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Überführung von La Grande Motte nach Ibiza Gunboat 72: rundum perfekt

by Quentin Mayerat

Text: Quentin Mayerat Fotos: Gilles Martin-Raget

Wo könnte man einen Performance-Cruiser besser auf Herz und Nieren prüfen als auf einer Überfahrt? Genau das haben wir mit dem Gunboat 72 getan. Auf den ersten Blick bricht er mit seinen Vorgängermodellen, erweist sich dann aber als genauso schnell und bietet dazu unerreichten Luxus und Komfort.

Die seit 2017 in La Grande Motte in kleinen Serien hergestellten Gunboat-Katamarane segeln in einer eigenen Welt. Sie sind ein HightechKonzentrat, bei dem fast obsessiv Gewicht eingespart wird, ohne auf Opulenz zu verzichten. Die ersten Bilder des Gunboat 72 haben viele Fragen aufgeworfen. Besonders stutzig machte die Flybridge. Musste sie als Zugeständnis an mehr Komfort und weniger Tempo gewertet werden? Kaum sind wir an Bord, um die Baunummer 1 über den Atlantik zu führen, wird uns klar, dass wir mit dieser Einschätzung komplett falsch liegen.

Nach der Hafenausfahrt hissen wir die 170 Quadratmeter des Grosssegels und rollen die 115 Quadratmeter des J1 aus. Wir segeln raumschots bei leichtem Wind. Welcher andere Fahrtenkatamaran würde bei diesen Voraussetzungen Windgeschwindigkeit – oder zumindest fast – erreichen? Das kann nur ein Gunboat! Unser Kat schafft bei 10 Knoten Wind spielerisch leicht 9,5 Knoten, bei 8 Knoten 7,5 Knoten und bei 6 Knoten immer noch 5,5 Knoten. Die Leistung dieser imposanten Maschine macht sprachlos. VPLP hat mit dem Design der Rümpfe und der Flybrigde ganze Arbeit geleistet. Der Kat gleitet leicht und mühelos durchs Wasser und segelt mit durchschnittlich 8 bis 12 Knoten rasant seinem Ziel entgegen.

Einfach und sicher

Der Wind legt zu und wir setzen das A3. Es ist das momentan grösste Segel auf dem Boot. Dank der stattlichen 270 Quadratmeter Fläche können wir das Tempo problemlos halten und schaffen 55 Grad zum scheinbaren Wind. Nicht schlecht für ein Vorwindsegel! Als der Wind wieder einschläft, werfen wir die beiden 140-PS-Motoren von Nanni an. Auch jetzt sind wir noch immer mit 9 bis 10 Knoten unterwegs.

Bei hereinbrechender Nacht frischt der Wind wieder auf 18 Knoten auf. Die Wellenberge werden allmählich höher, trotzdem setzt der Kat seine Route mit 12 bis 13 Knoten konsequent fort, ohne dass man das Gefühl hat, das Rigg überzustrapazieren. Am Steuerstand auf der Flybridge fühlt man sich angenehm sicher, das Steuern selbst ist relativ unkompliziert. Bei der mittig positionierten Kommandozentrale laufen vier Elektrowinschen zusammen – auf einigen GB68 sind sie hydraulisch. So können alle Manöver relativ einfach vor dem Steuerstand durchgeführt werden. Auf komplexe oder extreme Elemente wurde mit einer Ausnahme verzichtet: Um das Grosssegel des 29 Meter hohen Mastes zu setzen oder zu bergen, muss man auf den Baum klettern.

