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Genfersee-Regatten – Regattanation Schweiz

von Christophe Vuilleumier

Die Geschichte der Genfersee-Regatten ist noch wenig erforscht. Sie geht bis ins 19. Jahrhundert zurück und hat ihren Ursprung in einer von Kriegen und politischen Spannungen geprägten Zeit. Anlässlich der Aufnahme der Genfersee-Regatten in das immaterielle Kulturerbe der Schweiz hat sich der Historiker und Klassenpräsident der Toucan Christophe Vuilleumier in die Archive vertieft und eine unglaubliche Verkettung von Ereignissen zu Tage gefördert, denen die Schweiz ihren Ruf als Segelnation verdankt. Wir veröffentlichen die historische Saga in zwei Teilen.

Genf unterhielt im 16. Jahrhundert eine kleine Kriegsflotte, deren Mannschaften aus Schiffern bestanden, die sonst mit ihren Barken Ware über den See transportierten. Um den Besatzungen der Kriegsschiffe Schiessübungen zu ermöglichen, gründeten die Genfer Behörden 1677 eine Gesellschaft für militärische Schifffahrt, die Exercice de la Navigation. Sie bestand aus Vertretern des Genfer Bürgertums und Patriziats und richtete regelmässig grosse Feste aus. Einige waren besonders prunkvoll, wie die Krönung ihres Königs Pierre Favre im Jahr 1810, an die sich der Schriftsteller John Petit-Senn 1856 in den Spalten des Journal de Genève wehmütig zurückerinnerte.

Nach 1810 kamen die Feierlichkeiten zum Erliegen. Sie wurden erst 1825 wieder aufgenommen – mit noch mehr Pomp und Erfolg als zuvor. Zu den Schiesswettbewerben fanden sich die alten Galeeren der Gesellschaften Navigation und Arquebuse, begleitet von einem «Schwarm von Schiffen aller Art», ein.
Aus dieser Dynamik heraus entstanden die ersten Regatten. Geholfen hat dabei, dass die Gefahr eines militärischen Seeangriffs zu dieser Zeit gebannt war und Genf seine Flotte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts aufgelöst hatte, was die Schiessübungen auf dem Wasser immer unzeitgemässer machte. Die ursprünglich als Marinegesellschaft ins Leben gerufene «Exercice» dachte sich neue Aktivitäten in Form von Wettkämpfen aus, die den Geist der Schiesswettbewerbe der vorangehenden Jahrzehnte weiterführten. So kam es, dass an der Fête de la Navigation vom 27. August 1849 die ersten Regatten organisiert wurden.
Genf war nicht die einzige Stadt mit einer solchen Seemiliz. Auch Nyon hatte im 18. Jahrhundert eine ähnliche Gesellschaft gegründet, die 1805 auf den Namen «Société de la Navigation de Nyon» getauft wurde und deren Zwecke ebenfalls Schiessen und Ausfahrten auf dem See waren.

Erste Regatten in Genf

Wettfahrten zwischen Schiffen waren damals in mehreren Ländern sehr populär. 1851 veranstaltete der britische Royal Yacht Club im Rahmen der Weltausstellung in London eine Regatta vor der Isle of Wight. Als der New York Yacht Club das Rennen 1857 mit dem Schoner America gewann, wurde es in America’s Cup umbenannt.
Die ersten Genfersee-Regatten waren bescheidener. An der allerersten im Jahr 1850 traten Ruderboote, auf denen sonst Schiessübungen durchgeführt wurden, sowie einige wenige «besegelte Schiffe» gegeneinander an. Insgesamt waren zehn Boote vertreten. In der Hauptkategorie der Schaluppen mit Ballast gewann die Rôdeur eines gewissen Herrn Lador, gefolgt von Dame du Lac (Darier) und Vénitiennex (Sechehaye).
Der innovative Anlass kam gut an, trotzdem gelang es der Exercice nicht, ihn in kurzer Frist zu wiederholen. Sie gründete daher 1854 den Cercle du lac, der die Aufgabe hatte, noch im gleichen Jahr die Fête des régates auszurichten. Das Regattafest fand in der Presse ein begeistertes Echo. Von einem «bisher nur selten dagewesenen Interesse für Regatten, das unzählige Zuschauer anlocken dürfte», war die Rede. Am 28. Juli war es soweit. Unter der Leitung von Eugène Darier, dem Admiral der Exercice, wurde der Tag mit Kanonensalven eingeläutet. Sie kündigten die Ruderregatten an, die den ganzen Vormittag dauerten. Die Segelboote starteten am frühen Nachmittag.
Sie absolvierten einen Rundkurs von Les Pâquis im Port-Noir, dem Sitz der Exercice de la Navigation, nach Sécheron und zurück.
Obwohl die Sportveranstaltung ein Riesenerfolg war, musste die Exercice de la Navigation im Jahr darauf mit der militärischen Schwestergesellschaft Exercice de l’Arquebuse fusionieren. Aus Angst, dass die Erinnerung an die alte Gesellschaft verblassen könnte, machten sich ein paar ehemalige Mitglieder für den Fortbestand des Cercle du lac stark und führten dessen sportliche Aktivitäten fort, indem sie fortan jedes Jahr einen Regattatag organisierten.
1856 finanzierte der Bankier François Bartholoni die Preise der Regatta. Er war die treibende Kraft beim Bau der Eisenbahnlinie Lyon-Genf und der Standortwahl für den Genfer Bahnhof Cornavin gewesen und entsprechend bekannt. Von seiner Villa La Perle-du-Lac (dem heutigen naturhistorischen Museum von Genf) hatte er direkte Sicht auf den See und die Segelboote, die seine Leidenschaft wurden. Er begründete eine Tradition, die immer mehr an Bedeutung gewann.

