Seit Jahrzehnten fesselt das Streben nach immer schnelleren Booten etliche tüftelnde Tempofreaks. Mehrere Prototypen wurden einzig mit dem Ziel entworfen, Rekorde zu brechen. Einigen ist das gelungen, anderen nicht, aber alle haben massgeblich dazu beigetragen, die Schweiz zur Drehscheibe für Spitzentechnologie im Segelsport zu machen.
Text: VINCENT GILLIOZ
Der Genfersee ist weder Lüderitz, Weymouth noch Saintes-Maries-de-la-Mer, dennoch hat er neben diesen drei Hotspots in den letzten zwanzig Jahren in mehrfacher Hinsicht eine wichtige Rolle im Temposegeln gespielt. Speedrekorde sind ein wichtiger Bestandteil des Segelkalenders. Adrenalinhungrige können in der Sommerzeit jeweils im Rahmen der Leman Sailing Speed Records versuchen, die Bestzeiten auf dem Genfersee zu knacken. Zweimal hat die Société Nautique de Genève (SNG) sogar ihre eigene Speed Week veranstaltet. Auch bei den schnellen Booten spielt der Genferseeraum seit Jahren eine Vorreiterrolle. Mehrere Boliden wurden speziell für die besonderen Binnenseebedingungen entwickelt. Einige haben mit ihren bahnbrechenden Konstruktionen die Geschichte der Rekordboote entscheidend mitgeprägt. Hier eine Auswahl.
Mirabaud LX
2006 brachte Thomas Jundt einem 18-Footer das Fliegen bei. Die australischen Rennziegen bildeten die Grundlage für die erste Version des Mirabaux LX, die der Ingenieur und Segler mit Elementen einer Foiler-Moth aufmotzte. Nach zwei vielversprechenden Saisons und einer Partnerschaft mit dem Genfer Finanzinstitut wurde das experimentelle Boot bis auf seine Grundstruktur abgespeckt. «Der Bootsrumpf erfüllt seinen Zweck eigentlich nur bei sehr wenig Wind und bei bestimmten Manövern, ansonsten ist er überflüssig. Er muss daher so klein wie möglich sein oder sogar ganz verschwinden», sagte der geistige Vater des Mirabaud LX bei der Präsentation des Konzepts. Die teilweise bei Mathias Bavaud gebaute Erstversion bestand aus einem kuriosen Gerüst aus Kohlefaserrohren, das auf den Rumpf eines M2 montiert wurde. An dieser tragenden Struktur waren die Foils, Ausleger und das Rigg des 18-Footers angebracht. Die zweite Version war etwas weniger minimalistisch und verfügte sogar über ein Paar Schwimmer, mit denen das Boot bei einer spektakulären Testfahrt ganz ohne Rumpf über den See rauschte. Thomas Jundt merkte aber schnell, dass an den grossen Binnenregatten mit wenigen Ausnahmen rund 70 bis 80 Prozent der Zeit klassisch gesegelt wird, das Boot aufgrund des zu schwachen Winds also gar nicht abheben kann. «Die Idee eines Segelboots ohne Rumpf war verlockend, aber die Windbedingungen auf dem See zwangen uns, das lebende Werk zu optimieren.»
Im Lauf der Jahre und Erfahrungen verbesserte Thomas Jundt das Boot zusehends, entwarf austauschbare Foilflügel und installierte Schwimmer unter den Auslegern. Während einigen Jahren wurde das schwimmende – oder fliegende – Labor konstant weiterentwickelt. Jundt reiste sogar in die USA, um sich den Flügelmast der Class-C-Jachten genauer anzuschauen und ihn auf den Mirabaud LX zu übertragen. «Unser herkömmliches Segel reagierte nicht schnell genug, weil es zu weich war. Ein Flügelmast kann nicht killen, das Boot wird stabiler und lässt sich viel einfacher segeln», begründete Jundt seine Wahl. Die hatte aber nicht nur Vorteile. Das Team erinnert sich nur allzu gut an die aufwendigen Unterhaltsarbeiten vor und nach jeder Ausfahrt.
Als der Mirabaud LX gleich bei seinem Einstand die Bol d’Or du lac de Neuchâtel gewann, horchte die Segelgemeinschaft auf. Weitere Meilensteine folgten, darunter die drei Siege an der Genève-Rolle-Genève, der Streckenrekord von 2009 von 3 Stunden und 43 Minuten und der zweimalige Gewinn der Bol d’Or Mirabaud in der Kategorie L.
Im Sommer 2020 wurde der Nachfolger des Mirabaud LX, der QFX, eingewassert. In ihn ist Thomas Jundts gesamte Erfahrung aus den letzten 30 Jahren geflossen. Er und sein Team spinnen die verrückte Saga mit ungebrochener Leidenschaft weiter – um der Sache willen und aus Freude an Geschwindigkeit.
