Alain Colas und vielen anderen klingen- den Namen mit Masten aus. Sie waren wegen ihrer Solidität und ihrer Sicherheit und wegen der Flexibilität von Monsieur Coeudevez gefragt, der die teilweise doch sehr extravaganten Sonderwünsche der Segler umsetzte.

1973/74, an der ersten Weltumseglung im Team, entmastete Eric Tabarlys Ketsch Pen Duick VI vor der brasilianischen Küste. Schuld war aber weder eine Want, die versagt hatte, noch ein schlecht konzipierter Mast. Vielmehr war die X-Verstrebung an der Basis des Hauptmasts eingebrochen. Bei Nirvana in Yverdon brach Hektik aus. Unter unglaublichem Zeitdruck wurde der Ersatzmast fertiggestellt, um ihn per Flugzeug um die halbe Welt zu schicken. Dann stellte sich heraus, dass der Rumpf des Frachtflugzeugs zu kurz war. Der Mast musste zerteilt und bei der Ankunft wieder zusammengesetzt werden. Elf Tage später hatte Tabarlys grosse Ketsch einen neuen Mast und konnte das Rennen wieder aufnehmen.

«Bouboules» Handschrift
auf Il Moro di Venezia


In der Egger-Werft in Pontarlier hatte Jean-François Burkhalter alias «Bouboule» gerade seine Lehre abgeschlossen. 1970 eröffnete der passionierte Bootsbauer in Yverdon seine eigene Werft. Vom französischen Konstrukteur Jean Berret erhielt er den Auftrag, zwei Benèze, den Quarter-Tonner Aramis und mehrere andere Boote zu bauen. Bouboule wirkte auch am ersten bei Décision in Meyrin gebauten Boot, dem von Philippe Briand designten OneTonner Passion 2, mit.

Für die von Pierre Fehlmann gegründete und von Bertrand Cardis geleitete Décision-Werft stellte Bouboule die Formen für die Maxis UBS Switzerland, Merit und La Poste (von Eric Tabarly gesteuert) sowie die One-Design-Maxis Grand Mistral her. Dann wanderte der Waadtländer nach La Ciotat aus, wo er weiter als Bootsbauer tätig war. Von 1988 bis 1991 konstruierte er im venezianischen Hafen Mestre vier Class-America-Formen für Raoul Gardini, darunter eine für Il Moro di Venezia, die am America’s Cup 1992 bis ins Finale vorstiess, nachdem sie die französische Ville de Paris, die japanische Nippon und die neuseeländische Emirates Team New Zealand aus dem Rennen geworfen hatte. Nach Plänen des argentinischen Designers German Frers stellte Bouboule zudem die Form einer für damalige Verhältnisse riesigen Ketsch (61,50 m) her. Saddrudin Aga Khan beauftragte ihn mit dem Bau seiner Lacustre Roxana und Edmond de Rothschild engagierte ihn für die Instandhaltung seiner Gitanas.

Der starke Franken als Exportbremse

Décision realisierte zahlreiche Segelund Motorboote fürs Ausland: die Class America Alinghi von Ernesto Bertarelli, die Schwimmer des Hydroptère von Alain Thébault und jene des Riesenkatamarans Alinghi 5, die Beams der Groupama und die Open 60’ Cheminées Poujoulat von Bernard Stamm. In Zusammenarbeit mit den französischen Werften CDK Technologies und Multiplast beteiligte sich Décision an der Entwicklung der MOD-70-Trimarane sowie an der Realisation grosser Regattajachten wie der Vitalia II (ex-Orange 2), der Gitana 16, der Saint-Michel-Vibrac und der AC-Class Groupama. Zudem baute die Werft die Grundstruktur sämtlicher VOR 65 der beiden letzten Volvo Ocean Races.

Die Zeiten hätten sich geändert, betont Bertrand Cardis. «Erstens sind wir nicht mehr die einzigen, die mit Kohlefaser und Vakuum-Infusionsverfahren arbeiten. Zweitens leiden unsere internationalen Tätigkeiten unter dem starken Franken. Als der Euro eingeführt wur- de, war er 1.70 Franken wert. 2015 hob die Schweizerische Nationalbank den Franken-Euro-Mindestkurs auf. Heute bekommt man für einen Euro noch 1.05 Franken. Die Kunden rufen uns nicht mehr an. Dann kam auch noch die Coronakrise und brachte zahlreiche Projekte zum Stillstand.

DER FOILER MIRABAUD LX VON THOMAS JUNDT IST BEI MB-COMPOSITE ENTSTANDEN.