REGATTA DER SNG IM JAHR 1886
©Genfersee-Museum

Kurzlebige Vereine

In den Genfer Gemeinden am Seeufer entstanden mehrere Segelvereine mit exotischen Namen wie «Peaux-Rouges» (Rothäute). Da viele ebenso schnell wieder verschwanden, wie sie entstanden waren, hatte der Segler Gabriel Battié die Idee, die Kräfte zu bündeln und einen langlebigeren Verein zu gründen. Überzeugt von seinem Vorschlag schlossen sich 1872 mehrere Vereine zur Gesellschaft «Amis de la Navigation» zusammen, aus der wenige Zeit später die Société Nautique de Genève wurde. Andere aber wollten unabhängig bleiben und ihre Regatten selbst organisieren. Die «Faces-Pâles» (Bleichgesichter) von La Belotte zum Beispiel blieben bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs eigenständig und bewiesen bei der Betitelung ihrer Wettkämpfe viel Fantasie. «Coupe Sémi Zopfi» war nur einer von vielen bedeutungsschwangeren Namen.
Segeln war zum Vorzeigesport für die obere Gesellschaft geworden. Sie liess sogar Jachten aus England überführen. So zählte die Société Nautique de Genève in kürzester Zeit grosse Genfer Familien sowie ausländische Adlige wie Baronin Adolphe de Rothschild, Prinz Georges Valentin Bibescu oder Graf Hermann de Pourtalès zu ihren Mitgliedern.

Die Société Nautique de Genève

1882, zehn Jahre nach ihrer Gründung, übernahm die Société Nautique de Genève die Organisation der Regatten, die der Cercle du lac rund dreissig Jahre zuvor ins Leben gerufen hatte. Sie etablierten sich im Nu als sportliches und mondänes Highlight, an der sich jeder, der etwas auf sich hielt, sehen lassen musste. Die Werften der Genferseeregion spielten mit und bauten immer schnellere Boote. 1888 liess der Genfer Schiffbauer Alexandre Pouly vor dem Quai des Eaux-Vives die grösste jemals für den See gebaute Segeljacht zu Wasser: eine über 14 Meter lange und 3,20 Meter breite Schaluppe mit einem Tiefgang von 2,25 Metern, mit der er an der Fête des régates in der darauffolgenden Woche teilnehmen wollte. Fünfzehn Jahre später brach die Bootswerft Pouly den bisherigen Rekord mit einem Dreitonner, der nach Plänen von Auguste Godinet aus Lyon gebaut worden war. Die Phoebus ist noch heute eines der ältesten Boote auf dem Genfersee.
In denselben Jahren trug der englische Bankier Daniel Fitzgerald Packenham Barton, der von 1886 bis 1897 als britischer Konsul in Genf arbeitete und seit seinem 16. Lebensjahr auch dort lebte, als Mäzen und erfahrener Segler zum Prestige des Segelsports bei. Er liess mehrere Segelschiffe bauen: die Saint-Frusquin, auf der er die Sommermonate verbrachte und von der ein Modell im Musée du Léman in Nyon steht, sowie die Aïda, die Peri, die Père-Ali und die Squaw. Barton hortete eine stattliche Flotte in Creux-de-Genthod!
Weiteren Auftrieb erhielt der Segelsport durch die Schweizerische Landesausstellung 1896 in Genf und die damit verbundenen Regatten sowie durch die Olympischen Spiele in Athen im gleichen Jahr, an denen Segeln erstmals zum offiziellen Programm gehörte. Es war jedoch eine Frau, Hélène de Pourtalès, die dem Segelsport am Genfersee zu seinem Adelsbrief verhalf. Die Genfer Regatteurin nahm mit ihrem Mann Hermann de Pourtalès an den Olympischen Spielen 1900 in Paris teil. Es war das erste Mal, dass Frauen an Olympia zugelassen waren. Das Paar schaffte es mit dem typischen, 20 Fuss langen Genferseeboot Lerina bis ins Finale. Am 22. Mai gewann Hélène de Pourtalès das letzte Rennen und sicherte sich damit nicht nur die Goldmedaille, sondern wurde auch die erste Olympiasiegerin der Geschichte.

Léopold Eynard

Auf dem Genfersee kreuzten immer mehr Segelboote und die Konkurrenz an den Regatten verschärfte sich, vor allem unter den Kindern der Genfer Oberschicht. 1902 wechselte der begeisterte Segler Léopold Eynard von der Société Nautique Rolloise zur Société Nautique de Genève und hob dort mit ein paar Freunden den Cercle de la voile aus der Taufe, um neue Regatten zu veranstalten. Im Anschluss an diese Neugründung wurde die von Charles Pictet de Rochemont gestiftete Coupe Iseult lanciert.
Bei dieser Regatta von Bellerive über Coppet und Versoix zurück nach Bellerive konnte der acht Seemeilen lange Kurs je nach Windverhältnissen verdoppelt werden. Bald schon organisierte die Société Nautique de Genève über ihren Cercle de la voile drei weitere Regatten für ihre Mitglieder: die Coupe Hentsch mit einem klassischen Kurs von Bellerive über Versoix und La Bellote zurück nach Bellerive, die Coupe Sarina, die diese Strecke zweimal absolvierte, und ab 1903 die Coupe de Montalègre. Dabei sollte es nicht bleiben. Mit der Coupe du Grand-Lac folgte ein noch ambitionierter Wettkampf, bei dem vom unteren Seebecken, dem Petit-Lac, über die Waadtländer Grenze gesegelt wurde. Dies war der Beginn der Regatten, die ein- oder mehrmals rund um den Genfersee führten.

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