Hydroptère oder Hydros
2010 ging der Foilerkatamaran Hydros.ch auf Jungfernfahrt. Ursprünglich als Laborschiff des gleichnamigen Ingenieurbüros konzipiert, entpuppte er sich schnell als Vorzeigebeispiel für Energieeffizienz. In dem bei Décision SA gebauten Prototyp steckte eine geballte Ladung Technologie. Lanciert hatte das Projekt der als kreativer, aber umstrittener Kopf bekannte Alain Thébault. Später wurde es vom Team Hydros.ch um Daniel Schmäh übernommen.
Dank der Unterstützung von Thierry Lombard (2005 bis Ende 2011) konnte Hydros mit einem stattlichen Budget und einem erfahrenen Team mit solidem Foiling-Background ins Abenteuer starten. Vollgepackt mit Sensoren sammelte das Hightech-Konstrukt Unmengen von Daten, anhand derer seine Leistungen fortlaufend verbessert wurden.
Wie die meisten Boote auf dem Genfersee sollte auch der Hydroptère möglichst vielseitig sein. Als er seine ersten Schläge segelte, stimmte dank der akribischen Präzisionsarbeit jedes Detail. Regatta hat er zwar keine gewonnen, aber er hält mehrere Genferseerekorde: das Blaue Band (Streckenrekord an der Bol d’Or Mirabaud) mit 4h30’ und 25,25 Knoten Durchschnittsgeschwindigkeit und den Kilometerrekord mit 30,6 Knoten. Auch auf dem Zürichsee stellte er auf der Strecke Zürich-Rapperswil mit 2h25’ eine neue Bestzeit auf.
Syz&Co
Der berühmte Syz&Co konnte die Erwartungen seiner Entwickler Patrick Firmenich, Jean Pfau, Jean Psarofaghis und Alex Schneiter trotz revolutionärem Konzept und erheblichen finanziellen Mitteln nie ganz erfüllen. Mit seinen 700 Kilo und seinen an der Aussenstruktur befestigten Foils trug der 35-Fuss-Katamaran 85 Quadratmeter Tuch am Wind und 150 vor dem Wind. Das Boot selbst wurde in der Psaros-Werft gebaut, die Tragflächen konstruierte Yvan Ravussin und das Gesamtkonzept stammte vom Designbüro VPLP.
2008 wurde der Foilerkat in gros- sem Stil und mit Alain Prost als Taufpaten zu Wasser gelassen. Er sollte bei wenig Wind allen davonfahren und bei schöner Brise allen davonfliegen. Seine Macher wollten damit sämtliche Rekorde brechen und alle Regatten gewinnen. Obwohl Experten wie Luc Dubois an seiner Entwicklung beteiligt waren, war der Syz&Co schlussendlich doch zu schwer. Zur Siegesmaschine wurde er trotz stattlicher Ge- schwindigkeiten bei bestimmten Bedingungen deshalb nie.
Mit mehrmaligen Optimierungsarbeiten wurde versucht, die beträchtlichen Investitionen zu rentabilisieren und den Tragflächenkat doch noch zur ersehnten Rennmaschine zu machen, doch die Versuche blieben erfolglos und nach einigen Jahren verschwand er ganz von der Bildfläche. Als Flop kann der Syz&Co dennoch nicht bezeichnet werden. Er war ein wichtiger Meilenstein in einem Lernprozess, bei dem die Psaros-Werft im Bereich der Verbundstoffe enorm viel Wissen erworben und das Speedsegeln mass- geblich vorangebracht hat.
π28
Der π28 ist dem unerschöpflichen Ideenreichtum des Foiling-Spezialisten Hugues de Turckheim und der Rechenkünste von Sébastien Schmidt entsprungen. Finanziert wurde er von einem Konsortium aus sechs Eigentümern. Obwohl er als Einrümpfer konzipiert war, ordneten ihn die Regattaorganisatoren den Mehrrümpfern zu, da sie seine profilierten Ausleger als Schwimmer einstuften.
Ausgestattet mit einem dreistufigem Tragflügelsystem in Form eines umgekehrtes πZeichens sollte er ursprünglich nur wenig grösser ausfallen als ein 18-Footer und, wenn es nach den Wünschen seiner Väter ging, zum einfach zu handhabenden One-Design-Foiler für drei unerschrockene Tempofreaks werden. Im Zuge angeregter Diskussionen und auf Druck der Sponsoren wurde beschlossen, daraus einen 28-Füsser zu machen, um ihn gegenüber den immer zahlreicheren Hightech-Binnenbooten zu profilieren. Das machte die Jacht aber schwieriger zu steuern und teurer und erforderte technische Anpassungen.
Der Rohbau des π28 erfolgte bei Pauger in Ungarn, die abschliessenden Arbeiten wurden bei MB Composite erledigt. Leider wollten die Eigentümer etwas zu viel. Das Boot wurde überstürzt hochgezüchtet, sodass die nötige Zeit für den Feinschliff fehlte. Angesichts des avantgardistischen, hochkomplexen Riggs mit dem dicken, durchgelatteten Segel hätte der π28 vermutlich von Profisegeln und nicht von enthusiastischen Eignern optimiert werden müssen, denn den Amateuren fehlte trotz ihrer Leidenschaft das Wissen und angesichts ihres Jobs auch die Zeit. «Wir steigerten uns bei jeder Fahrt und fanden Lösungen für unsere Probleme, aber wir hätten sie fortlaufend umsetzen müssen und das war schlicht nicht möglich», räumt Miteigner Philippe Schiller rückblickend ein.
