600 Seemeilen Flaute

Am 22. Oktober ertönte in der maltesischen Hauptstadt Valletta der Startschuss zum Rolex Middle Sea Race. Wie jedes Mal hatten sich rund hundert Boote unterschiedlichster
Bauart zu dieser 600-SeemeilenRegatta eingefunden. Ein Mitarbeiter von Skippers segelte an Bord des Schweizer Boots von François Bopp mit. Seine Farr 52 Chocolate III gehörte bei den IRC2 zu den Favoriten

Text: Louis Taurel

Malta wurden im 16. Jahrhundert von den Osmanen belagert und 1798 von Napoleon eingenommen, der den Malteserorden aus dem Land vertrieb. Später wurde die Insel zur britischen Kolonie, bis sie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ihre Unabhängigkeit erlangte. Als strategisches Bindeglied zwischen Nordafrika und Europa blickt Malta aber nicht nur auf eine ereignisreiche Geschichte zurück, sondern hat auch faszinierende Kulturschätze zu bieten. Seit 1967 ist der Mittelmeerstaat zudem Austragungsort des Middle Sea Race, das 2002 in Rolex Middle Sea Race umbenannt wurde. Man erzählt sich, dass der Kurs des Rennens aus der Rivalität zwischen einem englischen und einem maltesischen Yachtman entstanden sein soll, die sich über eine grössere Distanz miteinander messen wollten als an den Küstenregatten des Royal Malta Yacht Clubs.

Der Streckenverlauf stand schnell fest. Um der Regatta einen feierlichen Charakter zu verleihen, stellten die örtlichen Behörden dem Royal Malta Yacht Club bereits bei der ersten Austragung alles zur Verfügung, was die Insel an majestätischen und beeindruckenden Sehenswürdigkeiten zu bieten hat. Gestartet wurde im Grand Harbor von Valletta. Der historische Hafen ist praktisch ringsum von uneinnehmbaren Festungen umgeben, die von den Rittern des Malteserordens errichtet und später von den Engländern modernisiert wurden. Das Organisationskomitee kam in einer Festung aus dem 18. Jahrhundert unter und der Oberst und Vizekommodore Tabona stellte Kanonen der Royal Malta Artillery bereit, mit denen die Startschüsse abgefeuert wurden.

Auch heute noch startet das Rolex Middle Sea Race in Malta, bevor es durch die Strasse von Messina führt. An Backbord liegt Sizilien mit dem im Hintergrund sichtbaren Ätna, an Steuerbord der Absatz des italienischen Stiefels. Der Vulkan Stromboli dient als natürliche Bahnmarke und sorgt nachts mit seinen glühenden Lavaströmen für ein ganz besonderes Naturspektakel. Sizilien wird über die Insel Favignana umrundet, danach geht es in Richtung Süden vorbei an Pantelleria und Lampedusa und zurück nach Malta.

Das Middle Sea Race ist für den kleinen maltesischen Archipel eine medienwirksame Visitenkarte. Als einzige Regatta der Welt nutzt es zwei aktive Vulkane als Bahnmarken und begeistert mit grossartigen Landschaftsaufnahme.

DIE JACHTEN VERLASSEN DEN GRAND HARBOR MIT GEHISSTEM SPI.

Sechs echte Kanonenschüsse

Am Start im Grand Harbour wurden die sehr unterschiedlichen 118 Boote von Flaute begrüsst. Ein Hochdruckgebiet hatte sich über Sizilien festgesetzt und liess keinen rechten Wind aufkommen. Alle sechs Gruppen wurden mit einem Kanonenschuss aufs offene Meer geschickt. Wie sich die im Hafen versammelten Jachten nach und nach aus dem Knäuel lösten und davonzogen, war ein Bild für die Ewigkeit. Bis zu den beiden Bojen bei der Hafenausfahrt kam es zu etlichen Duellen. Jeder wollte die Strasse von Medina als erster erreichen.

Den Auftakt machten die Trimarane der MOCRA-Klasse. Ein Seitenwind schob die fünf MOD70 und den Neel 47 aufs offene Meer hinaus. Der nächste Kanonenschuss kündigte den Start der kleinsten Boote an. Da der kaum spürbare Wind plötzlich sehr wechselhaft wurde, hissten die Letztgestarteten die Spis. Einige gerieten regelrecht in Panik, wechselten hastig die Segel, kämpften mit den Spis, die sich nicht öffnen liessen oder sich verwickelten. Die Crewmitglieder ritten die Boote in Lee aus. Sie nutzten die Schlagseite, damit das Boot Tempo aufnahm.Die Skipper wussten schon beim Start, was sie erwartete. Grosse Hoffnungen machte sich eigentlich niemand. «Wir erwarten ein sehr langsames Rennen mit sehr wenig Wind», kommentierte Giovanni Soldini, der Skipper der MOD70 Maserati und Stammgast der Regatta. Die Stimmung sei aber trotzdem gut, fügte er hinzu. «Es sind fünf Einheiten der Klasse dabei, das wird spannend.»

