Fotos : ©zVg
Weltumsegler wird man nicht zufällig. Meist spielt man jahrelang mit dem Gedanken, lässt die Idee reifen und wagt erst dann den Sprung. So ist es auch Anneliese und Manfred Stoll ergangen. Das deutsche Ehepaar kreuzt seit bald fünf Jahren auf einer Amel 64 über die Weltmeere.
Die Reiselust spielt bei ihrer 45-jährigen Liebe eine wichtige Rolle. Ihre erste Expedition auf dem Wasser machten sie in den 1970er- Jahren mit einem Ruderboot. Getragen vom jugendlichen Ungestüm paddelten die beiden Verliebten auf der Donau von Westdeutschland nach Budapest. Ein unkonventionelles Projekt, das auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs bei manch einem Soldaten für staunende Blicke sorgte. Ein paar Jahre später wagten sie ihren ersten Segeltörn. Sie fuhren auf dem gleichen Fluss bis ans Schwarze Meer. „Wir sind gerne auf dem Wasser unterwegs“, erklärt Manfred. „Für mich war das ein Kindertraum. Ich wollte schon immer die beiden grossen Flüsse Europas, den Rhein und die Donau, befahren. Meine Frau hatte zwar nie davon geträumt, machte aber mit.“ Anneliese schmunzelt. „Ich war sehr neugierig und viel zu dumm, um nein zu sagen“, sagt sie rückblickend.
Vor 32 Jahren ist das Paar in die Schweiz gezogen und hat sich im Grossraum Zürich niedergelassen. Zunächst segelten sie auf dem Genfersee, danach auf dem Bodensee, nahmen an einigen Regatten teil und kauften sich 1990 ihre erste Amel, eine Kirk aus den 1970er-Jahren. Sie verkörperten das Idealbild der Schweizer Freizeitsegler: Im Sommer unternahmen sie Törns auf dem Mittelmeer und während des restlichen Jahres kreuzten sie auf den Seen. Beruflich und familiär stark eingebunden fehlte es ihnen an der nötigen Zeit für grössere Projekte. Sie arbeiteten hart, träumten dabei aber von fernen Destinationen. Dann war es eines Tages soweit: Sie wurden pensioniert und die Kinder hatten das Nest schon lange verlassen. Plötzlich hatten sie freie Bahn.
„Schatz, wir verkaufen das Haus“
Wie die Helvetier zu Römerzeiten machten die Scholls mit ihren eigenen vier Wänden kurzen Prozess, bevor sie loszogen, mit einem kleinen, aber entscheidenden Unterschied: Heute verkauft man das Haus und brennt es nicht mehr nieder. „Unsere Kinder waren ausgezogen und wir planten eine mehrjährige Reise. Wir brauchten unser Haus schlicht und einfach nicht mehr“, sagt die reiselustige Anneliese. Auch Manfreds Fernweh war kaum zu stillen. „Ich hatte schon immer von einer Weltreise geträumt. Das Reisefieber hatte mich gepackt und liess mich nicht mehr los. Ich habe so ziemlich alle Bücher zum Thema gelesen, natürlich auch Moitessier.“ 2010 war es soweit. Voller Vorfreude kauften sie ihr schwimmendes Zuhause. Sie hätten sich in ihre Amel 64 verliebt, erzählt Manfred. „Das trockene Cockpit, die Sicherheit, der Komfort und natürlich die Ketsch-Optik hatten es uns angetan.“ Die beiden Weltenbummler nutzten das Jahr 2011, um sich mit ihrem Boot vertraut zu machen und lichteten mit ihrer Tulasi 2012 den Anker.
Neue Welten
„Wir hatten anfangs nicht viel Erfahrung im Hochseesegeln und mussten alles aus dem Stegreif lernen“, erinnert sich Manfred an ihre erste Zeit auf dem Meer. In den ersten vier Monaten war noch ein befreundetes Paar mit an Bord, so konnten sie sich die Arbeit teilen. Anneliese lacht. „Aus meiner Sicht waren sie mutig, dass sie sich mit uns aufs Boot gewagt haben.“ Gestartet wurde in Südfrankreich, danach ging es bis in die Karibik, die sie erst Anfang 2014 wieder verliessen. Dazwischen lag allerdings noch ein sechsmonatiger Aufenthalt in Kanada und in den USA. Anschliessend zogen sie weiter nach Panama, machten auf den Galapagos halt und segelten auf dem Kurs des Transpacific Yacht Race zu den Marquesas-Inseln.
17 Tage und 3000 Seemeilen später – ihre längste Strecke – fiel ihr Fazit komplett gegensätzlich aus: „Nach zwei Tagen auf dem Meer entspannt sich der Körper und der Geist kommt im Kontakt mit dem Ozean, der Nacht und der Sonne zur Ruhe. Ich hätte doppelt so lang segeln können, ohne an Land zu gehen“, schwärmt Manfred. Die quirlige, dynamische Anneliese erlebte den Trip nicht ganz so positiv: „Ich bin gern unterwegs, bewege mich und entdecke Neues. Die lange Überfahrt hat mich gelangweilt.“
Abgesehen von dieser unterschiedlichen Wahrnehmung sind sich die beiden einig, dass sie auf diesem Trip viel gelernt haben. Auf den kleinen ozeanischen Inselgruppen wie Fidschi, Vanuatu und Neukaledonien hielten sie sich besonders lange auf und erlebten dort eine komplett neue Welt. Sie machten Bekanntschaft mit Einheimischen, deren Sitten und Lebensweise nichts mit der westlichen Kultur gemeinsam haben. Noch immer beeindruckt erzählt Manfred: „Wir kamen mit unserer komfortablen Hightech-Jacht an Orte, an denen Fischer ihre Boote noch wie vor 200 Jahren bauen. Einmal hat mich einer gefragt, ob ich mein Schiff selbst gebaut hätte. Er hatte bestimmt noch nie etwas Vergleichbares gesehen. Trotzdem hatte ich ein schlechtes Gewissen. An Bord haben wir alles, sogar eine Waschmaschine, während sie auf alles verzichten müssen. Es gibt da praktisch keine Infrastruktur, kein Gesundheits- und auch kein Bildungssystem. Aber sie können damit umgehen, leben einfach anders als wir und brauchen unseren Komfort nicht, um glücklich zu sein. Im Zentrum steht die Familie oder die Sippe und nicht der Einzelne.“ Um diese Erfahrungen reicher sieht Manfred heute vieles mit anderen Augen.
Nach einem weiteren sechsmonatigen Zwischenstopp, diesmal in Neuseeland, segelte das Paar bei gutem Wind und wenig Wellen die australische Ostküste bis zum grossen Barriereriff hoch. Laut Manfred eine ihrer schönsten Routen. Weiter ging es nach Indonesien, zu den Weihnachtsinseln und den Kokosinseln bis nach Mauritius, La Reunion und Südafrika, wo sie sechs Wochen blieben. „Viel zu kurz“, wirft Anneliese ein. Danach überquerten sie den Atlantik ein weiteres Mal in Richtung Brasilien, bevor sie erneut die Karibik ansteuerten. Dort geniessen sie gerade die letzten Monate ihrer Reise. Im kommenden Mai soll es zurück nach Hause gehen. Allen, die noch zögern, sich auf ein solches Abenteuer einzulassen, empfehlen Manfred und Anneliese wärmstens, nicht länger zu warten. „Startet jetzt, ihr werdet enorm viel erleben!“