Das Team von Esteban Garcia ist die letzte Bol d’Or Mirabaud statt mit T-Foils mit C-förmig gebogenen Schwertern gesegelt. Bis dahin hätte wohl niemand geglaubt, dass so etwas überhaupt möglich ist. Die freche Wahl könnte das ein oder andere Team im Hinblick auf das nächste Flautenrennen auf Ideen bringen.

Text: Oliver Dufour

An der 84. Bol d’Or vom 10. bis 11. Juni 2023 war das Thema auf den Stegen der Société Nautique de Genève Gesprächsstoff Nummer 1. Der TF35 Realteam hatte sich mit einer dem Schwachwind angepassten Sonderkonfiguration in den Kampf gestürzt: ohne T-Foils und ohne die dafür nötige elektronische Steuerung. Stattdessen ging der Katamaran mit C-förmig geschwungenen Schwertern an den Start. Mit dieser vom Klassenreglement der TF35 für die Genferseeklassiker Genève-RolleGenève und Bol d’Or Mirabaud zugelassenen Veränderung konnte das Boot um mehrere hundert Kilo erleichtert und der Wasserwiderstand merklich reduziert werden.

ÜBERZEUGTE BEFÜRWORTER: YLLIAM XII – COMPTOIR IMMOBILIER BEGRÜSST
DIE WEITERENTWICKLUNG DER «LEICHTWINDKONFIGURATION» DES TF35.

Bereits zwei Tage vor dem Start waren Gerüchte laut geworden, dass Realteam etwas völlig Neues wagen würde. Von Geniestreich und gewagtem Unterfangen war die Rede. Wirklich glaubte aber niemand daran. In unserer Sonderausgabe zur Bol d’Or hatte neben mehreren anderen Teams auch Realteam-Skipper Jérôme Clerc abgewinkt, als wir ihn mit der Frage konfrontiert hatten. «Weil in der Presse stand, dass wir es nicht wagen würden, haben wir beschlossen, zu pokern und es doch zu tun», scherzte der 43-Jährige, stellte dann aber klar: «In Wahrheit haben wir uns eine Woche vor dem Rennen, als die Prognosen Flaute voraussagten, seriös mit der Möglichkeit befasst. Am Donnerstag haben wir dann eine Testfahrt absolviert, um uns mit den gezwungenermassen unterschiedlichen Segeleigenschaften vertraut zu machen. Sie kommen denen des D35 sehr nahe. Als die Wetterdaten den Schwachwind bestätigten, hielten wir an unserer Wahl fest.»

Weiteres Optimierungspotenzial

Der Rest ist bekannt. Lange Zeit führte Realteam im Alleingang und war ganz nahe dran, seine gewagte Wette zu gewinnen. Einzig die im Vergleich zu den D35 und den M2-Katamaranen geringere Leistung vor dem Wind brachten den TF35, der mit CB35 für C-Boarder 35 vielleicht treffender benannt wäre, um den Erfolg. Abgeklärt meinte Jérôme Clerc: «Der D35 wird seit 2004 optimiert, wir sind hingegen noch immer dabei, uns mit den Feinheiten unseres TF35 vertraut zu machen.» Einige Eigner der jungen Klasse seien im Übrigen durchaus für diese Flautenkonfiguration zu haben, fügte er hinzu. Es handle sich nicht um eine Eintagsfliege, bestätigt Klassenpräsident Bertrand Favre. «Realteam hat sich der Sache ziemlich spät angenommen und konnte daher das Potenzial der Konfiguration nicht voll ausschöpfen. Die Besegelung war nicht optimal und man hätte den Fridge (Anm. d. Red.: Spitzname der Box für den Flugcomputer) entfernen können, um noch mehr Gewicht einzusparen. Wir prüfen derzeit die Herstellung kürzerer Ruderblätter, damit die für das Foiling vorgesehenen Ruderblätter nicht zu tief ins Wasser eintauchen.»

ERNSTHAFTE KONKURRENZ: BEI SCHWACHWIND BRINGEN DIE KONVENTIONELLEN KATAMARANE VENTILO UND D35 DIE TF35-FOILER IN BEDRÄNGNIS.

