Marion Rissi und Stefan Hess haben den ganzen Sommer auf ihrem selbstgebauten kleinen Jollenkreuzer in Sardinien und Korsika verbracht. Trotz oder vielleicht gerade wegen des winzigen Bootes hat ihnen dieses Sabbatical enorm Spass gemacht.

Text : Walter Rudin

Fotos : Stefan Hess und Marion Rissi

Wer ein Boot ohne besondere Kenntnisse selber bauen will, besorgt sich einen Entwurf aus der Backyard-Boatbuilding-Szene. Der Berner Stefan Hess liess sich vom Pathfinder des neuseeländischen Designers John Welsford begeistern. Bei diesem Bootstyp handelt es sich um einen 17 Fuss langen Küstensegler aus Epoxy-verleimtem Sperrholz mit sehr wenig Tiefgang, nur eine halbe Tonne schwer, mit Gaffelrigg und aufholbarem Schwert. Die Pläne waren schnell bestellt, ein Freund fräste den Bausatz aus und der Bootsbau konnte beginnen.

KREUZEN IN DER EINFAHRT VON OLBIA

Drei Jahre Vorbereitung

Anderthalb Jahre und rund 800 Stunden Fronarbeit später fand im Frühling 2020 die Jungfern- fahrt der Petite Hirondelle auf dem Thunersee statt. Damit waren die Arbeiten aber keineswegs abgeschlossen. Anhand der Erfahrungen der ersten Törns und Ferien auf dem Boot wurde die Ausstattung auf die besonderen Bedürfnisse angepasst. Persenning und Sonnenzelt fertigte man selber, Innen und Aussen gab es ein Korkdeck, die Zugänge zum Stauraum wurden nach oben verlegt und der Kocher kam in die Backskiste. Um etwas mehr Speed zu generieren, brauchte es Genua und Gennaker – alles selfmade, zuerst gezeichnet, dann genäht. Rund 800 zusätzliche Stunden Freizeit wurden dafür in den letzten zwei Jahren investiert. Zur Belohnung wollten sich die beiden Mittdreissiger ein Sabbatical auf ihrer Petite Hirondelle in Sardinien und Korsika gönnen.

Anfang Mai ging es los. Autozug und Fähre brachten Boot und Eignerpaar nach Sardinien. Die ersten Schläge entlang der sardischen Ostküste fühlten sich gut an. Die Petite Hirondelle lag extrem stabil im Wasser und auch bei ruppigen Bedingungen gelangte sehr wenig Spritzwasser ins Schiff. Da für das Paar mit ausgewiesener Hochseeerfahrung «Safety first» gilt, segelten sie nur bei Wind bis maximal 25 Knoten und Wellen bis 1,5 Metern. Wenn die Bedingungen nicht stimmten, suchten sie Schutz in einer Bucht oder einem Hafen.

GENNAKERSEGELN UND GLEICHZEITIGES LADEN DES MOTOREN-AKKUS

Weniger ist mehr

Kann man fünf Monate auf einem nur fünf Meter langen, offenen Segelboot ohne richtige Kajüte leben? Wunderbar, sagt Marion: «Wir sind es gewohnt, draussen zu sein, zu zelten und unser Gepäck auf ein Minimum zu reduzieren, das heisst alles Nötige, aber so wenig wie möglich mitzunehmen.» Zu den nötigen Utensilien gehört das Solarpanel. Es dient primär zum Laden des Akkus des Elektromotors und des Battery-Packs. Einen Kühlschrank gibt es nicht. «Wir essen auf dem Schiff kein Fleisch und keine frischen Milchprodukte. Früchte und Gemüse sind auch im Sommer erstaunlich gut haltbar und wir konnten uns während unserer Auszeit abwechslungsreich ernähren», sagt Stefan.

Geschlafen wird meist im Heckbereich des Cockpits. Die Bodenbretter lassen sich hier auf Sitzhöhe anheben und so entsteht ein schönes breites Bett, auf dem man nachts den Sternenhimmel bewundern kann. «Natürlich muss man sich auf so einem kleinen Boot einschränken. Ab und zu eine Süsswasserdusche oder ein Bett, das nicht immer weggeräumt werden muss, wären schon schön», räumt Stefan ein, «aber man freut sich umso mehr über ein kaltes Bier, das man auf einem Nachbarschiff erhält.»

Rund 800 Seemeilen legten Marion und Stefan in diesen gut 20 Wochen unter Segeln zurück, zuerst in den Küstengewässern vor Sardinien, Mitte Juli dann in Korsika. Dort mussten sie bei Porto Vecchio in einer Flussmündung vor dem Mistral Schutz suchen. Danach ging es in einem 26-stündigen Schlag die rund 60 Seemeilen bis zum Golf von Ajaccio. Hier zog es den Umweltingenieur und die studierte Agronomin auch mal ins Landesinnere, wo sie die abwechslungsreiche korsische Landschaft erkundeten.

Highlight Corsica Classic

Die Petite Hirondelle ist zwar nicht alt, hat aber klassische Linien. Wieso also nicht mit all den traditionellen Schönheiten an der Corsica Classic mitsegeln? Eine tolle Idee, fanden die beiden, mussten dann allerdings feststellen, dass der administrative Aufwand mit Vermessung des Schiffes und Versicherungen zu gross war. Die Regattaleitung bot aber an, die Petite Hirondelle als Organisationsschiff und die Crew als Volontäre in die Regatta zu integrieren. Obwohl die beiden nicht wussten, was sie da erwartet, zögerten sie nicht lange und sagten zu.

Mit Schweizer Pünktlichkeit traf die Petite Hirondelle bereits zwei Tage vor dem Start in Ajaccio ein, wurde herzlich empfangen und die Crew direkt zum Verteilen der Give-aways und beim Einschreiben der Teilnehmenden eingespannt. Ein buntes Gemisch aus Nationen und Sprachen, Regattaseglern und segelnden Artisten versammelte sich in Ajaccio – und mittendrin die Schweizer mit ihrem kleinen Schiff. Ihre Anwesenheit blieb nicht unbemerkt. «Immer gab es tolle Begegnungen und Gespräche mit spannenden Menschen. Im Lauf der Woche ist eine grosse, bunte Familie entstanden und alle unterhielten sich auf Augenhöhe. Was gibt es Schöneres?», schwärmt Marion.

Beim Abschlussdinner mit Preisverleihung wurde der Petite Hirondelle und ihrer Crew sogar der Ehrenpreis des Französischen Jachtclubs verliehen. Begründet wurde die Auszeichnung damit, dass die Petite Hirondelle als kleinstes Schiff, das je an einer Corsica Classic dabei war, die gesamte Strecke eigenständig und ohne Hilfe zurückgelegt hat. Gleichzeitig war sie ein Dank an die Crew für ihren Einsatz als freiwillige Helfer.

Nach den aufregenden Tagen an der Corsica Classic segelten die Schweizer gemütlich zurück nach Sardinien, um dort das Schiff für die Rückreise vorzubereiten. Ende September ging es dann wieder nach Hause. Inzwischen liegt die Petite Hirondelle wieder an ihrem Stammplatz auf dem Thunersee. Aber nicht um zu vermodern, denn Marion und Stefan sind oft auf dem Boot anzutreffen, schliesslich ist es ihr zweites Zuhause geworden.