Nach zwei Jahren und vielen Rückschlägen konnte das Team den zeitlichen und finanziellen Aufwand nicht mehr stemmen und das Boot blieb auf dem Trockenen. Trotz seines kurzen Lebens hat der π28 viel zur Forschung und Entwicklung im Segelsport beitragen, allen voran mit seinem Rigg, das mittlerweile sogar patentiert wurde.
Monofoil Gonet
2018 wollte Eric Monnin mit seinem Monofoil Gonet den Beweis erbringen, dass nicht nur Mehrrümpfer mit Highspeed foilen können. Überzeugt, dass die Zukunft der Foiler auch den Einrümpfern gehört, gelang es dem doktorierten Physiker ein Exempel zu statuieren. «Bei unseren ersten Testfahrten sind wir mit bis zu 25 Knoten gefoilt, das Boot war dabei stabil und verhielt sich gut», lautete Monnins damaliges Fazit. «Wieder an Land konnten wir das Boot auf einen Trailer laden und waren eine Stunde später abfahrtbereit. Versuchen Sie das mal mit einem Katamaran der gleichen Grösse, einem M2 zum Beispiel. Man braucht mindestens einen halben Tag oder einen Helikopter.»
Bootsbauer Damien Weiss und Eric Monnin brachten das innovative Boot absichtlich knapp vor den ersten Prototypen des America’s Cups heraus, denn sie wollten zeigen, wie viel Vorsprung sie mit ihrem Foilerjacht-Konzept hatten. «Es ging darum, die Chance zu nutzen und einen medienwirksamen Coup zu landen», so Monnin.
Nach einer lehrreichen ersten Saison und mehreren Rekordversuchen auf dem Genfersee startete der Monofoil optimiert und noch schneller als zuvor ins Jahr 2020.
Eric Monnin ist überzeugt, dass die Zukunft des Foilens den Einrümpfern gehört. Die Gründe liegen für ihn auf der Hand. Logistisch seien Jachten viel einfacher. «Foilerkatamarane wird es weiterhin geben, sie werden aber in der Minderheit sein. Reden wir in zehn Jahren nochmals darüber. Ich gehe aber fest davon aus, dass dieser Bootstyp auf unseren Seen massiv zunehmen wird.» Ob Monnin mit seiner Prophezeiung richtig liegt, wird die Zukunft zeigen.
Die anderen
Speedsegeln in der Schweiz beschränkt sich natürlich nicht auf die genannten Prototypen, aber sie stehen stellvertretend für den Innovationsgeist in unserem Binnenland. Daneben haben weitere Akteure in der Foilingund Speedszene eine tragende Rolle gespielt, so zum Beispiel der Zürcher Michael Aeppli. Er hat das Dynamic Stability System erfunden, mit dem alle Quantboats seit 2009 bestückt sind. Die Quant23 ist ein kleiner, gutmütiger Foiler, in den alle Erkenntnisse aus den Vorgängermodellen geflossen sind und der daher auch rundum gelungen ist. Sie wurde 2016 zur European Yacht of the Year 2016 gekürt und inspirierte Thomas Jundt und Eric Monnin zu ihren Konzepten.
Ebenfalls erwähnt werden muss das Projekt Absolut Wind Rekord von Bertrand Favre, Sébastien Schmidt und Damien Cardenoso. Es sollte Interessierten die Möglichkeit bieten, auf einem futuristischen Hightech-Boot Temporuns zu absolvieren. Leider brachten die drei Initianten das nötige Geld für die zweifellos zukunftsträchtige Idee nicht zusammen.
Natürlich waren da auch noch die Foiler-Moth, die viele Schweizer Segler mit ihrem begeisternden Konzept regelrecht mitgerissen haben. Die Psarofaghis-Cousins konnten in dieser Klasse bereits unzählige Erfolge feiern.
Bei den Multihulls versuchte die Psaros-Werft zusammen mit Christian Favre den preisgünstigen Foilerkatamaran V2 Factory zu lancieren. Dieser wurde zwar nie gebaut, aus dem Entwurf sind aber wichtige technischen Errungenschaften hervorgegangen.
Jüngstes Projekt ist der Syra 18 von Yves Detrey und Nils Frei. Es handelt sich um eine ausgefallene Kombination aus einem Einund einem Mehrrümpfer, die Anfängern das Foilen und Speedsegeln zugänglich machen soll.
All diese Projekte zeigen, dass es ohne Beherztheit und ohne das nötige Geld keine Innovation gibt und in der Schweiz glücklicherweise beides vorhanden ist. Zahlreiche Aspekte haben die Entstehung neuer, internationaler beachteter Boote gefördert. Die nächsten Jahre werden zeigen, wer richtig lag und wer sich verkalkuliert hat. Eines steht aber fest: Das Jahrzehnt 2020–2030 verspricht noch mehr Spannung und neue Rekorde.