Stärkere Konkurrenz

Auch der erfahrene Segler und Komposit-Spezialist Yvan Ravussin bekommt den teuren Franken zu spüren. Da die Bestellungen ausblieben, tat er sich mit Mathias Bavaud zusammen. Yvan hat schon viele Mehrrümpfer mit Rudern ausgestattet und Masten, Beams und Spibäume für 20 bis 74 Fuss lange Boote produziert. Sportlich spannte er nach seinen Anfängen mit Laurent Bourgnon auf Primagaz mit Koryphäen wie Alain Gautier, Michel Desjoyeaux, Dominique Wavre, Yvan Bourgnon, François Gabart und Yann Elies zusammen.

Die Herstellung von Teilen im Prepreg-Autoklav-Verfahren und die digital gesteuerte Fertigung trugen Yvan Ravussin internationales Ansehen ein. Swiss Made allein reiche heute nicht mehr, sagt er. «Swiss Made steht zwar für Zuverlässigkeit, Präzision und die Qualität der Ausbildung, aber bei der zunehmend stärkeren Konkurrenz aus China und Osteuropa hat es einen schweren Stand. Was zählt, ist der Stundenansatz. Und bei einem so starken Franken haben wir keine Chance. Die Bestellbücher sind leer.»

TPT, eine revolutionäre Technologie

Von 2002 bis 2007 entwickelten die beiden Schweizer Segelpioniere Gérard Gautier und Edouard Kessi die Thin Ply Technology, kurz TPT. Mit diesem von der Technologie der 3DiSegel abgeleiteten Verfahren werden feste, strapazierfähige Kompositmembrane hergestellt, die aus hauchdünnen Kohlefaser-Filamenten bestehen und exakt in Richtung der Krafteinwirkung angeordnet werden können. Stabilisiert werden die vorimprägnierten Fasern (Prepreg in der Fachsprache) durch das darin enthaltene Harz, das sich während der Duroplastverarbeitung verhärtet. Ursprünglich sollte die 3Di-Technologie zur Herstellung der Alinghi-Segel eingesetzt werden. Ernesto Bertarelli hatte begriffen, welche Vorteile er aus dieser Erfindung ziehen konnte. Die Ergebnisse gaben ihm recht. Später wurde das Patent an North Sails verkauft, das die Technologie weiterentwickelte und als Grundlage für die TPT nutzte. Mittlerweile findet diese bahnbrechende Erfindung in weiteren Bereichen Anwendung. Sie wird von Southern Spars für den Bau von Masten, von Movement für ultraleichte Ski und für einige Teile des experimentellen Solarflugzeuges HB-SIB Solar Impulse eingesetzt.

Matias, Virtuose des Kompositbaus

Mathias Bavaud ist der jüngste im Bunde der Spezialisten für Hightech-Kompositmaterialien. Der gelernte Bootsbauer hat alle Entwicklungsschritte der Verbundwerkstoffe mit ihren Höhen und Tiefen miterlebt. Eine Zeitlang pendelte er zwischen zwei Arbeitsplätzen, einem bei Décision, dem anderen bei Burkhalter. 2001 beschloss er, sich selbstständig zu machen und seine eigene Firma mb-composite zu gründen.

Er begriff schnell, dass es strategisch sinnvoll ist, nicht allein für die Bootsbranche zu produ- zieren, und suchte neue Märkte. Gefunden hat er sie im Bereich Autotuning sowie Windsurfen und Stand-up-Paddeln, für die er Finnen, Zubehör und weitere Teile herstellt. Der Schiffsbau bildet aber noch immer das Kerngeschäft. mb-composite produzierte den rumpflosen Foiler Mirabaud LX von Thomas Jundt und des- sen Flügelsegel. Um das Geschäft am Laufen zu halten, verschmäht Mathias weder Reparaturen an Schwimmbädern noch an landwirtschaftlichen Silos.

MATHIAS BAVAUD, GRÜNDER VON MB-COMPOSITE, UND DER SHAPER BENOÎT CLÉMENT (RECHTS).

Karbonlaminat, Polyesterharz, Prepreg, Kevlar, Polyurethan, PVC, Epoxy bis hin zu 3D-Druck, Mathias hat schon alles gemacht. Mit der digital gesteuerten Fertigungsanlage produziert er Arme für robotisierte Werkzeugmaschinen. «Deutsche Qualität hat einen guten Ruf. Aber wir haben die Schweizer Perfektion, das Know how, das Material und ein Konzentrat an Technologien. Und wir haben die finanziellen Mittel. Das Schweizer Niveau ist hervorragend, aber man muss sich diversifizieren. Wie bei einer Harfe spiele ich daher mehrere Saiten.»

Von den Holzbooten der Meterklasse aus dem letzten Jahrhundert bis hin zu den heutigen Hightech-Kompositkonstruktionen, Swiss Made ist aus der Bootsbranche nicht wegzudenken.

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