Wir hatten schon lange davon geträumt, Pottwalen beim Singen zuzuhören. Während der Überfahrt von Portugal zu den Azoren im Juni 2023 ging unser lang gehegter Wunsch in Erfüllung. Auf den Inseln mitten im Atlantik lernten wir viele spannende Menschen kennen, entdeckten Landschaften von atemberaubender Schönheit, unternahmen Wanderungen um Vulkankrater und bestaunten immer wieder das Spektakel der gegen die Lavaklippen brechenden Wellen. Sowohl die Überfahrt als auch der dreiwöchige Aufenthalt auf den Vulkaninseln Sao Miguel, Santa Maria und Terceira haben uns restlos begeistert.
Text: Elisabeth Thorens-Gaud
Fotos: Bernard Thorens
Als sich ein Wetterfenster auftat, setzten wir vom Kap St. Vincent nach Sao Miguel über. Die Bedingungen schienen ideal: 15 bis 26 Knoten starker Wind aus Nordnordwest und drei bis vier Meter hohe Wellen. Ganz so gemütlich wurde es dann aber nicht. In den ersten Stunden fühlte es sich auf unserem Boot, der Fou de Bassan, an wie in einer Waschmaschine. Wir gewöhnten uns dann aber an die ruppige Fahrt und wurden Seemeile für Seemeile seefester. Unsere Körper passten sich dem Rhythmus des Ozeans an.
Während meiner Nachtwachen hörte ich un- definierbare Stimmen. Sie klangen irgendwie, als würden die Nachbarn lautstark feiern. Was ich anfangs für müdigkeitsbedingte Halluzinationen hielt, war die Art der Fou de Bassan, sich bemerkbar zu machen. Gegen das unangenehme Rumoren half Musik. Besonders gern hörte ich meine Playlist bei Sonnenuntergang, wenn unser Boot langsam übers Wasser glitt. Ein flüchtiger Moment absoluten Glücks, den ich am liebsten für die Ewigkeit festgehalten hätte.
Nachdem wir auf unserer Nussschale sechs Tage die Einsamkeit genossen hatten, mussten wir uns erst wieder an den Trubel an Land ge- wöhnen. Kurz vor Sao Miguel wurden wir von einer Gruppe Schnabelwale begrüsst. Sie setzten der fantastischen Überfahrt die Krone auf und versöhnten uns mit der bevorstehenden Umstellung. Insgesamt haben wir mit durchschnittlich 6,2 Knoten 820 Seemeilen zurückgelegt.
Neue Freundschaften in Sao Miguel
Im Jachthafen von Ponta Delgada fühlten wir uns gut aufgehoben. Unter den Langfahrtsegelnden herrscht eine sympathische Weltenbummler Stimmung und die Hauptstadt der Azoren begeistert mit ihrer gemächlichen Lebensart. Wie schön es doch ist, morgens auf einer Terrasse inmitten von bunt bemalten, teilweise mit Azulejos geschmückten Häusern einen Kaffee zu trinken und dann zum Markt zu schlendern.
Kein Zwischenstopp ohne Reparaturen. Wir blieben über zehn Tage in Sao Miguel und war- teten auf ein Ersatzteil für unsere Rollfock und ein günstiges Wetterfenster, um nach Santa Maria überzusetzen. Der längere Aufenthalt hatte aber auch sein Gutes. Wir knüpften neue Freundschaften mit unseren Stegnachbarn und konnten die atemberaubenden Landschaften der Insel geniessen.
Unser Geheimtipp: Santa Maria
Santa Maria hat uns in ihren Bann gezogen. Wir sind dem Charme der südlichsten Insel der Azoren allein schon wegen ihrer Ursprünglichkeit und der kleinen Marina Vila do Porto verfallen. Beeindruckt hat uns auch die Unterwasserwelt. Bei einer organisierten Tour konnten wir im offenen Meer mit Mantas schwimmen. An Land vertraten wir uns die Beine bei Wanderungen auf den Klippen, unter denen das Wasser türkisfarben leuchtet und auf denen man so weit in die Ferne blicken kann, dass die Krümmumg des Horizonts sichtbar wird. Wir badeten mitten im Wald und spazierten um den kreisrunden Krater des Pico Alto, der höchsten Erhebung der Insel. Dass der Ausflug im Schlamm endete, nahmen wir mit Gelassenheit. Wir hatten das grosse Glück, dass wir im Juli auf der Insel weilten, dann findet nämlich im Küstendorf Anjo jeweils das Blues Festival unter den Sternen statt. Da es auf den Azoren nur sehr wenige sichere Liegeplätze gibt, ankerten wir nur ein einziges Mal über Nacht, nämlich vor Santa Maria in Sao Lourenço.
Gesprächige Welt der Stille
Als wir unter Motor zwischen Santa Maria und Terceira unterwegs wa- ren, tauchten steuerbordseitig in rund fünfzehn Metern Entfernung drei anthrazitfarbene Buckel auf. Wale in Ruhestellung! Als einer von ihnen lautstark ausatmete und dabei eine weisse Wasserfontäne schräg in die Luft blies, wussten wir mit Sicherheit: Wir hatten es mit Pottwalen zu tun. Als sie uns bemerkten, setzten sie sich langsam in Bewegung. Wir wollten sie nicht stören und schalteten den Motor aus. Vorsichtig hielten wir das Hydrophon ins Wasser. Und siehe da: Wie von Zauberhand begann die Welt der Stille zu sprechen. Beim ersten Klicklaut* durchlief mich ein Schauer. Es folgten weitere. Ein aufwühlendes Erlebnis!
Unser Azoren-Trip ging im Hafen von Angra do Heroismo auf Terceira zu Ende. Die Stadt wurde aufgrund des architektonischen Reichtums ins UNESCO-Weltkulturerbe aufgenommen. Wir hatten das Glück, dass wir während der «Festa Branca» dort waren und uns mit der ganz in Weiss gekleideten Menschenmasse bei volkstümlicher Musik durch die Strassen treiben lassen konnten. Erfüllt von der Energie der vulkanischen Inseln stachen wir Ende Juli etwas wehmütig wieder in See und nahmen Kurs auf A Coruña und anschliessend auf die Bretagne, bevor uns die Schlechtwetterfront einholte.
Eins aber wissen wir: Wir waren garantiert nicht das letzte Mal auf den Azoren
*Die Klicks breiten sich im Wasser aus und bilden den sogenannten Walgesang. Jeder Pottwal-Clan soll eine eigene Sprache in Form von unterschiedlichen Frequenzen erzeugen.