Bertrand Demole, Skipper und Eigner des Ylliam XII – Comptoir Immobilier, sieht den Versuch von Realteam an der Bol d’Or ebenfalls positiv. «Natürlich hat und das Team überrascht, aber unsere Klasse profitiert davon, dass sie bei wenig Wind mit den D35 mithalten konnten. Wir möchten mit dieser Konfiguration unbedingt schneller werden, vor allem auf Vorwindkursen, wo wir noch Luft nach oben haben.»

Gegen den D35 von Christian Wahl konnte das Team von Esteban Garcia ab der Einfahrt in das untere Genferseebecken zwar nichts mehr ausrichten, den anderen TF35 fuhr es aber davon. Sie waren mit Foils und allem Drum und Dran unterwegs und warteten vergeblich auf einen Windhauch, der ihr Boot aus dem Wasser heben würde. Nur Alinghi Red Bull Racing schloss auf der Rückfahrt von Le Bouveret nach Genf auf Realteam auf, nachdem das Team den grossen Gennaker gesetzt hatte. Jérôme Clerc entschied sich dagegen. «Alinghis Gennaker ist neuer und flacher als der unsrige», erklärte der Skipper den Verzicht. «Wir haben unseren zum ersten Saisonstart gekauft und er ist bauchiger als die jüngeren Modelle. Mit unserem Gennaker hätten wir vor dem Wind viel Leistung eingebüsst.»

Foilen bleibt Priorität

Alinghi zeigt sich wenig begeistert von der Idee, die fliegenden Katamarane bei Bedarf in Verdränger zu verwandeln. Die TF35 sollen dem Nachwuchs als Sprungbrett für die America’sCup-Foiler dienen, die Nachrüstung der TF35 mit Schwertern sei daher nicht sinnvoll, sagt Yvan Ravussin, der Projektleiter des TF35-Teams von Alinghi. «Der Aufwand ist enorm und von einem kleinen technischen Team nicht zu bewältigen (Anm. d. Red: Realteam benötigte dafür gute vier Stunden). Vor der Bol d’Or hätten wir die dafür nötige Zeit nicht aufbringen können. Ausserdem ist der Kran der SNG vor dem Start ständig besetzt, man müsste sich also früh genug organisieren, was aber im Falle eines kurzfristigen Wetterumschwungs keinen Spielraum liesse. Hinzu kommt, dass nicht alle Boote mit diesen Schwertern ausgestattet sind. Artexplora hat das Paket letztes Jahr nicht gekauft. Und da wir die Flotte vergrössern möchten, wäre es unvernünftig, die Kosten zu erhöhen.» Als weiteres Gegenargument nennt Ravussin die aufwendige Vorbereitung und die zeitraubenden Leistungsstudien, die nötig wären. «Das wäre für eine einzige Regatta im Jahr unverhältnismässig, auch wenn es sich um die Bol d’Or handelt.»

Ähnlich klingt es bei Zen Too. Das Team bietet dem ambitionierten Nachwuchs die Möglichkeit, von erfahrenen Seglerinnen und Seglern zu lernen und will sich lieber auf seine Kernaufgabe konzentrieren, als für die Bol d’Or so viel Aufwand zu betreiben. Taktiker Grégoire Siegwart meint stellvertretend: «Realteam ist den anderen voraus und wir müssen das Full Foiling noch richtig in den Griff bekommen. Foilen hat bei uns Priorität, aber dass andere Teams solche Tests wagen, finde ich gut. Das bringt die Klasse weiter.» Gut möglich, dass hinter der Meinungsverschiedenheit ein Generationenkonflikt oder unterschiedliche finanzielle Mittel stecken. Fest steht, dass Realteam mit seiner kühnen Wahl die Büchse der Pandora geöffnet hat und jetzt garantiert mehrere Teams die Möglichkeit prüfen werden, auf Schwerter umzusteigen, falls an der nächsten Bol d’Or wieder einmal Flaute angesagt ist. «Wetten, dass es nach all den Diskussionen beim nächsten Mal viel Wind geben wird?», lacht Bertrand Favre. Rekordhungrige würde es freuen, denn dann könnten die TF35 mit ihren Foils in Rekordzeit über den See preschen.