Bei den Einrumpfbooten gelang der zweifachen Siegerin nach berechneter Zeit Elusive II ein hervorragender Start. Die First 45 blieb aber nicht lange in Führung. Gegen die Maxi-Jachten Bullit (Wally 93FT) und die Farr 100 Leopard 3 konnte sie nichts ausrichten.

Als die Führenden nach 340 Meilen Favignana im Nordosten Siziliens passierten, löste sich die One-Off-Jacht aus der Designschmiede NiveltMuratet Teasing Machine (NMYD54) plötzlich vom Feld und preschte davon. Sie baute ihren Vorsprung konstant aus und ging als Siegerin nach berechneter Zeit ins Ziel. Ihr Eigner Eric de Turckheim meinte erfreut: «Teasing Machine hat schon viele Podestplätze errungen, unter anderem am Fastnet, am Sydney Hobart und am Rorc. Hier zu gewinnen fühlt sich toll an. Das Rolex Middle Sea Race ist und bleibt unser Lieblingsrennen. Seine komplizierte Streckenführung und das Wetter sind genau das, was wir mögen.» Das Siegerboot wurde ursprünglich als Konkurrenz zu den TP52 entworfen, dann Jahr für Jahr optimiert und kürzlich leichter gemacht. Obwohl sich das geringere Gewicht negativ auf das Rating auswirkt, gewann Teasing Machine die Wertung souverän.

Dass die 2021 aufgestellte Rekordzeit von 33 Stunden und 29 Minuten dieses Jahr nicht gebrochen würde, war angesichts der Leichtwindbedingungen von Anfang an klar. Dann kam es aber noch schlimmer als erwartet. Die ersten Trimarane steckten vor Stromboli in einem Flautenloch fest, wodurch sich die Zeit mühsam in die Länge zog. Als schnellster Mehrrümpfer erreichte Mana nach 37 Stunden und 32 Minuten das Ziel, gefolgt von Zoulou und Maserati.

DIE SIEGERJACHT TEASING MACHINE BEI DEN IRC KREUZT KURZ VOR EINER HALSE MIT DER FARR 52 VON FRANÇOIS BOPP.

Schweizer Schokolade

Bei der diesjährigen Ausgabe waren drei Schweizer Boote am Start: eine More 55, eine Clubswan 50 und die Farr 52 Chocolate III, auf der unser Reporter und Regatteur Sébastien Aubord mitsegelte. Sie gehört François Bopp, der damit letztes Jahr ein bemerkenswertes Rennen gezeigt hat. Auf dem Genfersee kennt man den Schweizer, weil er jahrelang erfolgreich auf der Psaros 40 Outsider V gesegelt ist. Heute konzentriert er sich auf Regatten auf dem Meer und verbringt die meiste Zeit in Bulgarien. Seine Crew ist bunt gemischt. Die niederländische Volvo-Ocean-RaceLegende Bowe Bekking gehört ebenso dazu wie junge bulgarische Jollensegler, die keine Erfahrung auf Jachten über 50 Fuss mitbringen.Der Start gelang nahezu perfekt. François Bopp: «Wir sind schnell in Führung gegangen und haben uns dann für die nördliche Seite entschieden, sodass wir vor der Strasse von Messina auf der Luvseite der Flotte segeln konnten.» Dort legte der bisher kaum spürbare Wind abrupt zu, was das schweizerisch-bulgarische Team ins Verderben schickte. Unser Reporter Sébastien Aubord erzählt: «Plötzlich wehte der Wind mit 20 Knoten. Unser J2 hielt dem Druck nicht stand und riss. Wir mussten einen von uns auf das Masttopp schicken, damit er das hängengebliebene Stück Segel entfernte und wir die Genua hissen konnten. Um keine unnötigen Risiken einzugehen, segelten wir während 30 Minuten mit Rückenwind und fielen dadurch in der Gesamtwertung zurück. In der Meerenge verpassten wir dann den Windwechsel und mussten jegliche Siegeshoffnung begraben.»
Mit einer Zeit von 5 Tagen und 4 Stunden klassierte sich Chocolate III auf dem 6. Schlussrang in der IRC2-Wertung. Dennoch wertete François Bopp die Teilnahme als Erfolg: «Allein schon der Kurs der Regatta ist ein Highlight und die rote Lava in der Nacht unvergesslich», schwärmte er. Er möchte daher nächstes Jahr unbedingt mit demselben Boot wiederkommen, dann soll die Crew aber ausschliesslich aus jungen Bulgaren und Türken bestehen. «Vielleicht noch mit Bowe Bekking, um das Durchschnittsalter etwas zu erhöhen», fügt er schmunzelnd hinzu.

FRANÇOIS BOPP AM STEUER DER CHOCOLATE III VOR DEM LEUCHTTURM STROMBOLICCHIO