Thomas Coville bestritt den Genferseeklassiker als Pate der Bol d’Or Mirabaud 2023 an Bord des Ylliam XII – Comptoir Immobilier. Der atypische, inspirierende Rekordhalter der Einhand-Weltumsegelung von 2016 stand uns am Vorabend des Rennens, das er nach 19 Stunden und 41 Minuten als 14. beendete, Rede und Antwort

Interview : Vincent Gillioz

Sie waren als Pate an der 84. Ausgabe der Bol d’Or Mirabaud dabei. Worin genau bestand Ihre Rolle und wie haben Sie den Event erlebt?

Es war natürlich eine Ehre, die Patenschaft dieser legendären Genferseeregattta zu übernehmen. Als mir diese Rolle angeboten wurde, war ich sofort Feuer und Flamme, wollte aber nicht bloss Dekoration sein, sondern dem Klassiker alle Ehre machen. Da Thierry Briend mein Sodebo Ultim-Team leitet und an Bord des Ylliam XII – Comptoir Immobilier segelte, bot er mir an, sich
ihm anzuschliessen. Ich habe zugesagt, weil ich neugierig bin, immer gerne neue Seglerinnen Seetaufe für THOMAS COVILLEund Segler kennenlerne und Spass haben möchte. Die TF35 interessieren mich sowohl in technischer als auch in sportlicher Hinsicht. Wenn man auf einem solchen Boot segelt, verlässt man seine Komfortzone und lernt dazu. Ich habe im Hinblick auf die Bol d’Or an mehreren Trainings und an der Genève-Rolle-Genève teilgenommen, die wir gewonnen haben. Das Revier ist fantastisch, eine Welt zwischen Seen und Bergen. Die Umgebung wirkt ungemein inspirierend und gefällt mir sehr.

@ Yves Rincky – DIE DIESJÄHRIGE BOL D’OR MIRABAUD BESTRITT THOMAS COVILLE AUF DEM TF35 YLLIAM XII – COMPTOIR IMMOBILIER

Der TF35 ist ein sehr anspruchsvolles Boot. Wie schafft man es, sich in einem Team zu integrieren, wenn man nicht von Anfang an beim Training dabei war?

Das ist ein etwas heikles Thema. Ich ersetze Sandro Lacan. Er wäre garantiert besser gewesen als ich. Die für eine solche Maschine erforderliche Koordination eignet man sich in monatelanger Arbeit an. Ich habe daher klar nicht das gleiche Niveau wie meine Mitstreiter, kann mich dank meiner Erfahrung aber anderweitig einbringen. Nach dem zehntägigen Training komme ich relativ gut zurecht. Das Team ist homogen und da ich mit den meisten Jungs schon gesegelt bin, habe ich mich schnell integriert. Alexis Rochat, den ich erst auf dem Schiff kennengelernt habe, ist immer sofort zur Stelle, um meine Fehler auszubügeln. Ich muss ein Boot nicht unbedingt steuern, um aufzublühen. Ich weiss, dass ich besser bin, wenn ich eine Gruppe und einen Leader unterstützen kann. Diese Erfahrung ist für mich daher sehr bereichernd.

Sie haben vorher Ihre Faszination für die Berge erwähnt. Welchen Bezug haben Sie zu ihnen?

Die Berge lösen bei mir die gleichen Emotionen aus wie das Südpolarmeer. Es ist der einzige Ort auf der Erde, an dem ich gleich fühle wie auf dem Meer. Beide Umgebungen funktionieren bei mir ähnlich: Eine Emotion löst ein Gefühl aus, auf das ein technischer Handgriff folgt. Diese mentale Dominoeffekt ist tief in mir verankert. Es ist die Natur, die uns beobachtet und nicht umgekehrt. Ich werde eins mit ihr.Da ich nicht über das nötige Niveau verfüge, um allein zu klettern oder bergzusteigen, ziehe ich nie ohne meinen Freund, den Bergführer Yvan Raymond, los. Er ist eine Art Buddha für mich. Ich habe mit ihm die Aiguille Verte, die Dent du Géant und mehrere andere Klassiker in Chamonix bestiegen. Eigentlich strebe ich nicht danach, bekannte outen zu klettern. Wenn ich mit Yvan in die Berge gehe, entscheiden wir abhängig vom Wetter und passen uns den Gegebenheiten an.

