Das neue Aushängeschild der Genfer Kreuzfahrtgesellschaft verfügt über die modernsten Umwelttechnologien. Wir haben den innovativen Luxusliner in Saint-Nazaire, wo er den letzten Schliff erhält, besichtigt.
Text: Grégoire Surdez
Die Baustelle ist gigantisch, so gross wie eine Kleinstadt. Und auch der Luxusliner hat kolossale Ausmasse. Er gleicht eher einem Feriendorf als einem Schiff. In Saint-Nazaire an der französischen Atlantikküste spielt die Musik im Hafen. Die Docks erinnern an eine Zeit, in der hier die verrücktesten Träume der Reeder Gestalt annahmen. Durch labyrinthartige Gassen, vorbei an meterhoch gestapeltem Material, führt der Weg zum Trockendock, wo das neueste Flaggschiff der Genfer MSC-Gruppe thront. Am Fuss des 333,3 Meter langen, 47 Meter breiten und 68 Meter hohen Monstrums empfängt ein Team der im Transport-, Fähr- und Kreuzfahrtgeschäft tätigen Reederei rund hundert Medienschaffende aus Europa zu einer Besichtigung der praktisch fertiggestellten MSC World Europa.
Ambitionierte Ziele
Vor dem Propeller einer der als revolutionär angekündigten, umweltschonenden Motoren fühlt man sich winzig klein. Die MSC World Europa wird als erstes Kreuzfahrtschiff der Welt mit Flüssigerdgas, kurz LNG, angetrieben. In unserer sich immer schneller erwärmenden Welt wird oft mit dem Finger auf die Giganten der Tourismusindustrie und der Schifffah gezeigt. Sie werden aber nicht nur gern angeprangert, sondern bieten oft auch als erste Lösungsansätze an. MSC hat sich für seine Kreuzfahrtsparte ehrgeizige Ziele gesetzt. Der Konzern will seine CO2-Bilanz bis 2050 auf netto null senken.
Am 22. Juni bekräftigte Pierfrancesco Vago, Executive Chairman von MSC Cruises, die ambitionierten Umweltmassnahmen der Reederei. Die seien auch in der zweijährigen, mit vielen Problemen verbundenen Pandemie nicht auf Eis gelegt worden. «Trotz der schwierigen Situation ist Nachhaltigkeit ein zentrales Anliegen geblieben», beteuerte er. «Heute wissen wir besser denn je, wie lebenswichtig unsere Umwelt und ein gesunder, nachhaltiger Planet sind. Wir sind fest entschlossen, unser langfristiges Ziel, bis 2050 emissionsfreie Kreuzfahrten anzubieten, zu erreichen. Wir sind auf gutem Weg.»
Rutschbahn über elf Decks
Der Rundgang führt in den Schoss des Hünen. Im Herbst soll er in Dubai zu seiner Jungfernfahrt aufbrechen, derzeit geht es dort aber noch zu wie in einem Ameisenhaufen. Die MSC World Europa steht kurz vor der Fertigstellung. Hunderte von Berufsgruppen arbeiten hier neben- und miteinander. Es wird geschliffen und geschrubbt, es werden Kabel gezogen, Holzplatten verleimt und Möbel ausgepackt. Dass die 2626 Kabinen für bis zu 6772 Gäste in weniger als vier Monaten bezugsbereit sind, ist momentan noch schwer vorstellbar. An Bord fehlt es an nichts. Sieben Schwimmbäder und 13 Whirlpools, ein Wasserpark mit Rutschen, ein Veranstaltungssaal mit 1200 Plätzen, 13 Restaurants, Kasinos und eine über 100 Meter lange Promenade mit Geschäften und Bars sorgen für jede Menge Spass. Ein ganz besonderes Highlight ist die Wendelrutsche The Venom Drop @ The Spiral. Sie ist 77 Meter lang und erstreckt sich über unglaubliche elf Decks. Damit landen die schwindelfreien Gäste, egal, ob gross oder klein, direkt in der effektvoll beleuchteten Promenade.
Umweltschonendere Kreuzfahrten
Die Besichtigung der Decks macht klar: Eine Kreuzfahrt soll auch heute noch unterhalten und Träume erfüllen. Die Passagiere wollen ferne Regionen entdecken, umso exotischer, desto besser. Geändert hat sich hingegen ihre Einstellung. Sie wollen sich ihren Wunsch nicht mehr um jeden Preis erfüllen. Wie Studien zeigen, hat Umweltschutz heute auch für die Gäste der schwimmenden Paläste oberste Priorität. Mithilfe konkreter Massnahmen konnte die Umweltbelastung seit 2017 bereits reduziert werden. Auf bestimmten Strecken wurde die Geschwindigkeit um zwei Knoten gedrosselt, sieben Schiffe wurden so umgebaut, dass sie im Hafen ohne laufenden Motor mit Landstrom funktionieren, und das Ballastwasser wird gefiltert. Der wohl wichtigste Meilenstein auf dem Weg zum Netto-Null-Ziel ist aber wohl die Erweiterung der Flotte von MSC Cruises mit drei Kreuzfahrtschiffen, die mit dem derzeit saubersten Schiffskraftstoff LNG betrieben werden.
Flüssigerdgas ist zwar kein Allheilmittel, senkt aber immerhin den Ausstoss umweltschädlicher Gase. Laut einem im Juni veröffentlichten Bericht von MSC können mit LNG fast alle schädlichen Luftemissionen wie Schwefeloxide und bis zu 85 Prozent der Stickoxide eliminiert werden. Da auch die CO2-Emissionen um 25 Prozent gesenkt werden, spielt der Treibstoff zudem eine Schlüsselrolle bei der Eindämmung des Klimawandels und ebnet den Weg für die Nutzung nichtfossiler Energien wie grünem Wasserstoff.
Pierfrancesco Vago stellt jedoch klar, dass die gesamte Schifffahrt- und Tourismusbranche gefordert ist: «Wir sind darauf angewiesen, dass sich die Regierungen und andere Behörden und Private mit uns engagieren, zum Beispiel, indem in den Häfen geeignete Infrastrukturen bereitgestellt werden und grüner Treibstoff für unsere Schiffe möglichst überall auf der Welt verfügbar ist. Allein schaffen wir das nicht.»
Die Baustelle zur Erreichung des Netto-Null-Ziels im Jahr 2050 ist noch imposanter als die, in der die MSC World Europa ihren letzten Schliff erhält.