Werftphilosophie eingehalten

Was das Gunboat 72 so schnell macht, ist also in erster Linie sein Fliegengewicht. 32 Tonnen bringt es bei voller Last auf die Waage, was angesichts seiner Grösse tatsächlich sehr wenig ist. Das Konstruktionsbüro hatte vor dem Bau des Grundgerüsts noch mit 33 Tonnen gerechnet! Wie aber ist dieses Kunststück gelungen, schliesslich wiegen Fahrtenkats dieser Grössenklasse 45 Tonnen und mehr? Mit Kohlefaserelementen natürlich, die im Infusionsverfahren hergestellt werden. Die Schotten bestehen aus Carbon-Prepregs und auch bei den Möbeln wird viel Gewicht eingespart.
Egal, ob mit oder ohne Flybridge, die Leistung stimmt. Bei einer Testfahrt mit Gunboat-Berater Loïck Peyron vor St. Tropez soll der Katamaran bei ruhigem Wasser und 20 Knoten Wind unter J2 und Grosssegel 120 Grad zum wahren Wind gesegelt sein. Hinzu kommt, dass diese Neuinterpretation völlig neue Möglichkeiten der Raumnutzung schafft und für ein noch besseres Lebensgefühl sorgt.

Bereit für die grosse Fahrt

Wir lassen unseren Katamaran ruhig in Richtung Ibiza gleiten. Der Hercules-Pilot von B&G kümmert sich um den Rest. Ein Deck weiter unten geniessen wir den Salon und das Cockpit, die durch eine vollständig versenkbare Glasscheibe zu einem riesigen Raum verschmelzen. Im aufgeräumten, gut vor Wind, Sonne und Wasser geschützten Cockpit liegt kein Seil im Weg. Dank Flybridge können die Räume klar voneinander getrennt werden. Während das «Obergeschoss» der Navigation dient, bildet das «Erdgeschoss» die Wohnfläche. Die Rundumverglasung des Salons ermöglicht einerseits eine wunderbare Panoramasicht und sorgt andererseits dafür, dass man den Kurs des Schiffs stets im Blick behalten kann. Im Bugbereich befindet sich ein in Fahrtrichtung orientierter Kartentisch. Äusserst praktisch sind auch die grosse, mittig angelegte Insel und die grosszügige Arbeitsfläche auf Steuerbordseite, wo alle Haushalts- und Elektrogeräte untergebracht sind. Zwei Wasserentsalzungsanlagen können je bis zu 200 Liter Süsswasser pro Stunde produzieren, sodass die Besatzung autonom bleibt. Auf einem so komplett ausgestatteten Boot, auf dem nicht einmal eine reversible Klimaanlage fehlt, spielt die Energie eine zentrale Rolle. Der Kat kommt daher auch nicht ohne Generator aus. Dieser verbraucht rund 5 Liter Treibstoff pro Stunde und muss zum Aufladen der Batterien etwa 3 Stunden pro Tag laufen, wenn alle Elektrogeräte genutzt werden.

Unter Deck bietet der Kat neben einer feudalen Eignersuite drei Gästekabinen mit Nasszelle, eine davon verfügt über einen eigenen Zugang durch das Cockpit. Die Crew ist auf Backbordseite im Bug untergebracht. Dort befindet sich neben einer Doppelkoje auch ein kleiner Technikraum. An Komfort mangelt es an Bord nirgends. Sehr geschätzt haben wir die Wachkoje im Salon. Sie ist leicht erhöht, sodass man liegend gut durchs Fenster sieht und so die Route stets im Auge behalten kann.
Die französische Werft hat mit ihrem Konzept den Zeitgeist getroffen. Mit der Entscheidung, mehr Komfort und mehr Wohnraum zu bieten, positioniert sie das Gunboat 72 in der Kategorie der Langfahrtenboote. Je nach Wünschen der Eigner könnte das ein oder andere bei den nächsten Einheiten noch verbessert werden, viel Optimierungsbedarf gibt es aber nicht. Denkbar wären Solarpanels zur zusätzlichen Energieerzeugung, wobei sie aufgrund der Flybridge nicht ganz einfach anzubringen wären. Oder ein Hydrierungssystem, zumal der Kat sehr schnell unterwegs ist.
Fazit: Das Gunboat 72 vereint alle Eigenschaften eines luxuriösen Performance-Cruisers. Es verhält sich sowohl bei Leicht- als auch bei Starkwind bestens und gleicht in Sachen Ausstattung und Raumangebot einem kleinen Haus. Die hohe Bauqualität und die starke Leistung haben natürlich auch ihren Preis – im achtstelligen Bereich –, aber träumen ist schliesslich erlaubt und bekanntlich gratis!

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