Kommen wir auf Ihre Karriere zurück. Sie haben fünf Anläufe gebraucht, um den Rekord für die Solo-Weltumrundung zu brechen. Wie schafft man es, bei so vielen Rückschlägen nicht aufzugeben?

Ich habe mit Jacques Gamblin ein Theaterstück über Zweifel geschrieben. Was geht im Kopf eines Athleten vor, wenn er den Durchbruch nicht schafft und sogar sein engstes Umfeld an ihm zweifelt? Genau darum geht es. Für mich ist Beharrlichkeit eine Möglichkeit, um an mir selbst zu wachsen, den Angehörigen zu zeigen, dass ich ein besserer Mensch bin. Sie bietet mir die Chance, mich weiterzuentwickeln und herauszufinden, wer ich bin, wenn ich in Schwierigkeiten stecke und an meine Grenzen stosse. Im Südpolarmeer bin ich wirklich ich selbst, ohne Wenn und Aber. Wenn man dort scheitert, kehrt man zurück und versucht es erneut. Man wird zu dem, was uns tief in uns drinnen ausmacht. Zu einer Person, die nicht innehält, bis sie zum schnellsten Menschen geworden ist, der die Welt allein umsegelt hat. Und wenn es gelingt, wenn man gewinnt, wird man während einiger Sekunden so von Emotionen überwältigt, dass alle Mühen vergessen sind. Einfach weggewischt, wie auf einer Zaubertafel! Dahinter steckt kein falscher Egoismus. Das eigene Ego würde schnell von Schwierigkeiten oder Niederlagen überrollt werden. Es geht wirklich darum, herauszufinden, wer man ist. Ich glaube, dass man einen Athleten weniger an seinen Erfolgen erkennt, als daran, wie er es schafft neu durchzustarten.

@ Vincent Curutche – SODEBO ULTIM 3, DER LETZTE VON THOMAS COVILLE IM JAHR 2019 EINGEWASSERTE TRIMARAN.
SEINE BESONDERHEIT: EIN COCKPIT VOR DEM MASTFUSS

Ihre Bestzeit hielt nicht lange. François Gabart unterbot sie bereits im Jahr darauf. Hat ein Rekord einen höheren Stellenwert, wenn er lange ungeschlagen bleibt?

Nein, das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Dieser Rekord war für mich eine Selbstreflexion, er hat mir geholfen, besser zu werden und zu wachsen. Zudem ist ein Rekord da, um gebrochen zu werden. Wenn es soweit ist, gehört er uns nicht mehr. Grossen Leadern ist es egal, ob sie eine Spur hinterlassen oder nicht. Darum geht es nicht. Wichtig ist, dass ich etwas zu Ende gebracht habe. Ich habe nie gehofft, dass die Bestzeit bestehen bleibt.

@ Vincent Curutchet – BISHER IST THOMAS COVILLES ULTIM NOCH BEI KEINER WELTUMSEGELUNG INS ZIEL GEKOMMEN. AN DER LETZTEN ROUTE DU RHUM WURDE ER DRITTER.

Sie haben die Schweiz als «kleines Neuseeland» bezeichnet. Warum?

Ich habe Neuseeland als junger Ingenieur kennengelernt und viel Zeit dort verbracht. Zwischen den beiden Ländern gibt es viele Ähnlichkeiten. Zunächst einmal ist die Bevölkerung etwa gleich gross. Dann segelt ihr zwischen See und Bergen, sie zwischen Meer und Bergen. Ihr habt die schönsten Segelreviere der Welt. Es gibt noch andere, schwieriger zu erklärende Gemeinsamkeiten: das Flair für Technik und Innovation, die Gewissenhaftigkeit.
Und wie Neuseeland verfügt auch die Schweiz über einen Pool von Seglerinnen und Seglern mit weltweiter Strahlkraft.